Nach einem tödlichen Messerangriff in einer Berliner U-Bahn diskutiert die Politik erneut über eine Ausweitung von Messerverbotszonen. Erst im Januar hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ein stärkeres Vorgehen gegen Messerkriminalität gefordert, nachdem ein psychisch kranker Mann aus Afghanistan ein Kleinkind und einen Erwachsenen in Aschaffenburg erstochen hatte.

Bei der Vorstellung der polizeilichen Kriminalstatistik im April dieses Jahres machte Faeser deutlich: „Wir gehen insbesondere gegen Gewalt mit Messern viel stärker vor als in der Vergangenheit.“

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Die Innenministerin verwies dabei auf Messerverbotszonen im öffentlichen Raum. Doch können solche Zonen bei der Eindämmung von Gewalt helfen? Wie häufig werden Gewalttaten mit Messern begangen? Was ist über die Täter bekannt – und die Opfer?

Die Gewaltkriminalität in Deutschland ist zwischen 2014 und 2021 gesunken. Danach kam es zu einem rapiden Anstieg. Gewaltdelikte mit Messern werden in der Statistik seit wenigen Jahren gesondert erfasst: Von den 217.000 Gewaltdelikten 2024 war in 15.741 Fällen ein Messer die Tatwaffe.

Betrachtet man insbesondere die gefährliche und schwere Körperverletzung, reduziert sich die Anzahl der Fälle mit Messer auf 9917 der 158.177 erfasste Taten. In 6,2 Prozent kam ein Messer zum Einsatz. Dabei verzeichnet die Statistik – im Vergleich zum Vorjahr – einen Anstieg von rund zehn Prozent.

Das auffälligste statistische Merkmal bei Messergewalt: Die Täter sind fast ausschließlich Männer. „Tradierte Männlichkeit will Konflikte nicht vermeiden, sondern austragen“, sagt Stefan Kersting. Der Kriminologe forscht an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen.

Das zweite statistische Merkmal, das hervorsticht: Nicht-deutsche Staatsbürger sind überrepräsentiert. Rund 37 Prozent der Tatverdächtigen bei Körperverletzungen, mit und ohne Messer, haben keinen deutschen Pass.

Stefan Kersting, Kriminologe, forscht an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen.

Hat die Einwanderung seit 2015 zu mehr Messergewalt geführt? „Es gibt seitdem mehr Menschen in Deutschland und dementsprechend auch mehr Gewaltdelikte“, sagt Kersting. „Es ist aber nicht so, als würden Deutsche nicht auch zustechen“, sagt der Wissenschaftler. „Zu sagen, dass Menschen aus anderen Kulturkreisen grundsätzlich gewaltaffiner sind, ist unterkomplex.“

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„Nicht die Farbe des Ausweises macht eine Person kriminell, sondern persönliche Erfahrungen und soziale Einflüsse“, sagt Kersting. Gerade bei Menschen ohne Zukunftschancen oder in prekären finanziellen Verhältnissen sei das Kriminalitätsrisiko höher, sagt der Forscher: „Das trifft überdurchschnittlich oft auf zugewanderte Menschen ohne stabile Bleibeperspektive zu.“

Dies sei keine Entschuldigung für Gewalttaten: „Es geht darum, die Ursachen zu verstehen“, sagt Kersting. „Nur so können wir bei der Prävention ansetzen und weniger Gewalt in unserer Gesellschaft erreichen.“

Wir müssen die Unterstützung von Menschen mit psychischen Problemen intensivieren.

Gina Rosa Wollinger, Wissenschaftlerin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen

Was die Täter – und die Tatkontexte – von Gewalt mit Messern auszeichnet, hat 2023 eine Studie der Kriminologischen Zentralstelle analysiert, die Forschungsstelle des Bundes und der Länder für kriminologische Fragen. Für die Studie werteten die Wissenschaftler:innen 425 Gerichtsurteile aus Rheinland-Pfalz aus und verglichen Taten mit und ohne Messer.

Präventionsarbeit zu Gewalt mit Messern muss auch häusliche Gewalt in den Blick nehmen.

Gina Rosa Wollinger, Wissenschaftlerin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen

Das Ergebnis: Die beiden Tätergruppen glichen sich hinsichtlich Sozialdaten wie Bildungsgrad, Schulabschluss, dem Erhalt staatlicher Leistungen und dem Arbeitsverhältnis. Der größte Unterschied: Menschen, die Messergewalt ausüben, haben öfter selbst Gewalt erfahren, beispielsweise im Elternhaus. Auch gibt es Hinweise auf psychische Vorbelastungen.

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Das müsse auch die Politik beachten, sagt Gina Rosa Wollinger. Auch sie forscht an der Hochschule der Polizei in NRW. „Wir müssen die Unterstützung von Menschen mit psychischen Problemen intensivieren“, sagt die Kriminologin.

Gina Rosa Wollinger hat die Professur für Soziologie und Kriminologie an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW inne.

Gleichzeitig sei es wichtig zu betonen, dass Gewalt mit Messern oft im sozialen Nahbereich stattfinde, sagt Wollinger. „Oft kennen sich Täter und Opfer“, so die Wissenschaftlerin: „Präventionsarbeit zu Gewalt mit Messern muss auch häusliche Gewalt in den Blick nehmen.“

Solche Programme bräuchten allerdings oft lange, um ihre Wirkung zu entfalten. Auch deshalb drehe sich die Diskussion vor allem um Messerverbotszonen im öffentlichen Raum, kritisiert Wollinger.

Die Daten deuten darauf hin, dass die Waffenverbotszone nicht zu einer langfristigen Abnahme der Kriminalität geführt hat.

Christoph Meißelbach, wissenschaftlicher Koordinator am Sächsischen Institut für Polizei- und Sicherheitsforschung

Eine der wenigen Studien zur Wirksamkeit von Waffenverbotszonen sei in Leipzig durchgeführt worden, sagt Christoph Meißelbach, wissenschaftlicher Koordinator am Sächsischen Institut für Polizei- und Sicherheitsforschung. In Leipzig hatte das sächsische Innenministerium bereits 2018 eine Waffenverbotszone eingeführt.

Christoph Meißelbach ist Wissenschaftlicher Koordinator am Sächsischen Institut für Polizei- und Sicherheitsforschung (SIPS) an der Hochschule der Sächsischen Polizei.

Mit mäßigem Erfolg. „Die Daten deuten darauf hin, dass die Waffenverbotszone nicht zu einer langfristigen Abnahme der Kriminalität geführt hat“, sagt Meißelbach. Auch sei eine Durchsetzung von Waffenverbotszonen mit Eingriffen in individuelle Freiheitsrechte verbunden, warnt Meißelbach. „Verbotszonen auf breiter Front einzuführen“, sagt der Experte, „kann auch angesichts ihrer eher geringen kriminalpräventiven Wirkung nicht das Mittel der Wahl sein.“

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Stattdessen betont Meißelbach die gesellschaftspolitische Ebene – und wünscht sich mehr Gewaltprävention schon im Kindesalter, beispielsweise mit Empathie- und Konfliktlösungstrainings. „Auf soziale Probleme“, sagt Meißelbach, „braucht es soziale Antworten.“