Berlin / Moskau – Verwüstete Städte, Millionen Flüchtlinge und mehr als 250.000 Tote – das ist das schreckliche Ergebnis von dreieinhalb Jahren russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Deutschland und die übrigen Europäer verhängten Sanktionen gegen den Aggressor, stoppten Flüge von und nach Moskau. Umso verblüffender: Seit Kriegsbeginn hat Deutschland mehr als 160.000 Visa an russische Staatsbürger ausgestellt.
Bei den für die ganze EU gültigen Schengen-Visa stellten im Jahr 2021 deutsche Auslandsvertretungen 26.000 Dokumente aus. Im ersten Kriegsjahr 2022 waren es 39.000, 2023 knapp 21.000 und 2024 über 27.000 (mehr als Vorkriegsniveau). Bis Juli dieses Jahres waren es mehr als 18.000, was bis Jahresende auf einen neuen Rekord seit Kriegsbeginn hinauslaufen könnte.
Hinzu kommen mehr als 55.000 nationale Visa, die zu einem Aufenthalt von mehr als 90 Tagen in Deutschland berechtigen.
Auch am Dienstag bombardierte Russland ukrainische Städte, zerstörte den Bahnhof von Losowa im Gebiet Charkiw und tötete allein hier zwei Menschen
Foto: Sofiia Gatilova/REUTERS
Alles in allem stellen deutsche Behörden in diesem Jahr mehr als 110 Russen-Visa pro Tag aus, was angesichts sonst langwieriger bürokratischer Prozesse deutscher Verwaltungsbehörden eine erhebliche Leistung darstellt.
Das sagt das Auswärtige Amt zu den Russen-Visa
Gegenüber BILD hieß es aus dem Auswärtigen Amt, die Bundesregierung habe nach dem Beginn des vollumfänglichen russischen Krieges gegen die Ukraine „die Sicherheitskriterien für die Prüfung nationaler Visa-Anträge von russischen Staatsangehörigen verschärft. Auch bei der Erteilung von Schengen-Visa an russische Staatsangehörige legt das Auswärtige Amt strikte Maßstäbe zur Einhaltung der EU-Regelungen an“.
Europaweit wurden 2024 mehr als 550.000 Visa für Russen ausgestellt. Knapp fünf Prozent davon von den deutschen Auslandsvertretungen.
Kritik von Russlands europäischen Nachbarn
▶︎ Eine Sprecherin des estnischen Außenministeriums erklärte gegenüber BILD: „Der Eintritt russischer und belarussischer Staatsbürger in den Schengen-Raum ist in keiner Weise gerechtfertigt in einer Situation, in der Russland den Krieg in der Ukraine fortsetzt und gleichzeitig hybride Aktivitäten gegen EU-Staaten verstärkt.“
▶︎ Noch deutlicher wird der polnische Abgeordnete und bis 2023 Vize-Außenminister Szymon Andrzej Szynkowski vel Sęk. Zu BILD sagte der PiS-Politiker: „Deutschland stellt nach wie vor viele Visa für Russen aus, darunter auch für russische Touristen, was Zweifel aufkommen lassen kann – umso mehr, als ein Schengen-Visum zur freien Bewegung im gesamten EU-Gebiet berechtigt.
Polen dagegen habe „die Vergabe von Visa im Wesentlichen auf streng geprüfte humanitäre Visa sowie auf Personen mit einer sogenannten ‚Karta Polaka‘ (nachgewiesene polnische Herkunft) beschränkt“. Im Ergebnis, so Szynkowski vel Sęk, habe das dazu geführt, dass Polen „nur ein Bruchteil der Anzahl an Visa, die von Deutschland ausgestellt werden“, erteilt.