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Ex-Afghanistan-Kommandeur unter Obama, McChrystal, sieht US-Streitkräfte am Scheideweg. Das Problem: Die Politisierung der amerikanischen Armee.
Washington, D.C. – Der Signal-Skandal, Entlassung von hunderten Trans-Soldaten und massiver Personalabbau im Pentagon: Das US-Militär befindet sich im Wandel, den viele Experten als besorgniserregend wahrnehmen. Darunter Stanley McChrystal.
„Ich befürchte, dass im US-Militär derzeit eine politische Säuberung vorgenommen wird“, sagt der 70-jährige ehemalige US-General und frühere Kommandeur der internationalen Truppen in Afghanistan in einem Interview mit dem Tagesspiegel. Er mache sich große Sorgen über die Entwicklungen im amerikanischen Militär und der Gesellschaft insgesamt.
Wegen „prominenter Entlassungen“ im US-Militär: Ex-General kritisiert Trump und Hegseth
Diese Einschätzung begründet er mit konkreten Beobachtungen der jüngsten Entwicklungen unter der Administration von Präsident Donald Trump und Verteidigungsminister Pete Hegseth. McChrystal verweist auf „eine Reihe prominenter Entlassungen“ unter Trump und Hegseth in den vergangenen Monaten.
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Zu diesen zählten der Vorsitzende des Generalstabs der US-Streitkräfte, die Kommandeurin der Navy und die Kommandeurin der Coast Guard. Diese hochrangigen Militärs wurden alle mit der gleichen Begründung entlassen: dem „Einstampfen der DEI-Prinzipien“ – also Diversity, Equity, Inclusion (zu deutsch: Vielfalt, Gleichbehandlung, Inklusion).
Hintergrund: Hegseth hatte bereits vor Monaten in einem Strategiepapier für die US-Streitkräfte neue Leitlinien skizziert, wonach Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt als „unvereinbar mit den Werten“ des Pentagon eingestuft werden. Dem Sender Fox News sagte er damals, die bisherigen Richtlinien sollten „mit Stumpf und Stiel“ entfernt werden, um mit hohen Standards zu den „Wurzeln“ des Militärs zurückzukehren.
Entlassungen wegen politischer Einstellung: Laut Ex-General „eine Zäsur in der Geschichte der USA“
Was McChrystal besonders beunruhigt: Dass „den Entlassungen eine politische Motivation zugrunde liegt“. Er argumentiert, dass diese Militärs „ihren Job gemacht“ und „die bisherige Regierungspolitik umgesetzt“ haben und nun genau dafür entlassen werden. Mit anderen Worten: Sie werden nicht wegen Inkompetenz oder Fehlverhalten bestraft, sondern weil sie die Politik der vorherigen Regierung loyal befolgt haben.
Die Entlassung aus politischen Gründen markiert eine Zäsur in der Geschichte der USA.
McChrystal betont im Interview mit dem Tagesspiegel die historische Bedeutung dieser Entwicklung: „Die Entlassung aus politischen Gründen markiert eine Zäsur in der Geschichte der USA“. Er unterscheidet klar zwischen legitimen und illegitimen Gründen für Entlassungen: „Man kann Generäle entlassen, wenn sie inkompetent sind oder sich befehlswidrig verhalten.“ Aber die Entlassung aus politischen Gründen sei inakzeptabel.
In diesem Vorgehen sieht McChrystal „die Gefahr autokratischer Muster“ und prognostiziert weitreichende Folgen für die amerikanischen Streitkräfte: „Die Streitkräfte werden sich daran anpassen. Alle Militärs werden sich fortan genau überlegen, ob sie für eine andere politische Position, als die der Regierungspartei stehen wollen“. Das Resultat sei verheerend: „Und damit wird das US-Militär zu etwas, was es in der Vergangenheit nicht war, nämlich politisch.“
Neben politischer Säuberung: Verhalten von Verteidigungsminister beim Signal Gate „lächerlich“
Neben der politischen Säuberung kritisiert McChrystal scharf das Verhalten von Verteidigungsminister Hegseth, insbesondere die „Signal Gate“-Affäre, bei der Hegseth vertrauliche Informationen über eine anstehende Militäroperation im Jemen über eine Signal-Gruppe teilte, der auch ein Journalist angehörte.
McChrystal bezeichnet Hegseths anschließende Behauptung, die Informationen seien nicht vertraulich gewesen, als „lächerlich“ und zeigt damit dessen mangelnden Respekt für die Landessicherheit auf. McChrystal, der 2010 nach kritischen Äußerungen über die Obama-Regierung zurücktreten musste, beobachtet eine gesellschaftsweite „Erosion des Anstands“ und beklagt, dass Charakter, Integrität und Loyalität nicht mehr denselben Stellenwert besitzen wie früher.
Ex-General Stanley McChrystal (rechts) rechnet mit Donald Trump ab. © ZUMA Press Wire/Newscom World/IMAGO/Montage
Trump sieht er dabei nicht als Ursache dieser Entwicklung, sondern als „gewichtiges Symptom“ eines größeren Problems. Der 70-Jährige macht deutlich, dass sein eigener Rücktritt eine andere Qualität hatte. Er hatte die Verantwortung für kritische Äußerungen seines Teams übernommen und selbst um seine Entlassung gebeten. Trotz all seiner Sorgen zeigt sich McChrystal am Ende des Interviews optimistisch bezüglich der langfristigen Entwicklung. Er glaubt, dass sich die amerikanische Politik wieder ändern werde: „Im Moment schlägt das Pendel in die eine Richtung, und in einigen Jahren wird es wieder zurückschlagen.“(bg)