Trotz massiver Kontrollen finden Drogenschmuggler immer wieder neue Wege. Oliver Erdmann vom Hamburger Hafensicherheitszentrum weiß, wie Banden in den deutschen Häfen arbeiten und spricht vom „Wasserbetteffekt“ des Kokainhandels.
Um den Kampf gegen den Drogenschmuggel über den Hamburger Hafen zu intensivieren, wurde vor gut einem Jahr das Hafensicherheitszentrum (HSZ) in Hamburg errichtet, eine bundesweit einmalige Einrichtung. Oliver Erdmann, Leiter der Einrichtung, führte jahrelang das LKA 61/GER – jene Einheit also, die die Polizei zusammen mit dem Zoll betreibt, und die weltweit Drogendealer jagt.
WELT AM SONNTAG: Was genau muss man sich unter dem Hafensicherheitszentrum vorstellen? Eine Art Einsatzleitstelle, eine Ermittlungsbehörde?
Oliver Erdmann: Weder noch. Das Hafensicherheitszentrum ist ein Zusammenschluss und eine Kooperationsplattform von Behörden und Institutionen, die in Hamburg bei der Bekämpfung des Kokainschmuggels über den Hafen eingebunden sind. Täglich sitzen hier Vertreter von Zoll, Landeskriminalamt, Wasserschutzpolizei sowie der Hamburg Port Authority an einem Tisch, um alle relevanten Erkenntnisse bewerten und einordnen zu können.
WAMS: Zum Beispiel?
Erdmann: Werden Risikoschiffe aus Südamerika erwartet? Gibt es Hinweise aus dem In- oder Ausland? Es geht also vor allem um einen behördenübergreifenden Informationsaustausch, ganz direkt und pragmatisch. Parallel dazu sind wir zentraler Ansprechpartner für die Hafenwirtschaft und analysieren gemeinsam Schwachstellen, beispielsweise in der Logistikkette, die es den Tätern leichter machen, Rauschgift über den Hafen ins Land zu schmuggeln. Wir führen auch Awareness- und Präventionsmaßnahmen durch, um die Mitarbeiter in den Hafenbetrieben zu sensibilisieren, und betreiben ein anonymes Hinweisgeberportal. Außerdem unterstützen wir bundesweit Ermittlungsdienststellen mit Fachexpertise und notwendigen Kontakten. Sie merken: Der Deliktsbereich „Rauschgifteinfuhrschmuggel über den Hamburger Hafen“ ist sehr komplex.
WAMS: Warum wurde das Hafensicherheitszentrum überhaupt gegründet?
Erdmann: Der Hamburger Hafen ist einem massiven Kokainzufuhrdruck aus Südamerika ausgesetzt. Rekordsicherstellungen, wie zum Beispiel die 16 Tonnen Kokain im Februar 2021 durch den Zoll, zeigen das Ausmaß – und auch, dass die Bekämpfungsstrategien der Behörden angepasst werden mussten. Repressive Ermittlungen von Polizei und den Zollfahndungsämtern sind unerlässlich, um den Tätern auf den Füßen zu stehen, aber sie wirken nicht nachhaltig präventiv, schließen beispielsweise keine Schwachstellen in der Hafenlogistik. Auf dem nationalen Hafensicherheitsgipfel am 30. Oktober 2023 haben dann Behörden, Politik und Unternehmen in einer gemeinsamen Abschlusserklärung unter anderem die Einrichtung dieses Hafensicherheitszentrums beschlossen. Damit sollte zugleich auch auf mögliche negative Begleiterscheinungen der Rauschgiftkriminalität reagiert werden, um eine ähnliche Gewaltspirale wie in Rotterdam oder Antwerpen, die offensichtlich von Drogenbanden ausgeht, im drittgrößten europäischen Seehafen gar nicht erst entstehen zu lassen.
WAMS: Im September vergangenen Jahres konnten durch Erkenntnisse des Hafensicherheitszentrums 2,1 Tonnen Kokain mit einem Straßenverkaufswert von rund 100 Millionen Euro sichergestellt werden. Hamburgs LKA-Chef Jan Hieber nannte es das „Gesellenstück“. Wie erfolgreich ist Ihre Arbeit?
Erdmann: Erfolg ist in diesem Deliktsfeld nur schwer messbar, weil wir gar nicht genau wissen, wie viel Kokain wirklich ins Land kommt. Ich persönlich gehe davon aus, dass nur ungefähr zehn Prozent des geschmuggelten Rauschgiftes sichergestellt werden. Es gibt also ein riesiges Dunkelfeld. Ein wesentlicher Erfolg, der eigentliche ‚Game Changer‘, ist für mich der Schulterschluss zwischen den zuständigen Behörden und der Hafenwirtschaft. Dadurch ist eine enge und sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit entstanden, bei der wir gemeinsam an logistischen Schwachstellen arbeiten.
WAMS: Im Jahr 2024 wurde deutlich weniger Kokain im Hafen sichergestellt. Sind die Straßenverkaufspreise gestiegen, was auf eine Verknappung des Drogenangebots hinweisen würde?
Erdmann: Der Rückgang an Sicherstellungen allein ist kein eindeutiger Erfolgsindikator, da ähnliche Trends auch in anderen europäischen Nordseehäfen zu beobachten sind. Wir haben tatsächlich relativ stabile Preise, also eine spürbare Verknappung kann ich so nicht bestätigen. Vielmehr gehen wir davon aus, dass sich die Tätergruppierungen möglicherweise bereits auf unsere verstärkten Maßnahmen eingestellt haben, zum Beispiel durch angepasste Schmuggelmethoden oder Ausweichen auf andere Routen. Derzeit fehlt uns aber dahingehend noch ein klares Lagebild, daran arbeiten wir.
WAMS: Wie sehen die neuen Strategien aus?
Erdmann: Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die südeuropäischen Häfen und auch Westafrika als Drehscheibe für den Kokainhandel stärker in den Fokus der Kartelle geraten sind. Zudem könnten die Täter jetzt weniger auf klassische Einfuhrhäfen wie Hamburg, Rotterdam und Antwerpen setzen, sondern über kleinere, weniger kontrollierte ‚sekundäre‘ Häfen ausweichen. Wir nennen diese Entwicklungen Wasserbetteffekt: Wird in einem Hafen die Rauschgifteinfuhr wirksam bekämpft und zurückgedrängt, verlagert sich das kriminelle Geschäft in einen anderen, ähnlich wie sich die Oberfläche eines Wasserbetts verformt, wenn man an einer Stelle Druck ausübt. Wir haben es mit einer sehr dynamischen Lage zu tun. Europa ist als ein großer Rauschgiftmarkt zu verstehen, und das Kokain geht immer den Weg des geringsten Widerstandes, um auf diesen Markt, nämlich in die EU, zu gelangen.
WAMS: Wie sieht dieser Weg gemeinhin aus?
Erdmann: Die Täterseite agiert arbeitsteilig, teilweise vergleichbar mit einem Dienstleistungssystem. Dabei gibt es Logistiker, die den eigentlichen Schmuggel aus Südamerika bis in den hiesigen Zielhafen organisieren, und dann noch die Abnehmer, die sich um den Verkauf auf dem europäischen Rauschgiftmarkt kümmern. In Hamburg braucht es die ‚Tür zum Hafen‘ – jemanden, der über Insider aus der Hafenwirtschaft verfügt, die beispielsweise auf dem Terminal selbst Kokain aus einem Container bergen können oder Zugang zu entsprechenden IT-Systemen der Hafenlogistik haben, um eine Rauschgiftbergung weiteren Mittätern zu ermöglichen. Diese Leute bezeichnen wir als „Hafeninnentäter“. Einen dominierenden, zentralen Paten gibt es nach unseren Erkenntnissen nicht, sondern es arbeiten unterschiedliche multi-ethnische Tätergruppierungen flexibel nach dem Prinzip ‚Crime as a Service‘.
WAMS: Sie sprechen von Hafeninnentätern – Hafenmitarbeiter also, die in den Schmuggel eingebunden sind.
Erdmann: Hafenmitarbeiter sind die entscheidende ‚Tür zum Hafen‘. Die Organisatoren des Drogenschmuggels benötigen ein ganzes Netzwerk an Innentätern, um möglichst schnell und ungehindert Zugriff auf die mit Rauschgift kontaminierten Container zu bekommen. Ohne diese Unterstützung wäre die Kokaineinfuhr wesentlich erschwert. Grundsätzlich kann jeder Hafenbeschäftigte zum Ziel werden: vom Lkw-Fahrer über Van-Carrier-Fahrer, Lascher und Docker bis zum Disponenten, Personalverantwortlichen oder Zulieferer. Als Entlohnung locken hohe Geldsummen.
WAMS: Wie geht das los?
Erdmann: Die Anwerbung beginnt manchmal auch schleichend mit harmlosen Gefälligkeiten: ‚Kannst du mir mal eben sagen, wo dieser Container steht?‘ Es ist auch damit zu rechnen, dass Kriminelle dabei gezielt Mitarbeiter in Notlagen, etwa mit finanziellen Engpässen, ansprechen, die möglicherweise leichter zu ködern sind. Mit unseren präventiven Maßnahmen wollen wir aufklären und Handlungsoptionen aufzeigen.
WAMS: Kann man da auch einfach „Nein“ sagen?
Erdmann: Häufig geben die Haupttäter beim ersten Kontakt schon mal ein unverbindliches Angebot ab. Und wer hier klar ‚Nein‘ sagt, wird in der Regel in Ruhe gelassen. Wir haben mehrfach erlebt, dass Hafenmitarbeiter, die sich entsprechend verweigert haben, nicht erneut kontaktiert wurden. Ein deutliches ‚Nein‘ wirkt also.
WAMS: Sie haben ein Awareness-Programm aufgesetzt, um Hafenmitarbeiter zu sensibilisieren. Wie wollen Sie gegen solch hohe Köder-Summen ankämpfen?
Erdmann: Das können wir. Denn wir machen ihnen nicht nur klar, was als strafrechtliche Konsequenz droht, sondern auch, was ihnen noch so blühen kann, wenn sie sich mit der Organisierten Kriminalität einlassen. In dem Moment, in dem ein Hafenmitarbeiter das Geld nimmt, wird er erpressbar und ist ihr ausgeliefert. Den Zeitpunkt, ob und wann die Zusammenarbeit endet, bestimmt er dann längst nicht mehr selbst.
WAMS: Was passiert dann?
Erdmann: Vielleicht geht so ein Deal auch zwei oder drei Mal gut und das Haus ist abbezahlt. Aber dann passiert irgendwas. Er soll etwa eine größere Menge Kokain auf dem Containerterminal bergen, schafft es aber nicht, weil er krank wird, ihn der Schichtleiter anders als geplant einteilt oder er auf dem Weg zur Arbeit einen Verkehrsunfall hat. Wer kommt dann für die Fehlmenge auf? Im Zweifel er. Die Konsequenzen, die daraus folgen, sind für ihn völlig unkalkulierbar. Wir hatten mal einen Fall, als der Hafeninnentäter richtig erleichtert war, als wir ihn festgenommen haben, weil er den Druck kaum noch ausgehalten hatte. Die Angst vor den Hinterleuten ist manchmal riesengroß.
WAMS: Sie haben mal gesagt, den Drogenhandel an sich wird man nie komplett ausschalten können oder beenden können. Macht Ihnen diese Entwicklung Angst?
Erdmann: Angst im klassischen Sinn empfinde ich dabei nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass kein Kokain mehr hereinkommt und wir uns irgendwann entspannt zurücklehnen können, ist im Moment tatsächlich ziemlich gering – es ist eine Art dynamisches Katz-und-Maus-Spiel, bei dem die Täter hochflexibel auf unsere Maßnahmen reagieren und ihre Routen oder Schmuggelmethoden anpassen. Ich sehe darin aber keine aussichtslose Katastrophe, sondern vielmehr eine kontinuierliche Herausforderung: Wir müssen unser Lagebild weiter schärfen, Sicherheitstechniken weiterentwickeln und den engen Austausch aller Beteiligten aufrechterhalten. Gerade diese Dynamik treibt uns an. Sie zwingt uns, innovativ zu bleiben und ständig zu lernen.
Denis Fengler berichtet für WELT und WELT AM SONNTAG aus Hamburg über Themen der inneren Sicherheit und spannende Kriminalfälle.