Gerade in dem Moment, als sich Stefan Ziegler über Fahrradfahrer echauffiert, die über den Gehweg rauschen, prescht an der Kreuzung der Truderinger Straße mit der Max-Rothschild-Straße ein Rechtsabbieger mit dem Auto nur wenige Zentimeter an ihm vorbei. Über den Gehweg. „Das gibt es hier auch“, sagt der Vorsitzende des Bezirksausschusses Trudering-Riem und schüttelt den Kopf. Als nur wenige Sekunden später eine Fahrradfahrerin nicht ganz so schnell auf dem Bürgersteig an dem CSU-Politiker vorbeifährt, konstatiert dieser nüchtern: „Diese Straße funktioniert einfach nicht. In der Theorie war alles nett gedacht, aber in der Praxis geht es komplett nach hinten los.“
Die Truderinger Straße im alten Ortskern Straßtrudering war und ist ein Politikum, auf engstem Raum sind hier die Probleme einer Millionenstadt wie unter einem Brennglas zu beobachten. Nach etwa zehnjähriger Planungszeit und einer zweijährigen Bauphase wurde der Abschnitt zwischen der Bajuwarenstraße und dem Schmuckerweg im März 2023 eingeweiht.
Und eine wenig ansehnliche Durchgangsstraße verwandelte sich in einen kleinen Boulevard, der auf wenigen Hundert Metern insbesondere Fußgängern mehr Raum bietet. Vor der Eisdiele „Eisinsel“ und dem Truderinger Fruchtmarkt lassen sich Eltern und Kinder auf den neuen, breiten Bänken in der Sonne ihr Eis schmecken. „Es ist mit dem Umbau sehr vieles besser geworden. Gerade wegen der Aufenthaltsqualität ist die Straße ja auch preisgekrönt“, konstatiert auch Ziegler.
Der BA-Vorsitzende Stefan Ziegler ist mit der umgestalteten Truderinger Straße nicht ganz glücklich. (Foto: Martin Mühlfenzl)
Dennoch wird in Trudering nach wie vor darum gerungen, ob die Umgestaltung der zentralen Durchgangsstraße – ausgezeichnet mit dem „Polis Award“ für „Reaktivierte Zentren“ – tatsächlich für alle Verbesserungen mit sich gebracht hat. Nach einem tragischen Verkehrsunfall im September 2024, bei dem ein Radfahrer an der Ecke Truderinger Straße/Schmuckerweg mit einem Linienbus kollidierte und schwer verletzt wurde, haben die Diskussionen über die Sicherheit in der Ortsmitte noch einmal Fahrt aufgenommen. Denn das eigentliche Ziel des Umbaus war nicht nur, die Gehsteige auf teilweise mehr als vier Meter zu verbreitern, sondern auch Fahrradfahrer besser zu schützen – und den Durchgangsverkehr zu reduzieren.
Letzteres sei in den vergangenen zwei Jahren auch gelungen, sagt Münchens Baureferentin Jeanne-Marie Ehbauer bei einem Stadtteil-Spaziergang mit Stadtbaurätin Elisabeth Merk durch Straßtrudering. Etwa 15 000 Fahrzeuge hätten die Truderinger Straße vor dem Umbau noch befahren, mittlerweile seien es 8000 am Tag, so Ehbauer. Das Ziel, den Raum für das Auto deutlich zu reduzieren, sei erreicht worden. Und auch Radfahrer würden nun deutlich besser vorankommen.
Der Umbau der Truderinger Straße gilt als Erfolgsmodell und ist sogar preisgekörnt. Doch es gibt auch Kritik an dem Projekt. (Foto: Johannes Simon)
Radler weichen verbotenerweiße wegen des hohen Verkehrsaufkommens immer wieder auf den Gehweg aus. (Foto: Johannes Simon)
„Aufwerten, wohnbarer und nutzbarer machen“ – das habe man geschafft, sagt Stadtbaurätin Merk. Und zwar nicht nur für die etwa 530 Bewohnerinnen und Bewohner rund um die Truderinger Straße, sondern für den gesamten Stadtbezirk mit seinen weit mehr als 50 000 Einwohnern. Das alles sei in zehn Jahren erreicht worden bei einer deutlichen Reduzierung des Verkehrs, so Merk, gleichwohl die Straße eine Durchgangsstraße geblieben sei.
Doch sind Fahrradfahrer auf der Truderinger Straße wirklich sicherer unterwegs als vor dem Umbau? Auf dem sanierten Abschnitt, auf dem Tempo 20 gilt, teilen sich die Radler die Fahrbahn nicht nur mit den Autos, sondern auch mit den Bussen. Insgesamt vier Linien sind hier unterwegs, alle drei, vier Minuten hält ein Bus an den Haltestellen Bajuwarenstraße und Schmuckerweg – und bremst dadurch den Verkehr aus. Dies hat zur Folge, dass Fahrradfahrer immer wieder auf die Gehwege ausweichen. Was eigentlich nicht erlaubt ist.
Hinzu kommt, dass die Truderinger Straße schon vor dem Umbau eine belebte Geschäftszeile war und nach wie vor ist, auch wenn sich die Zahl der Parkplätze durch die Verkehrsberuhigung deutlich reduziert hat. Nördlich der Straße aber wirkt das Gewerbegebiet mit mehreren großen Supermärkten wie ein Magnet für Menschen, die zum Einkaufen gerne das Auto nutzen. Und nicht zuletzt der Schmuckerweg zieht als Überquerung der Bahngleise in den nördlichen Stadtbezirk Richtung Messe und Autobahn den Verkehr an. Die Konflikte auf der Straße sind also unvermeidlich. „Das ist München im Kleinen“, sagt BA-Chef Ziegler.
Für ihn lässt sich in der Truderinger Straße auch ein Verdrängungskampf beobachten, der eine ganze Stadt erfasst habe, in der öffentlicher Raum immer begrenzter werde. „Früher hat man die Stadt, was ein Fehler war, zu autofreundlich gestaltet. Heute denkt man nur an das Fahrrad“, sagt er. Der Witz an der Truderinger Straße aber sei, dass diese „das am wenigsten gelungene Beispiel“ dafür sei, Fahrradfahrern mehr Raum zu geben. „Sicherer ist für Fahrradfahrer nichts geworden, und ich kann jeden verstehen, der bei dem Konfliktpotenzial auf den Gehweg ausweicht“, sagt der BA-Vorsitzende.
Nur wie können diese Konflikte in Straßtrudering gelöst werden? Zur Anlieger-frei-Straße tauge die Truderinger Straße nicht, sagt Ziegler. Die Zahl der Buslinien reduzieren? Dafür sei der öffentliche Personennahverkehr zu wichtig. Die Straße umbauen und verbreitern, Radspuren einrichten und die Verkehrsformen voneinander trennen? Darüber reden sie in Trudering seit dem schlimmen Verkehrsunfall. Aber der preisgekrönte Umbau ist keine drei Jahre her.