Die Idee hat etwas Bestechendes: In den mehr als 30 Dramen, die Shakespeare, der Weltmeister des Theaters, verfasst hat, wiederholen sich Figurenkonstellationen und Handlungsmuster, teils als Komödie, teils als Tragödie. Auf diese Weise beleuchten sich die Stücke auch untereinander. Bieten die Variationen von Motiven, sich wechselseitig kommentierend, möglicherweise neue Einblicke? Der Frage geht Elisabeth Bronfen in ihrem Buch „Shakespeare und seine seriellen Motive“ nach.

Ein erstes Beispiel: Es ist keine Frage, dass einzelne Dinge und Requisiten zu Akteuren auf dem Welttheater Shakespeares werden können. Hier geht es um Taschentücher als Liebespfand (wie im „Othello“) oder als blutgetränkte Erinnerung an einen Mord (in den Historienstücken), um Juwelen und Briefe, um Ringe – oder auch abgeschlagene Köpfe, die in der Tat eine Rolle spielen.

Zu oft gerät Elisabeth Bronfen ins bloße Nacherzählen

Aber in der Fülle und Kurzatmigkeit kleiner Textausschnitte gerät Elisabeth Bronfen zu oft ins Nacherzählen und Berichten. Die Komplexität gerade der Komödien mit ihren Verwechslungen und Verkleidungen lässt sich nur schwer einholen. Und dass manche Szenen – aus Shakespeares „Sommernachtstraum“ oder „Cymbeline“ – aus unterschiedlichen Perspektiven mehrfach erzählt werden, trägt eher zur Desorientierung bei. Und dies, obwohl zunächst eine sehr anspruchsvolle Terminologie eingeführt wird, wenn von „Denkfiguren“ und „Denkräumen“ im Anschluss an Walter Benjamin und Aby Warburg die Rede ist, ohne dass daraus erkennbare Folgerungen gezogen würden, wenn sich die Darstellung dann doch vielfach auf der Motivebene bewegt.

Es gibt in Bronfens Buch aber durchaus erhellende Beobachtungen und Interpretationen, etwa wenn die Schlafwandlerszene der Lady Macbeth im Rahmen von Traumwelten und Geistererscheinungen verhandelt wird. Oder wenn die Verkleidung der Portia als Richter im „Kaufmann von Venedig“ nicht nur Shakespeares vielfache Praxis des Kleidertauschs illustriert, sondern auch als Auseinandersetzung mit der männlichen Übermacht gelesen wird. Ein eigenes Kapitel ist auch der „Souveränin“ gewidmet, die als weibliche Machthaberin die Verwundbarkeit der Männer zeigt.

Verspürte Shakespeare einen „seriellen Drang“?

Aber einen „Wiederholungszwang“ oder „Versatzstücke“ anzunehmen, wird dem Raffinement der Stücke nicht gerecht, selbst wenn deutlich erkennbar Spiegelungen zwischen ihnen bestehen. Von einer „seriellen Logik“, gar einem „seriellen Drang“ bei Shakespeare zu sprechen, erscheint eher Ausdruck der gewollten Interpretation zu sein denn eine Beobachtung am Werk. Bedarf es wirklich der Beschreibung von „Staffeln“, „Episoden“ und „Cliffhangern“, dem angeblichen „Spiel des Recyclings“, gar der These, dass Shakespeare „sich selbst rezykliert“, um Parallelen und Analogien der Stücke sichtbar zu machen?

Bleibt man etwas ratlos, wenn Ophelias Wahnsinn als „Ableben der Vernunft“ beschrieben wird, oder warum einmal von einem „transgressiven Beischlaf“ die Rede sein soll, so steigert sich das Befremden im Lauf der Lektüre erheblich. Freilich, es handelt sich bei der Autorin um eine angesehene, renommierte Expertin, die in Zürich und New York Anglistik unterrichtet hat. 2020 hatte sie ein Buch „Serial Shakespeare. An Infinite Variety of Appropriations in American TV Drama“ herausgebracht. Das schön gestaltete und hier zu besprechende Buch ist in einem Verlag mit großem Namen erschienen. Aber das Vertrauen der Leser oder Leserinnen wird immer wieder enttäuscht.

Shakespeares Figuren werden unterschiedlich geschrieben

Wie kommt es, dass Shakespeares Verse durchweg in fortlaufende Prosa niedergebügelt werden? Dass ein Lektorat nicht aufpasst, wenn immerhin zwanzig Mal von einem „klandestinen“ Vorgang die Rede ist? Oder dass es gar die leider ärgerlich zahlreichen Verstöße gegen die Rechtschreibung oder die Grammatik nicht ausbessert? Aber auch die Figuren und Orte Shakespeares werden mitunter unterschiedlich (Silvia und Sylvia, Helsingör und Elsinor) geschrieben, Verwechslungen sind angesichts der Fülle fast unvermeidbar (Leontes statt Laertes, Viola statt Portia). Auch wenn es der Absicht entspricht, Fragen der Philologie und der Epoche zu vernachlässigen, dürfte doch nicht von „Triumvirs“ und „Tribune“ in Rom die Rede sein.

So bietet das Buch mitunter anregende, mitunter verwirrende Kreuz- und Querlektüren Shakespeares; wer sich bei ihm auskennt, mag den werkübergreifenden Spiegelungen aufmerksam folgen. Für Insider bietet der Anhang mit den Hinweisen zur Forschung weiteres, reiches Material. Aber der unerschöpfliche Witz und der Abgrund dieses Welttheaters erscheint in diesem Buch eher in einzelnen Blitzen.

Elisabeth Bronfen: Shakespeare und seine seriellen Motive. S. Fischer, 398 Seiten, 29 Euro.

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  • Richter

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  • Venedig

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