Ein halbes Jahr nach dem Prozessbeginn um den Mord an Polizist Rouven Laur in Mannheim rückt das Urteil näher. Die Plädoyers stehen an. Eine Entscheidung wird im September erwartet.

Sechs Monate nach Beginn der Hauptverhandlung im Mordprozess gegen Sulaiman A. am Oberlandesgericht (OLG) in Stuttgart-Stammheim wird die Bundesanwaltschaft an diesem Donnerstag voraussichtlich ihren Schlussvortrag halten. Damit endet eine lange Zeit der Beweisaufnahme. Der geständige 26-jährige Afghane ist wegen Mordes und fünffachen versuchten Mordes angeklagt. Ihm werden als Mordmerkmale niedrige Beweggründe sowie in zwei Fällen Heimtücke zur Last gelegt. 

Die beiden Vertreterinnen des Generalbundesanwalts haben im Verlauf des Prozesses in der öffentlichen Hauptverhandlung nur sehr wenige Fragen gestellt. In der Anklageschrift sind die aus ihrer Sicht entscheidenden Punkte genannt. Es ist davon auszugehen, dass diese in den Schlussvorträgen noch einmal unterstrichen werden. Interessant wird werden, ob die Feststellung der „besonderen Schwere der Schuld“ und eine sogenannte „Sicherungsverwahrung“ nach Verbüßen der Haftstrafe gefordert werden wird.

Marktplatz-Prozess in Stuttgart: Letzte Zeugen wurden gehört

Zahlreiche Zeugen sind seit dem 13. Februar in Saal 1 des stark gesicherten Prozessgebäudes gehört worden. Zuletzt stand das psychiatrische Gutachten zum Angeklagten Sulaiman A. im Fokus. Kurz zuvor war seine Ehefrau als eine der letzten Zeuginnen in der Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden Richter Herbert Anderer befragt worden. Nicht zuletzt bei der Familie des getöteten Polizisten Rouven Laur hatte diese Befragung gemischte Gefühle hinterlassen. Auch das familiäre Umfeld von Sulaiman A. wurde geladen. In den Wochen davor stand der Einsatz der Polizei im Mittelpunkt: Der baden-württembergische LKA-Präsident, die Mannheimer Polizeipräsidentin sowie Beamtinnen und Beamte schilderten den 31. Mai 2024 aus ihrer Sicht.

Sulaiman A.: Geständnis mit Parallelen

Sulaiman A. hat den Prozess in weiten Teilen nahezu regungslos verfolgt. Nach wie vor befindet er sich in Einzelhaft. Bei seiner eigenen Befragung antwortete er ruhig, aber ausführlich. Er selbst hatte von einer „schrecklichen Tat“ gesprochen. Zu Beginn des Gaza-Krieges habe sich etwas in ihm verändert, erklärte Sulaiman A. Ende März dieses Jahres im Prozess. Im Messenger-Dienst Telegram habe er leidende und getötete muslimische Frauen und Kinder gesehen. Das habe ihn tief bewegt. Er habe „jeden Tag mitgeweint“. Ihren weinenden Ehemann hatte auch seine Ehefrau beschrieben.

Stuttgart

Eingangsbereich des OLG Stuttgart-Stammheim


Welche Rolle spielten Islam-Prediger?
Prozess wegen Messerangriff in Mannheim: IS-Telegram-Chats im Fokus

Im Staatsschutzverfahren gegen Sulaiman A. ging es am Dienstagvormittag um Telegram-Chats. Offen bleibt bislang, inwiefern sie den Angeklagten zu seiner Tat motiviert haben.

Telegram-Chats habe er dann als konkrete Anleitung zum Töten empfunden. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob er es als seine religiöse Pflicht angesehen habe, den Islamkritiker Michael Stürzenberger zu töten, sagte der Angeklagte: „Ja, ich wollte das machen.“ Vor der Tat habe er sich aber von einem Chat-Partner im Messenger-Dienst Telegram, den er einen „Gelehrten“ nannte, die „Erlaubnis geholt, Ungläubige zu töten“.

Diese Einlassungen weisen verblüffende Parallelen zu einem anderen Prozess auf, der aktuell in Düsseldorf am dortigen Oberlandesgericht verhandelt wird: Im Solingen-Prozess sagte der zuständige Psychiatrische Sachverständige, der Angeklagte Syrer Issa Al H. habe ihm erzählt, dass ihn Bilder des Kriegs im Gazastreifen von getöteten palästinensischen Kindern sehr bewegt hätten. Er habe diese Bilder auf seinem Telegram-Kanal weiterverbreitet. Daraufhin sei er von einem Unbekannten angeschrieben worden, der ihn aufgefordert habe, einen Anschlag in Deutschland zu begehen. Die Deutschen seien mitverantwortlich. Dieser Mann habe ihm „das Gehirn gewaschen“, er sei hereingelegt worden und letztlich selbst ein Opfer.

Angeklagter eine Gefahr für die Allgemeinheit?

Im Fall von Sulaiman A. droht dem Angeklagten eine lebenslange Freiheitsstrafe. Eine besondere Schwere der Schuld steht ebenfalls im Raum. Sulaiman A. könnte dann nicht nach 15 Jahren Haft einen ersten Antrag auf Bewährung stellen. Eine psychische Störung liegt bei ihm laut Gutachten nicht vor. Dennoch lässt auch das durch den Experten angefertigte Gutachten keinen finalen Schluss zu, ob Sulaiman A. nach einer sehr langen Haftstrafe noch eine Gefahr für die Allgemeinheit sein könnte. Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es bei solchen Einschätzungen ohnehin nie.

Deshalb wird es für den 5. Senat des OLG Stuttgart in der Frage einer möglichen Sicherungsverwahrung noch einmal komplizierter. Ende Juli hatte der Vorsitzende Richter einen rechtlichen Hinweis gegeben: Es ging um Paragraf 66 und 66a des Strafgesetzbuches. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, beziehungsweise den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung, die auch im Verlauf einer Haftstrafe noch angeordnet werden könnte. Es war ein Hinweis darauf, dass dies zumindest in der Abwägung des Senats eine Rolle spielen wird.

Stuttgart

Ein Flugzeug hebt hinter einem Zaun mit Natodraht ab.


Nach Messerangriff in Stuttgart
Fragen und Antworten: Darum ist eine Abschiebung trotz Strafakte schwierig

Nach dem Messerangriff in Stuttgart vor einer Woche ist klar: Der syrische Tatverdächtige hat schon ein langes Strafregister. Eine Abschiebung ist trotzdem ein Problem.

Di.6.8.2024
19:30 Uhr

SWR Aktuell Baden-Württemberg

SWR BW

Schon zu Beginn des Prozesses hatte der Vorsitzende Richter die Rolle des Verfahrens in einem Eingangsstatement präzisiert. In dem Prozess – so Anderer im Februar – gehe es vor allem anderen um die individuelle Schuld des Anklagten. Das sei Sinn und Zweck des Strafprozesses. Das Verfahren sei kein Untersuchungsausschuss, sei keine parlamentarische Stunde. Ein Fingerzeig auf Debatten rund um Abschiebungen und Terrorismus. Sulaiman A. aber ist in diesem Verfahren explizit nicht für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Es geht in seinem Fall um die Radikalisierung eines Einzelnen. Und dennoch lassen sich Parallelen der Radikalisierung – siehe Solingen – nicht ausblenden.