Bielefeld. Die 17-jährige Schülerin Zhinwar M. aus Bielefeld verschwindet am 25. April 2022 spurlos – im Nordirak. Die Deutsch-Irakerin war zuvor mit ihren Eltern und einem Bruder zu dieser Auslandsreise aufgebrochen. Zwei Wochen nach ihrer Rückkehr meldet die Familie das junge Mädchen bei der Polizei in Bielefeld als vermisst. Denn die Familie kehrt ohne die Tochter zurück. Seitdem fehlt von Zhinwar jede Spur.
Die junge Bielefelderin gilt als lebensfroh und kontaktfreudig, liebt Tanzen und soziale Netzwerke. Doch zu Hause bestimmten offenbar auch strenge Sitten und konservative Regeln ihren Alltag – für die 17-Jährige ein eskalierendes Doppelleben zwischen Freiheit und Kontrolle.
Seit dem 25. April 2022 gibt es kein Lebenszeichen von der 17-jährigen Bielefelderin Zhinwar M. – Ermittler befürchten, dass sie tot ist.
| © Polizei
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In der neuen Folge von „OstwestFälle“, dem True-Crime-Podcast der „Neuen Westfälischen“, spricht Moderatorin Birgitt Gottwald mit NW-Redakteur Jens Reichenbach über diesen ungewöhnlichen Fall, der Ermittler über Landesgrenzen hinweg beschäftigt hat – und bis heute ungelöst ist.
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Der Fall Zhinwar M. – der Fall im Überblick:
- Die 17-jährige Zhinwar M. aus Bielefeld reist mit ihrer Familie am 9. April 2022 in die Türkei, angeblich wegen einer Zahnoperation.
- Da der Eingriff in der Türkei abgelehnt wird, erfolgt eine Weiterreise in den Nordirak. Dort soll die Operation durchgeführt worden sein.
- Am 25. April 2022 kehren Vater, Mutter und Bruder nach Deutschland zurück – ohne Zhinwar. Sie soll im Nordirak aus einem Taxi gesprungen und seitdem verschwunden sein.
- Erst zwei Wochen später meldet der Vater seine Tochter bei der Bielefelder Polizei als vermisst. Die Kripo erfährt von dem Fall zuvor nur durch eine besorgte Freundin der Vermissten.
- Seitdem fehlt von Zhinwar jede Spur.
Die Reise beginnt mit einer Operation
Am 9. April 2022 reist die junge Frau gemeinsam mit Vater, Mutter und einem Bruder in die Türkei. Die Familie gibt an, dass bei der 17-Jährigen eine kosmetische Zahn-OP geplant sei. In der Türkei jedoch wird der Eingriff verweigert – das Alter der Patientin sei zu gering. Daraufhin reist die Familie weiter in den Irak, in die Heimatregion der Eltern.
Die „Mordkommission Reise“, die in dem Fall ermittelt, geht von dieser Flugroute der Familie aus. Zhinwar M. kehrte nicht nach Bielefeld zurück.
| © Grafik: Yvonne Vogt
Dort soll die Operation nach Angaben des Vaters durchgeführt worden sein. Geplant ist eine Nachkontrolle drei Tage nach dem Eingriff. Der Vater kehrt währenddessen bereits nach Deutschland zurück – geschäftliche Verpflichtungen, wie er erklärt. Mutter und Tochter bleiben im Nordirak. Am 25. April 2022 fliegt die Familie zurück – doch bei diesem Rückflug ist die 17-Jährige nicht mehr dabei.
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Zwei Wochen lang fehlt jede Meldung
Erst zwei Wochen nach ihrer Rückkehr nach Deutschland meldet der Vater seine Tochter bei der Polizei in Bielefeld als vermisst. Doch nicht der Vater selbst bringt den Fall ins Rollen. Vielmehr ist es eine Freundin der Vermissten, die sich an die Behörden wendet. Anlass dafür soll ein Streit mit dem Vater gewesen sein, bei dem es um eine verschwundene Bankkarte und 1.000 Euro gegangen sein soll. Das Geld soll ohne Absprache abgehoben worden sein. Als die Polizei daraufhin Kontakt zur Familie aufnimmt, räumen die Familienmitglieder das Verschwinden der Tochter ein.
Der Vater berichtet in seiner Vernehmung, dass Zhinwar mit der Mutter unterwegs gewesen sei. Irgendwo zwischen Dohuk und Mossul im kurdischen Nordirak sei das Mädchen plötzlich aus dem Taxi gesprungen und weggelaufen. Diese Geschichte wirft Fragen auf, denn die junge Bielefelderin leidet an schwerer Diabetes. Ohne regelmäßige medizinische Versorgung, insbesondere Insulin, wäre ein längerer Aufenthalt ohne Hilfe lebensgefährlich. Laut Zeugen hatte die Schülerin schon vorher regelmäßig Probleme mit der Einstellung ihres Blutzuckerspiegels.
Ein Leben zwischen zwei Kulturen
Da ein freiwilliges Verschwinden der Jugendlichen immer weniger plausibel erscheint, gründet die Polizei in Bielefeld eine Mordkommission unter Leitung von Kriminalhauptkommissar Markus Mertens. Schnell wird klar: Die familiären Verhältnisse spielen eine zentrale Rolle bei den Ermittlungen. Demzufolge lebte das Mädchen nach verschiedenen Zeugenaussagen in einem streng traditionell geprägten Elternhaus. Kleidung, die Schultern oder Knie zeigte, war ihr verboten. Kontakte zu Jungen musste sie geheim halten. Als sie bekannt wurden, gab es ernste Probleme mit der Familie.
Vor dem Verschwinden soll sich Zhinwar zunehmend gegen all diese Regeln aufgelehnt haben. Zwei Wochen vor der Reise soll es zu einer massiven Eskalation gekommen sein, die dazu geeignet war, die Familie zu brüskieren. Ein Video soll in der Community viral gegangen sein. Ermittler sprechen später von einer „Grenzüberschreitung“ des Mädchens, deren Details zum Schutz der Jugendlichen aber nicht öffentlich gemacht werden.
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Hinweise auf eine mögliche Zwangsheirat
Die Polizei bekam mehrere Hinweise auf eine mögliche Zwangsheirat im Irak.
| © dpa
Am 9. Juni 2022 durchsuchen Polizeikräfte Wohnungen von Zhinwars Familie in Bielefeld und im Rhein-Erft-Kreis. Die Auswertung der Handy-Chats und Mail-Kommunikation durch das LKA liefert jedoch keine neuen Erkenntnisse. Die Ermittler stoßen weder auf eine Absprache zu einem gemeinsam gefassten Plan, noch führen Hinweise aus dem Ausland weiter.
Freundinnen aus Bielefeld berichten, Zhinwar habe mehrfach erzählt, dass für sie nach ihrem 18. Geburtstag geplant gewesen sei, in den Irak zu gehen, um dort zu heiraten. Ob sie sich dem fügte oder sich – je näher dieser Tag rückte – dem Plan widersetzte, bleibt unklar. Die Polizei geht Hinweisen nach, die auch eine mögliche Zwangsverheiratung ins Spiel bringen.
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Insider vermuten, dass das Verschwinden mit dem sogenannten „Ehrbegriff“ der Familie zusammenhängen könnte. Die jüngste Grenzüberschreitung könnte in traditionellen Kreisen der kurdisch-jesidischen Community durchaus als Ehrverletzung der Familie verstanden werden. Deshalb gehen manche sogar davon aus, dass die 17-Jährige im Irak getötet worden sein könnte – um die Ehre der Familie wiederherzustellen. Die Aussagen der Familienmitglieder dazu sind laut Polizei „widersprüchlich“. Von Anfang an spricht die Mordkommission von einer „Wand des Schweigens“. Das führt zu einer großen Skepsis gegenüber der Familie.
Der Vater weist Vorwürfe zurück
Über Rechtsanwalt Andreas Chlosta lässt der Vater schließlich mitteilen, er und seine Familie würden zu Unrecht verdächtigt. Man sei nicht besonders religiös und schon gar nicht fundamental. Konflikte mit der Tochter bestätigte der Vater indes. Sie seien aus der Sorge entstanden, die Jugendliche könnte sich mit falschen Freunden abgegeben haben – der Vater spricht von möglichem Alkohol- oder Drogenmissbrauch. Beweise dafür finden sich allerdings ebenso wenig.
Der Vater berichtet schließlich, dass seine Tochter bereits in der Vergangenheit von zu Hause weggelaufen sei. Damals sei sogar das Jugendamt involviert gewesen. Die Jugendliche lebte deshalb zeitweise in einer Jugendwohngruppe, kehrte jedoch bald zu ihrer Familie zurück.
Wichtige Hinweise aus dem Irak erreichen Bielefeld bisher nicht
Für die Mordermittler ist das Frustrierende: Die entscheidenden Hinweise können eigentlich nur aus dem fernen Irak kommen. Doch von dort ist seitdem nichts zu erfahren. Der ermittelnde Staatsanwalt Veit Walter hatte zwar 2022 ein Rechtshilfeersuchen auf den Weg gebracht und er hofft bis heute, dass sich die irakischen Behörden bei ihnen noch melden. Doch das ist bisher nicht geschehen. Trotzdem betont Walter auch 2025 – mehr als drei Jahre nach dem Verschwinden des Mädchens: „Irakische Behörden haben in der Vergangenheit mit uns zusammengearbeitet. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir von dort noch einen wichtigen Hinweis erhalten.“ Die Ermittlungen in dem Fall sind somit bis heute nicht abgeschlossen.
Der erfahrene Kriminalhauptkommissar Markus Mertens, Leiter der im Fall Zhinwar ermittelnden „Mordkommission Reise“, äußerte sich in einem Interview schon anfangs der Ermittlungen deutlich pessimistischer: „Ich ganz persönlich bin der Auffassung, dass wir dieses Mädchen nicht lebend wiedersehen werden.“