Beim Landeuro Symposium and Exposition der Association of the US Army (AUSA) in Wiesbaden präsentierten Experten kürzlich neue Erkenntnisse zum sich rasant entwickelnden russischen Drohnenkrieg – insbesondere im Bereich Langstreckendrohnen.
Dreifache Angriffszahl, neue Taktiken
Russland setzt demnach mittlerweile dreimal so viele Langstreckendrohnen ein wie noch vor sechs Monaten. Auch Taktik und Technik wurden angepasst: Während die Drohnen früher in niedriger Höhe flogen, um Radarsysteme zu unterlaufen, steigen sie heute auf mehr als 3.000 Meter, um der Bodenflak – etwa Maschinengewehren auf Pickups – zu entgehen. Erst kurz vor dem Ziel sinken sie auf 500 bis 1.500 Meter ab.
Von der Attrappe bis zur Thermobombe
Etwa die Hälfte der eingesetzten Drohnen sind einfache Attrappen ohne Sprengköpfe – entwickelt, um Flugabwehrsysteme zu täuschen. Die übrigen tragen inzwischen bis zu 100 Kilogramm TNT, verglichen mit den zuvor üblichen 30 Kilogramm. Die größere Sprenglast reduziert zwar die Reichweite, doch Starts aus „nur” 700 Kilometern Entfernung sind in der Praxis ausreichend. Teilweise kommen auch Streumunition oder thermobarische Gefechtsköpfe zum Einsatz.
Die Kosten für die eingesetzten Drohnen liegen je nach Modell zwischen 15.000 und knapp 200.000 Euro. Einige neue russische Typen sind mit Düsentriebwerken ausgestattet und erreichen Geschwindigkeiten von bis zu 450 km/h.
KI-Schwärme gegen ukrainische Flugabwehr
Ein zentraler Gamechanger: Der Einsatz künstlicher Intelligenz. Die neuesten Shahed-Modelle koordinieren ihre Angriffe per KI, sammeln sich vor dem Zielgebiet und greifen im koordinierten Schwarm an – mit dem Ziel, die ukrainische Flugabwehr zu überlasten. Während im März noch 95 Prozent t der Drohnen abgeschossen werden konnten, liegt die Erfolgsquote heute bei nur noch 70 bis 85 Prozent.
Abwehrmaßnahmen und Grenzen
Maschinengewehre als Punktverteidigung kommen laut Informationen von der AUSA nur auf etwa 40 Prozent Erfolgsquote. Effizienter sind Kanonen ab 23 Millimeter, wie die ZU-23 (bis 2.000 Meter) oder Gepard mit 35-Millimeter-Geschützen (bis 3.000 Meter). Doch diese Systeme sind in der Ukraine (-> Aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg) nicht in ausreichender Zahl vorhanden.
Kampfjets wie F-16 oder MiG-29 werden ebenfalls gegen Drohnen eingesetzt – allerdings unter hohem Risiko. Abfangdrohnen mit Annäherungsdetonation erreichen eine Abschussrate von 70 Prozent und sind mit Positionslichtern zur Freund-Feind-Erkennung versehen. Ziel der Ukraine ist es, künftig 1.000 solcher Drohnen pro Tag zu produzieren, zum Stückpreis von knapp 5.000 Euro.
Finanzierungsbedarf: Bis zu 6 Milliarden Euro
Um dieses Ziel zu erreichen, beziffert die Ukraine ihren Bedarf auf rund 1,6 Milliarden Euro für Abfangdrohnen. Für die Gesamt-Drohnenkapazität – inklusive Langstrecken- und taktischer Drohnen – fordert Präsident Wolodymyr Selenskyj rund knapp 6 Milliarden Euro. Aktuell produziert die Ukraine etwa 200 Drohnen pro Tag, bei einer Kapazität von bis zu 350 – begrenzt nur durch die Finanzierung.
Herausforderung: russische Düsendrohnen
Ein neues Risiko geht von russischen Düsendrohnen aus, wie sie zuletzt auch am 31. Juli in einer Gruppe von acht Drohnen eingesetzt wurden. Sie sind zu schnell für bestehende Abfangdrohnen und können derzeit nur mit Raketen bekämpft werden, die 500.000 bis 1 Million Euro pro Stück kosten. Aufgrund der Komplexität und Kosten bleibt abzuwarten, wie rasch Russland die Produktion skalieren kann.
Offensive Drohnenstrategie der Ukraine
Auch die Ukraine setzt Langstreckendrohnen gegen Russland ein. Aktuellen Informationen zufolgel erreichen von 50 gestarteten Drohnen etwa 10 das Ziel – mit meist begrenztem Schaden, da Russland über eine Vielzahl dezentraler Produktionsstätten verfügt.
Die Ukraine verzeichnet zahlreiche Erfolge bei der Abwehr russischer Drohnen – doch die stetig wachsende Zahl angreifender Systeme bringt die Verteidiger zunehmend an ihre Belastungsgrenze.
Dennoch: Der Drohnenkrieg hat sich zur zentralen Komponente des Konflikts entwickelt – mit zunehmender Technologisierung, Automatisierung und finanzieller Abhängigkeit. Die Lufthoheit der Zukunft entscheidet sich immer öfter auf der Ebene der Drohne.
Keine Blaupause für westliche Armeen
Militär Aktuell hat am Rande des RIAT in Fairford (-> Highlights vom Royal International Air Tattoo) auch den Luftkriegsanalysten des RUSI-Instituts, Justin Bronk, getroffen, mit dem bereits seit längerem ein fachlicher Austausch besteht. In einem aktuellen Videoauftritt beim US-Vlogger „Mooch” (ehemaliger F-14-Backseater) mit dem Titel „Why Drones Don’t Win Wars” warnt der Brite ausdrücklich davor, dass westliche Politiker und hochrangige Militärs den Drohnenkrieg der Ukraine gegen Russland – ohne dessen Leistungen zu schmälern – als Blaupause für ihre eigene Ausrichtung oder Doktrin betrachten.
Bronks zentrale Botschaft: Russland habe in über drei Jahren begonnen, sich gegen die inzwischen millionenfach eingesetzten UAVs wirksam – jedenfalls aber deutlich effizienter als die oft träge agierenden europäischen Friedensbürokratien – zu verteidigen. Mit Unterstützung unter anderem aus dem Iran habe Moskau zudem eigene weitreichende Drohnensysteme zur Einsatzreife gebracht.
Voller Fokus auf die Drohnenabwehr
Daraus folgert Bronk: Europa und die USA sollten im Falle eines potenziellen Konflikts mit Putins Russland nicht auf „Drohnenarmeen”, sondern auf leistungsfähige Drohnenabwehr setzen. Denn westliche Streitkräfte seien organisatorisch und strukturell nicht in der Lage, Innovationszyklen auf Kompanie- oder Bataillonsebene so schnell umzusetzen, wie es die Ukraine im Kriegszustand notgedrungen tue.
Die Ukraine sei heute „UAV-Weltmarktführer” – diesem Vorsprung hinterherzulaufen sei wenig zielführend. Bronks klares Fazit: „Alles in die Abwehr!” – das müsse das Leitprinzip für westliche Armeen sein.
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