Ein Wiedersehen nach drei Jahrzehnten: »La Haine – Hass« ist ein starkes Regiedebüt von Matthieu Kassovitz über den Brennpunkt der Banlieues vor den Toren von Paris. Der Film löste in Frankreich bei seinem Erscheinen eine hitzige Debatte über die Zustände und verbreitete Perspektivlosigkeit in den Trabantenstädten aus und ist auch dreißig Jahre später nach wie vor aktuell.

09.08. 20 Uhr, 10.08. 20 Uhr (OmU), Schauburg, 10.08. 19 Uhr (OmU), Regina-Palast,
10.08. 20 Uhr (OmU), 11.08. 20 Uhr, Kinobar Prager Frühling

Film der Woche: Katinka (Karolin Nothacker) ist 17. Sie will den Bauernhof der Familie weiterführen und macht eine Lehre zur Landwirtin. Doch von der Landwirtschaft kann kaum mehr einer leben und als Frau muss sie ohnehin einen wohlhabenden Bauern erwischen und heiraten. Ihre Mutter (Johanna Wokalek) würde es lieber sehen, wenn sie eine Ausbildung bei Aldi macht oder im Schlachthof anfinge. Katinkas beste Freundin Carina (Pauline Bullinger) will lieber weg. Ihre Pläne zerbrechen jedoch, als sie von Katinkas Bruder Michi schwanger wird.

Es sind die Frauen, die den Hof zusammen halten. Aber gerade sie sind es, die am wenigsten Einfluss auf ihre ohnehin ungewisse Zukunft haben. Die Männer geben keine gute Figur ab in Justine Bauers Regiedebüt. Der Tod seiner Frau versetzt den Nachbarsbauern mit den hübschen Töchtern in eine tiefe Krise. Michi ist ein Dorftrottel, der Stärke in rassistischen Sprüchen sucht. Es geht der Filmemacherin vor allem um eine realistische Darstellung der Bäuerin im Film, die viel zu selten im Kino sichtbar ist. Justine Bauer weiß, wovon sie erzählt, wuchs sie doch selbst auf dem Land auf, einem Hof ähnlich dem in Hohenlohe, dort, wo man noch Fränkisch spricht, wo die vier Frauen ihr Leben leben. Dieses ist nicht übermäßig dramatisiert, sondern herrlich leicht wie der Schwung der Schaukel, die in der ersten Einstellung minutenlang über dem Fluss schwingt. »Milch ins Feuer« erzählt von einem Sommer. Vielleicht ist es der Letzte in dieser Konstellation. Aber es wird schon irgendwie weitergehen. Die Darsteller*innen, viele von ihnen im Dorf gecastet. wirken frei und unverstellt, die Kamera von Pedro Carncier dokumentarisch beobachtend.

»Milch ins Feuer«: ab 7.8., Passage-Kinos, am 10.08. 16:00 in Anwesenheit der Regisseurin Justine Bauer, Luru-Kino in der Spinnerei

Plötzlich geht alles ganz schnell: Die Buchhändlerin Sandra wird von ihren Nachbarn Cécile und Alex darum gebeten, auf den sechsjährigen Elliott aufzupassen – Céciles Sohn aus erster Ehe, wie Sandra und wir erst später erfahren. Denn: bei der hochschwangeren Cécile ist die Fruchtblase geplatzt und sie muss schleunigst ins Krankenhaus. Sandra, die mit Kindern eigentlich nicht viel anzufangen weiß, nimmt sich notgedrungen des aufgeweckten Jungen an. Erst spätabends steht Alex weinend vor ihrer Tür – die kleine Lucille hat zwar gesund das Licht der Welt erblickt, durch eine Komplikation ist Cécile aber während der Geburt verstorben. Was folgt, ist ein zwei Jahre umfassendes und sehr behutsames Porträt mehrerlei Dinge, zeitlich eingeordnet am fortschreitenden Alter des Babys: Von Sandras Ablegen ihres Schutzpanzers, von Alex’ und Elliotts Trauerarbeit und vom fragilen Zusammenwachsen einer Patchwork-Familie, als die Ärztin Emilia in Alex’ Leben tritt. Carine Tardieu, die zuletztdasMelodram»Im Herzen jung« inszenierte, schafft es, jedem der zahlreichen Protagonisten in ihrer Adaption eines Romans von Alice Ferney ausreichend Präsenz zu verschaffen. So entsteht auf der Leinwand ein vielschichtiges, nie klischeehaftes Bild aller Charaktere, aus denen Valeria Bruni Tedeschis Quasi-Hauptfigur Sandra, Pio Marmaïs Alex und der kleine Elliott, gespielt von César Botti, besonders herausstechen.PETER HOCH

»Was uns verbindet«: ab 7.8., Passage-Kinos, Schauburg

Weitere Filmtermine der Woche

Verliebt in scharfe Kurven 
I 1962, R: Dino Risi, D: Vittorio Gassman, Jean-Louis Trintignant, Catherine Spaak, 105 min

Die Komödie porträtiert Italien auf dem Höhepunkt des Wirtschaftswunders in der Nachkriegszeit, seinen Wandel zu einer Konsumgesellschaft sowie das Bröckeln althergebrachter Vorstellungen von Ehe, Familie und des Patriarchats.

Neues Schauspiel Leipzig, 08.08. 19:30 (Einführung von Uta Felten, Italienische Sommernächte, OmU

Blueberry Dreams
GE/B/F/QAT 2024, Dok, R: Elene Mikaberidze, 76 min

Im Norden von Georgien, zwölf Kilometer entfernt von der russisch beeinflussten Region Abchasien, verwirklicht eine Familie ihren Traum und beginnt mit dem Anbau von Blaubeeren. Die dynamisch geführte Kamera begleitet das mutige Unterfangen.

Sommerkino vor der Plagwitzer Markthalle, 07.08. 21:30 (DOK Leipzig Sommerkino, OmeU)

Hectors Reise oder Die Suche nach dem Glück
CAN/D/GB/USA/ZA 2014, R: Peter Chelsom, D: Simon Pegg, Rosamund Pike, Tracy-Ann Oberman

Eines Tages, ausgerüstet mit eimerweise Mut und kindlicher Neugier, beschließt der Londoner Psychiater Hector seine Praxis und seinen Alltag hinter sich zu lassen und sich nur noch dieser Frage zu widmen: Gibt es das wahre Glück?

Pauluskirche Grünau, 08.08. 21:00 (Open-Air-Kino)

The Florida Project
USA 2017, R: Sean Baker, D: Brooklynn Prince, Bria Vinaite, Willem Dafoe, 111 min

(Über)leben in einem sozialen Wohnkomplex am Rande der Traumfabrik. Konsequent aus der Kinderperspektive erzähltes Drama mit viel Menschlichkeit und hinreißenden Hauptdarstellern.

Sommerkino vor der Plagwitzer Markthalle, 14.08. 21:15 (OmU)

Der weiße Hai
USA 1975, R: Steven Spielberg, D: Roy Scheider, Richard Dreyfuss, Robert Shaw, 124 min

Einer der größten Kassenschlager der 1970er Jahre: die abenteuerliche Geschichte vom Kampf gegen einen Riesenhai im Urlaubsparadies.

Open-Air-Kino in der Spinnerei, 08.08. 21:00 (OmU)

Dirty Dancing
USA 1987, 97 min R: Emile Ardolino, D: Patrick Swayze, Jennifer Grey, Cynthia Rhodes

Eine Tochter aus gutem Hause verliebt sich in einem Ferienhotel in den sechziger Jahren in einen Tänzer. Rhythmische Romanze, die inzwischen ebenso Kultstatus genießt wie ihr Soundtrack.

CT-Lichtspiele Taucha, 13.08. 20:00

Drei Farben Trilogie
F/PL/CH 1993/4, R: Krzysztof Kieslowski, D: Juliette Binoche, Julie Delpy, Jean-Louis Trintignant

Krzysztof Kieślowski nutzt in seiner preisgekrönten Trilogie die drei Farben der französischen Nationalflagge (Tricolore) als Titel und die drei Bestandteile des französischen Wahlspruchs Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit als Thema des jeweiligen Films.

Kinobar Prager Frühling, 09., 10., 11.08. 18, 12.08. 20:15

La Grande Bellezza
I/F 2013, R: Paolo Sorrentino, D: Toni Servillo, Carlo Verdone, Sabrina Ferilli, 141 min

In seinem vielfach preisgekrönten Film führt der italienische Regisseur Paolo Sorrentino die High-Society von Rom vor.

Passage-Kinos, 13.08. 20:30 (OmU, Sommer in der Passage)

Hass
F 1995, R: Mathieu Kassovitz, D: Vincent Cassel, Said Taghmaoui, Hubert Kounde, 93 min

Eindringliche, schonungslose Studie zum Leben von Jugendlichen und der Gewalt in einer Pariser Trabantenstadt.

Schauburg, 09.08. 20:0010.08. 20:00 (OmU)
Regina-Palast, 10.08. 19:00 (OmU)
Kinobar Prager Frühling, 10.08. 20:00 (OmU), 11.08. 20:00

Trampen nach Norden
D 1977, R: Wolfgang Hübner, 77 min

Jugenddrama über den 15-jährigen Gunnar, der auf dem Weg von Berlin nach Rostock zufällig Teresa begegnet und mit ihr kreuz und quer durch die DDR trampt.

Passage-Kinos 07.08. 13:45, 08.08. 13:45, 09.08. 13:45

Poems for Stones 

Kurzfilme vom Leipziger Experimentalfilmer Thadeusz Tischbein.

Fortuna – Kino der Jugend, 12.08. 18:00 (mit Film- und Architekturgespräch mit Regisseuren, Reihe »Architektur im Film – Leipzig«)

Supermarkt
D 1974, R: Roland Klick, D: Charly Wierzejewski, Eva Mattes, Michael Degen, 84 min

Roland Klicks Kult-Krimi um einen ausgeflippten Teenager und einem in der Krise befindlichen Journalisten, die beide mit dem Versuch, ihre Verhältnisse zu ändern, Schiffbruch erleiden.

Cineding, 14.08. 19:30 (Reihe Grenzgänger)