DruckenTeilen
Nur wenige Tage vor seinem 39. Geburtstag wurde am Donnerstag das Urteil gegen einen Ghanaer unter anderem wegen tätlichen Angriffs auf Polizeibeamte verkündet. Das Foto mit Verteidiger Philipp Martel entstand beim Prozessauftakt. © Ralf Sussek
Ein psychisch kranker 38-jähriger Ghanaer muss weder in Haft noch in die Psychiatrie. Das hat die Achte Große Strafkammer des Bremer Landgerichts am Donnerstag entschieden.
Zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung hat die Achte Große Strafkammer des Bremer Landgerichts am Donnerstag einen 38-jährigen Ghanaer verurteilt. Der Vorsitzende Dr. Thorsten Prange sprach in seiner Urteilsbegründung von einem „ungewöhnlichen Verfahren mit einem vielleicht etwas überraschenden Ende“. Damit meinte er, dass die Kammer die Unterbringung des Angeklagten in der Psychiatrie des Klinikums Bremen-Ost (KBO) per sofort beendete. Dort war er seit knapp sechs Monaten. Der psychisch kranke Mann verließ den Gerichtssaal ohne Handfesseln.
Der Ghanaer, des Widerstands gegen und Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung, Bedrohung und Beleidigung angeklagt, war zweimal in Auseinandersetzungen mit Polizeibeamten verwickelt. Einmal, im März 2022, wollten ihn Beamte von einer Baustelle entfernen; er dagegen meinte, Eigentümer des Gebäudes mit rund 30 Wohnungen zu sein. Bei der folgenden Handgreiflichkeit wurde ein Polizeibeamter verletzt. Der zweite Vorfall war im Februar dieses Jahres eine Waffenkontrolle durch zwei Bundespolizisten im Bereich des Hauptbahnhofs. Dabei ging er auf dem Vorplatz mit einem Messer in der Hand gezielt auf die Beamten zu. Nach einem Warnschuss und weil er das Messer nicht auf den Boden legte, feuerte einer der Beamten zweimal auf den mutmaßlichen Angreifer. Die Schüsse trafen ihn in der Leistengegend und im Oberschenkel.
Schüsse in die Leistengegend und den Oberschenkel
Die Vorfälle und die Täterschaft des Angeklagten waren zwischen den Beteiligten unstreitig. Der Ghanaer räumte beide Taten ein. Es gab zudem reichlich Zeugen. Der Vorfall auf dem Bahnhofsvorplatz wurde – dessen Videoüberwachung sei Dank – aus mehreren Blickwinkeln aufgenommen, die Aufnahmen wurden in der Verhandlung gezeigt. Bei beiden Geschehen soll die Schuldfähigkeit des Angeklagten aufgrund einer Schizophrenie vermindert gewesen sein.
Den ganzen dritten und letzten Verhandlungstag lang ging es um die Frage, ob der Mann wegen seiner Psychose stationär untergebracht werden muss, weil er noch eine Gefährdung darstellt, oder ob er ambulant behandelt werden kann. Neben einer Oberärztin der Psychiatrie im KBO wurde die Schwester des Angeklagten gehört – und schließlich noch einmal der psychiatrische Sachverständige. Der hatte zuvor von einem „verfestigten Wahn“ gesprochen. Noch im Gerichtssaal hatte der Angeklagte auf Nachfrage erklärt, Eigentümer mehrerer Immobilien zu sein und als Kampfpilot bei der US Air Force gedient zu haben. Allerdings erklärte er, seine vermeintlichen Ansprüche nun nicht mehr mit einem Messer, sondern mithilfe eines Anwalts auf dem Rechtsweg durchsetzen zu wollen.
„Enorme Fortschritte“ in der ambulanten Beahndlung
Trotz dieses Wahns hob das Gericht die Unterbringung in der Psychiatrie auf und hielt eine ambulante Behandlung in der forensischen Institutsambulanz für ausreichend. Die Richter sahen „enorme Fortschritte“ beim Angeklagten; die Medikamente scheinen zu wirken. Zwar gebe es den Wahn noch, jedoch nicht mehr die vormalige Unbeirrbarkeit, so Prange. Die Oberärztin hatte davon berichtet, der Angeklagte habe es ruhig akzeptiert, als sie ihm sagte, dass sie seine Geschichte nicht glaube.
Das Gericht folgte mit der zweifachen Bewährung (einmal für die Haft, einmal für die Unterbringung) dem Antrag der Verteidigung. Rechtsanwalt Philip Martel war in seiner Abwägung in seinem Schlussvortrag zu der Formulierung gekommen, der Angeklagte könne angesichts der Fortschritte während seiner Unterbringung nun „an der Leine“ auf freien Fuß gesetzt werden. Die Staatsanwaltschaft hatte dagegen auf eine Haftstrafe von einem Jahr und eine Unterbringung plädiert.
„Wir haben uns entschieden, Ihnen einen Vertrauensvorschuss zu geben“, richtete sich Prange an den Angeklagten. Man werde aber auch „engmaschig und sorgfältig auf die weitere Entwicklung schauen“. Und bei einer Verschlechterung gebe es für die Kammer – sie hat fünf Jahre lang die Führungsaufsicht über den Angeklagten – die „Möglichkeit einer sofortigen Reaktion“. Das könnte die Anordnung einer Unterbringung für drei Monate oder der Bewährungswiderruf sein.