Der größte Luxus ist nicht Hummer oder Kaviar, sondern Perfektion – und absolute Privatsphäre. Mit diesen Zutaten ist die Villa Feltrinelli zum exklusivsten Hotel der Welt geworden: Vier Mitarbeiter pro Gast, seit Anbeginn vom Chef einzeln ausgewählt. Einen ähnlichen Umgang pflegt auch der Chefkoch – mit seinen Salatblättern.
Benvenuto in Gargnano am Lago di Garda – auf der Westseite, also der edlen Seite des Gardasees. Hier, am Ende einer kleinen Bergstraße, öffnet sich beim Drücken der schönen Kupferklingel das schwere schmiedeeiserne Tor – und wenn es sich Sekunden später hinter dem Gast schließt, dann öffnen sich am Ende der kiesbedeckten Serpentinenstraße inmitten eines tiefgrünen Parks die beiden größten Luxusgüter unserer Zeit: Platz und Ruhe.
Es scheint im ersten Augenblick so still hier, dabei ist es nur die Abwesenheit aller zivilisatorischen Geräusche. Da ist kein Autolärm, kein lautes Gespräch, kein Rasenmäher. Nach einer Weile öffnen sich die Ohren für die Geräusche, auf die es wirklich ankommt: Das Vogelzwitschern, der leichte Wind in den Blättern der Olivenbäume, das Klatschen der Wellen des Gardasees gegen die Mauern, die die Villa umgrenzen.
Eine kleine Vorspeisenauswahl (inklusive bella vista).
(Foto: S. Korge)
Die Villa Feltrinelli ist das exklusivste Hotel der Welt – und jeder, der hier zu Gast ist, würde das unterschreiben. Zu den Stammgästen gehören Julia Roberts, Richard Gere, Hugh Grant und José Carreras – und sie wissen, dass hier niemand den Hals reckt, um sie zu beobachten oder vielleicht – Gott bewahre – ein Gast ein Autogramm erbitten würde. Dafür sind die anderen Gäste viel zu reich oder viel zu diskret, zumeist sogar beides. Gerade deshalb ist es hier so wunderbar.
Budget ohne Obergrenze
Markus Odermatt ist der Mann, der dieses Haus führt – und zwar seit dem Eröffnungstag, es ist sein Lebenswerk. Diskretion, Perfektion, Menschenkenntnis – all das zeichnet ihn aus wie wohl keinen Kollegen sonst auf der Welt – und all diese Dinge sind dem Schweizer offenbar in die Wiege gelegt. Deshalb wählte ihn der Besitzer der Villa aus. Der ist kein Geringerer als Robert H. Burns, ein Hotelier aus den USA, der einst die Regent-Hotelkette gründete und das Haus am Gardasee als Ferienhaus kaufte. Um dann mal die Anzahl der Zimmer durchzuzählen und festzustellen: Upps, doch etwas zu groß für die Familie. Also engagierte er den Schweizer Odermatt – und gab ihm die Traumaufgabe für jeden Hotelier: Einen Ort zu schaffen, der perfekt ist und für den es keine Obergrenze im Budget gibt.
Odermatt zögerte nicht. Wie hätte er auch sollen, bei so einem historischen, wunderschönen und – zuweilen auch tragischen – Ort? 1892 ließ sich die Papier- und Verlegerdynastie Feltrinelli die rote Villa am Gardasee-Ufer ihres Heimatdorfes Gargnano bauen. Vater Carlo starb früh, Sohn Gianciacomo wurde später der bedeutendste Verleger Italiens, doch immer widerstrebte ihm seine reiche Herkunft, er wandte sich schon früh dem Kommunismus zu.
Spiegel von Mussolini
Für zwei Jahre musste die Familie die Residenz verlassen, weil ausgerechnet hier Benito Mussolini untergebracht wurde, es war die Endphase seiner Herrschaft, das Anwesen ein von der deutschen SS geschütztes Versteck, um den selbst ernannten Duce und seine Familie vor Luftangriffen zu schützen. Nach dem Krieg zog wieder die Verlegerfamilie hierher, doch Giangiacomo Feltrinelli radikalisierte sich in seinem Kampf gegen den Kapitalismus immer mehr, schließlich ging er sogar in den Untergrund. 1972 starb er beim Versuch, einen Hochspannungsmast bei Mailand in die Luft zu jagen, die Sprengladung ging zu früh hoch, sagten die Ermittler.
Neue Erkenntnisse legen nah, dass es auch die Geheimdienste gewesen sein könnten, die den charismatischen Verleger aus dem Weg räumten. Das Ende des Magnaten brachte Geldprobleme für die Familie – am Ende mussten sie die Villa preisgeben – und so wurde sie zum schönsten Hotel auf diesem Globus.
Das Interieur stammt noch heute teilweise vom Verleger Feltrinelli, von Mussolini sind nur die beiden riesigen und goldstrotzenden Spiegel im Treppenhaus. Sonst ist jedes Zimmer historisch und umwerfend, mit Marmorbadezimmern, riesigen Betten und alten Möbeln. Ikonisch sind auch die Taster mit neun verschiedenen Musikstilen von Jazz bis Klassik, die dann die Zimmer fluten. Nach dem Abendservice liegen Rosenblätter im WC, das ist wahrer Luxus.
Ordentlicher als zu Hause
19 Zimmer gibt es und das Bootshaus, Platz für maximal 40 Gäste also – um die sich stets 90 Mitarbeiter kümmern – ein Angestellten-Gast-Verhältnis, das es so in Europa, nein, auf der ganzen Welt, kein anderes Mal gibt. Am Pool gibt es einen Service, der jedes Handtuch aufdeckt und noch in der entlegensten Ecke den Apéro serviert. Bei der Anreise packen die Zimmerdamen wie selbstverständlich das Gepäck der Gäste aus, fein säuberlich hängt hernach alles im Schrank, ordentlicher, als man zu Hause lebt.
„Wir haben mehr als 60 Prozent Stammgäste“, sagt Markus Odermatt. „Manche von ihnen kommen mehrmals im Jahr. Die lassen dann nicht nur ihre Kleidung hier, sondern auch Zahnbürsten, Kosmetika, manchen stellen wir eigene Fotos und Bilder ins Zimmer, damit sie sich wie zu Hause fühlen. Das wird jetzt so gern angenommen, dass ich ein eigenes Lager angemietet habe, nur für die Sachen der Gäste.“
Kontinuität ist dabei das Zauberwort des Hoteldirektors. Zwar ist die Villa nur von April bis Oktober geöffnet, doch die Angestellten werden das ganze Jahr bezahlt, die Wintermonate haben sie einfach frei, um durchzuatmen für die lange Sommersaison. Einmalig ist auch, dass die Gäste zehn Prozent Trinkgeld auf der Zimmerrechnung schon mitbezahlen. So ist es selten, dass mal ein Angestellter geht, die meisten arbeiten schon zwanzig Jahre hier. „Das lieben die Gäste – weil sie ihre Rezeptionistin kennen und das Zimmermädchen – das schafft genau das persönliche Erlebnis, das wir uns hier wünschen.“
Is‘ nich‘ billich
Ab 1800 Euro kostet die Nacht hier – und weil Odermatt trotzdem jedes Zimmer dreimal belegen könnte, sucht er die Gäste persönlich aus. Neureiche Russen, die mit falschen Gucci-Taschen ihre Liegen belegen oder schreiende Amerikaner findet man hier vergeblich – die Villa Feltrinelli ist „Old Money“ im besten Sinne des Wortes.
Das sind nicht irgendwelche Karotten – das sind Urmöhren.
(Foto: S. Korge)
Die Gäste kommen auch wegen der Küche, die zwei Sterne hat, aber so ganz anders ist als schwere Haute Cuisine: Stefano Baiocco ist hier seit vielen Jahren der Chef am Herd, ein zurückhaltender, vorsichtiger, ganz und gar freundlicher Mann. Er kocht federleicht, es ist eine grüne Küche und nach den zehn Gängen gehen die Gäste leicht und unbeschwert ins Bett, ein seltenes Gefühl beim Fine Dining. Den Markt im nahen Gargnano braucht Stefano Baiocco nicht, weil er seinen Garten hat – diesen Garten, aus dem er sein ganzes Menü speist. Wichtigster Gang im Reigen des Zwei-Sterne-Kochs ist der Salat, den er vor dem Dessert eingebaut hat.
Salatblätter an Pinzette
Diesen serviert er, aus dem hauseigenen Garten, in einem bunten Reigen: 125 Blätter und 25 Blüten, einem Gemälde gleich, die Gäste essen diesen Salat mit einer Pinzette, Blatt für Blatt, Blüte für Blüte, jede gibt es nur ein einziges Mal – das Staunen über die Breite der Aromen der Natur sind inklusive. Einziger Wermutstropfen: Ein wenig zu viel grobes Salz trübt den Purismus. Und vielleicht wäre es eine grandiose Idee, ähnlich wie im Disfrutar, eine kleine Enzyklopädie zum Salat dazuzugeben, um zu erfahren, wie das nächste hellgrüne oder dunkelrote Blatt denn heißt – aber das wäre bei dem saisonal fast täglich bedingten Wechsel der Ingredienzen vielleicht etwas zu viel verlangt.
Zuvor gab es schon verschiedene kleine Gänge in den bequemen Stühlen genau am See, ein Tartelett von Gardasee-Sardinen etwa oder den berühmten Teller mit Urmöhren und sehr vielen kleinen, wilden und äußerst aromatischen Gemüsen. Und dann kommen die mit Wolfsbarsch gefüllten Ravioli in einer so dichten Basilikum-Soße, dass die Papillen diese Fülle nicht fassen können.
Es ist ein Fest fürs Leben, dieser Ort, nicht nur, um essen zu gehen. Und natürlich hat dieser Luxus seinen Preis. Andererseits gibt es so viele schreckliche Luxusschuppen, die auch teuer sind, aber in denen man selbst nach zwei Wochen nicht so erholt ist wie nach einer Nacht in der legendären Villa Feltrinelli am Westufer des Gardasees.