Die argentinische Schriftstellerin Isabel Allende hat seit ihrem wohl berühmtesten Roman, „Das Geisterhaus“, der 1982 erschienen ist, selbstbewusste Frauenfiguren in den Mittelpunkt ihrer Geschichten gerückt. Bei ihrem aktuellen Buch zeugt sogar der Titel von dem unbedingten Willen, sich einen Platz in der Welt klar zu sichern: „Mein Name ist Emilia del Valle.“ Die 83-jährige Allende erweist damit dem „Geisterhaus“ zugleich eine kleine Referenz, denn die Familie, um deren Geschichte sich ihr Klassiker dreht, heißt ebenfalls del Valle.
Ansonsten haben beide Werke nicht viel gemeinsam, leider, muss man anfügen. Isabel Allende verknüpft die Emanzipationsgeschichte ihrer Titelheldin mit der ausschweifenden Schilderung des chilenischen Bürgerkriegs Ende des 19. Jahrhunderts. Emilia wird 1866 als uneheliche Tochter einer ehemaligen irischen Nonne, Molly Walsh im Einwandererviertel San Franciscos geboren, hier wird sie auch aufwachsen. Allende lässt Emilia überwiegend in der Ich-Form von sich erzählen, manchmal wechselt sie kurz die Perspektive und übrigens auch die Zeitform: Vielleicht ist nicht allem zu trauen, was Emilia so erzählt, vielleicht strickt diese an ihrem eigenen Mythos.
Emilia wächst zwar in Armut, aber doch irgendwie immer auf der Sonnenseite des Lebens auf. Ihr leiblicher Vater ist ein reicher Chilene, der ihre Mutter verführt und dann gleich verlassen hat. Molly Walsh heiratet einen gutmütigen Lehrer, den Emilia „Papo“ nennt und der sie vergöttert. Schon bald schreibt die wissensdurstige und lesehungrige junge Frau unter männlichem Pseudonym erfolgreich Groschenromane und bald darauf sogar als Reporterin für die Zeitung „Examiner“. „Papo“ unterstützt das, ihre Mutter dagegen fände eine Heirat der Tochter angemessener. Doch Emilia setzt sich durch, und zwar erstaunlich geschmeidig. Nur manchmal blitzt auf, dass sie es als Frau ungleich schwerer haben könnte als die Männer ihrer Zeit. Das ist eine Schwachstelle des Romans: Die Titelheldin, die übrigens auch der freien Liebe frönt, als sei das im 19. Jahrhundert kein großes gesellschaftliches Tabu gewesen, wirkt über weite Strecken eher wie eine Frau des 21. Jahrhunderts.
Kitschige Liebesgeschichte
Der „Examiner“ schickt Emilia del Valle als Kriegsberichterstatterin nach Chile, gemeinsam mit dem politischen Korrespondenten Eric Whelan, in den sie sich, man ahnt es schon, verliebt. Diese Liebesgeschichte ist mit derart viel Kitsch aufgeladen, dass man sich angesichts der Autorin verwundert die Augen reibt – das kann Isabel Allende eigentlich besser. Allende hat all ihr erzählerisches Können offenkundig darauf verwandt, die Schrecken des Bürgerkriegs zu schildern. Emilia wirft sich mit viel Idealismus in die Schlachten zwischen der Regierung und den Aufständischen, die viele liberale Reformen wieder zurückdrehen wollen.
Nicht von ungefähr erinnert der glücklose Präsident Balmaceda an Salvador Allende, Chiles sozialistischen Präsidenten, 1973 ermordet von den Putschisten der Militärjunta unter Augusto Pinochet mit (mindestens) der Duldung der USA. Isabel Allende ist mit ihm verwandt. Diese Schilderungen der sinnlosen Grausamkeiten eines Bruderkriegs packen und rühren einen an, hier hat das Buch seine stärksten und am besten durchkomponierten Szenen und die wahrhaftigsten Figuren zu bieten, auch wenn die politischen Hintergründe etwas nebulös bleiben. Zum Schluss verliert sich „Mein Name ist Emilia del Valle“ dann in einer esoterisch verklärten Selbstfindung der Hauptfigur, die sich von den Schrecken des Kriegs gemeinsam mit einer treuen Hündin in einer mystisch verklärten Natur zu heilen versucht.
Info
Isabel Allende: Mein Name ist Emilia del Valle. A. d. Span. v. Svenja Becker. Suhrkamp Berlin. 359 Seiten, 28 €.