DOMRADIO.DE: Was feiern katholische und evangelische Christinnen und Christen gemeinsam beim Augsburger Friedensfest?
Bertram Meier (Bischof von Augsburg): Um die Bedeutung des Augsburger Friedensfestes besser zu verstehen, müssen wir einen Blick zurück ins Jahr 1650 werfen. Damals fand das erste Friedensfest statt. Anlässlich der Rückkehr zur religiösen Parität in der Stadt Augsburg nach einer Phase der Rekatholisierung. Schon 1555 gab es den Augsburger Religionsfrieden.
„Schiedlich-friedlich“ war das Motto, ein Nebeneinander von katholischen und evangelischen Christinnen und Christen. Was ursprünglich als evangelisches Fest begann, zur Erinnerung an das Recht, den eigenen Glauben in Augsburg wieder frei ausüben zu dürfen, hat sich längst zu einem ökumenischen Fest entwickelt. Und dafür dürfen wir sehr dankbar sein.
DOMRADIO.DE: Sie predigen im gemeinsamen Gottesdienst und danach geht es zur traditionellen Friedenstafel. Was hat es damit auf sich?
Meier: Die Friedenstafel gibt es erst seit einigen Jahren, aber ich finde, sie ist ein schönes Zeichen. Wir versammeln uns auf dem Rathausplatz, mitten im Herzen der Stadt Augsburg. Da werden festlich gedeckte Tische aufgestellt und es nehmen Menschen unterschiedlichster Konfessionen, Religionen und Kulturen Platz. Jede und jeder ist eingeladen, etwas mitzubringen, zum Essen, Trinken und Teilen.
An der Friedenstafel geht es aber nicht nur um das gemeinsame Mahl, sondern vor allem um Begegnung und Gespräche auf Augenhöhe. Und das ist, glaube ich, sehr wichtig. Ein Tisch zwingt niemanden in eine höhere oder niedrigere Position. Alle sitzen gleichberechtigt beieinander. Ich freue mich darauf.
Bertram Meier
„Augsburg als „Stadt des Friedens“ zeigt ganz konkret, wie Zusammenrücken möglich ist.“
DOMRADIO.DE: Der Angriffskrieg Putins auf die Ukraine und die Eskalation im Nahen Osten haben uns auf erschütternde Weise gezeigt, wie kostbar Frieden ist. Wie spiegelt sich das auf dem Augsburger Friedensfest wider?
Meier: Gerade bei der Friedenstafel sind nationale Spannungen und Trennungen aufgehoben. Wir erleben das auch bei anderen Veranstaltungen, etwa wenn Russen und Ukrainer gemeinsam teilnehmen. An der Friedenstafel sind alle gleich.
Das zweite Element ist, dass Vertreterinnen und Vertreter des Runden Tisches der Religionen Friedenswünsche für ihre jeweilige Glaubensgemeinschaft aussprechen, öffentlich auf dem Rathausplatz.
Augsburg als „Stadt des Friedens“ zeigt hier ganz konkret, wie Zusammenrücken möglich ist. Die politischen Konflikte sind nicht vergessen, aber sie werden durch die Friedenstafel und die Friedenswünsche überboten.
DOMRADIO.DE: „Den Frieden riskieren“, so lautet das Motto des diesjährigen Festes. Was bedeutet das in einer Zeit, in der Aufrüstung geradezu zum guten Ton gehört und die Waffenindustrie boomt?
Meier: Ich glaube, dass wir das Friedensfest neu erfinden müssten, wenn es diesen Anlass nicht gäbe. Denn wir stehen manchmal in der Gefahr, gerade mit unserer deutschen Mentalität, dass wir Themen verabsolutieren. Umso wichtiger ist es, dass das Wort vom Frieden nicht in Vergessenheit gerät.
Gerade in Zeiten voller Unruhe, Krisen und Kriege müssen wir immer wieder daran denken, dass das Erste, was wir tun sollten, unser Engagement für den Frieden ist. Dieses Augsburger Friedensfest ist ein großer Weckruf, die Friedensbemühungen niemals aufzugeben. Der Friede ist stärker als der Krieg, so wie es die Päpste immer wieder sagen. Der Krieg ist immer eine Niederlage der Menschlichkeit und Menschheit. Darauf werde ich morgen auch in meiner Predigt hinweisen.
Bertram Meier
„Der Krieg ist immer eine Niederlage der Menschlichkeit und Menschheit.“
DOMRADIO.DE: Wo sehen Sie im aktuellen Spektrum die Rolle der Kirchen?
Meier: Ich glaube, dass die Kirchen auch unbequeme Wecker sein müssen. Sie sollen, ohne naiv zu sein, für den Frieden eintreten. Frieden schaffen, ohne Waffen, ist kein einfacher Weg. Denn jedes Land hat ein Recht auf Selbstverteidigung. Aber es braucht immer das Gebot der Verhältnismäßigkeit.
Gerade deshalb sind die Kirchen gefordert, klar zu sagen: Unsere Mission ist der Friede. Das hat sie nicht selbst erfunden, sondern, wie Papst Leo auch am Anfang seiner Amtszeit von der Benediktionsloggia gesagt hat, der Auferstandene, auf den wir uns ja alle berufen, begrüßt die Apostel mit den Worten: „Der Friede sei mit euch“. Dieser österliche Friedensgruß ist allen Kirchen und ökumenischen Verbundenheit ins Stammbuch geschrieben.
Das Interview führte Hilde Regeniter.
Augsburger Friedensfest
Das Augsburger Hohe Friedensfest am 8. August ist der deutschlandweit einzige gesetzliche Feiertag, der nur in einer Stadt gilt. Das Fest hat einen religiösen Hintergrund: Es wurde erstmals 1650 gefeiert, nachdem die Protestanten das Recht zur Religionsausübung und ihre Kirchengebäude wiedererlangt hatten. Zum jährlichen Festprogramm in der Schwabenmetropole gehören ein ökumenischer Gottesdienst sowie normalerweise eine öffentliche Friedenstafel auf dem Rathausplatz und das historische Kinderfriedensfest. Coronabedingt fallen letztere zwei Veranstaltungen dieses Jahr aus.