Was lernt man eigentlich von Kultusministern? Sollten sie beim Lösen komplexer Aufgaben nicht Vorbild sein? Und wenn sie mit Zahlen untersetzte Ergebnisse vorlegen, nicht auch die komplette Rechnung offenlegen? Das fällt sächsischen Kultusministern schwer. Denn natürlich ticken sie nicht wie Lehrer, sondern wie Politiker, die das, was sie tun, dem gutgläubigen Volk immer als Erfolg verkaufen müssen. Oder glauben, es zu müssen. Ergebnis ist eine fortgesetzte Schönrechnerei des sächsischen Bildungssystems. So wie am Mittwoch, 6. August, wieder.
Da meldete das Sächsische Kultusministerium: „Rund 534.000 Schülerinnen und Schüler starten am kommenden Montag (11. August) in ein neues Schuljahr. Für rund 37.000 Erstklässler beginnt damit ein neuer Lebensabschnitt. In Vorbereitung auf das kommende Schuljahr hat der Freistaat Sachsen bisher insgesamt 1.114 Lehrkräfte eingestellt (2024: 1.033). Besonders erfreulich ist, dass 885 grundständig ausgebildete Lehrkräfte eingestellt werden konnten – über 100 mehr als letztes Jahr (2024: 773).“
Also zeigt die sächsische Lehrerinitiative volle Wirkung? Aus Sicht des Kultusministeriums ja: „Knapp 88 Prozent aller in Sachsen ausgebildeten Lehrkräfte haben sich auch hier beworben. Allen ausgebildeten Bewerbern wurde ein Einstellungsangebot gemacht. Davon wurden 93 Prozent eingestellt. Zudem wurden 104 Lehrkräfte eingestellt, die in anderen Bundesländern ausgebildet wurden.
Hinzu kommen 229 Seiteneinsteiger, die sich seit dem 1. Mai in der Einstiegsqualifizierung befanden und nun beginnen, zu unterrichten. Im Ergebnis sind damit 438,5 Vollzeitäquivalente (VZÄ) mehr im Schuldienst in Sachsen als 2024/2025.“
Ein wettbewerbsfähiges Angebot?
Und auch Kultusminister Conrad Clemens ließ sich mit Blick auf das Einstellungsergebnis mit den Worten zitieren: „Unser Einsatz zeigt Wirkung. Gemeinsam mit den erfahrenen Lehrkräften werden die vielen neuen Lehrerinnen und Lehrer dazu beitragen, die Unterrichtsversorgung zu verbessern. Dass so viele Menschen Lehrkraft in Sachsen werden wollen zeigt, wie attraktiv der Beruf ist und wie wettbewerbsfähig das Angebot.“
Eine große Herausforderung bleibe nur die gerechte Verteilung der zur Verfügung stehenden Lehrkräfte in ganz Sachsen. Dies beträfe sowohl die unterschiedlichen Regionen als auch die Schularten. Während sich der Beschäftigungsstand auf Planstellen in allen anderen Schularten gegenüber dem Vorjahr teils erheblich verbessert habe, sei er in den Oberschulen leicht gesunken (von 7.260,7 VZÄ auf 7.218,4 VZÄ). Dies verdeutliche die Notwendigkeit von Abordnungen, insbesondere von Grundschulen und Gymnasien an Oberschulen, meint der Minister.
Aber die Zahlen trügen. Das weiß man eigentlich auch im Kultusministerium.
Ein Bildungssystem auf Verschleiß
Die große Watsche gab es am Folgetag. Da meldete sich die Lehrergewerkschaft GEW zu Wort. Und wurde dabei sehr deutlich.
„Der Schuljahresbeginn 2025/26 in Sachsen steht unter düsteren Vorzeichen: Zum seit Jahren bestehenden Lehrkräftemangel kommen nun auch massive finanzielle Einschränkungen durch den Freistaat hinzu. Die GEW Sachsen warnt eindringlich vor den Folgen dieser Doppelkrise – für Lehrkräfte, Schüler/-innen und die Qualität schulischer Bildung insgesamt.“
Und was der Kultusminister als Erfolg verkauft hat, war nicht mal ein Löcherstopfen, stellte Burkhard Naumann, Vorsitzender der GEW Sachsen, fest: „Jahrelang wurde der Lehrkräftemangel ausgesessen – jetzt wird auch noch der Rotstift beim Geld angesetzt. Das ist ein gefährlicher Kurs zulasten der Bildungschancen junger Menschen in Sachsen. Viele Schulen stemmen ihren Alltag nur noch mit größter Kraftanstrengung. Ohne ausreichend Personal und finanzielle Mittel für Förderung, Vertretung oder Unterstützung läuft das System auf Verschleiß. Die GEW Sachsen fordert daher ein sofortiges Umsteuern in der Bildungspolitik.“
Die Liste der Kürzungsmaßnahmen ist lang, kritisiert die GEW die aktuellen Haushaltsbeschlüsse in der Bildung – und sie verschärfen eine ohnehin durch den Lehrkräftemangel angespannte Lage: „Individuelle Förderung wird massiv eingeschränkt: Förderstunden für Inklusion, Ganztagsangebote (GTA), schulische Budgets und Programme wie Hausaufgabenbetreuung oder Nachhilfe werden gekürzt oder ganz gestrichen.“
Auch der versprochene Ausbau der Schulassistenz bleibe aus. Viele Beschäftigte hätten auf Entfristung gehofft – erhielten jetzt aber erneut nur befristete Verträge. Das zerstöre Vertrauen und verhindere langfristige Unterstützung.
Auch die Ausbildung von Nachwuchs-Lehrkräften werde geschwächt: Es werde an der Betreuung und Ausbildung von Referendar/-innen gespart. Fachberatung werde abgebaut. Das führe zu mehr Ausbildungsabbrüchen und weniger Qualität in der Lehrerbildung.
Und bei Thema „Abordnungen“ wird es ganz haarig. „Teilweise werden sogar Klassenleitungen abgeordnet: Besonders an Grundschulen ist das ein gravierender Eingriff in die pädagogische Kontinuität – auch Eltern, Schüler/-innen und Kollegien protestieren gegen diese Entwicklung“, so die GEW.
Die „21 Maßnahmen“ verschärfen die Lage zusätzlich
Und das Ergebnis ist folglich: Lehrkräfte werden systematisch überlastet. Kürzungen bei Anrechnungsstunden, bei der Altersermäßigung, der Fachberatung sowie die Androhung zusätzlicher Vorgriffsstunden und flächendeckender Abordnungen erhöhen die Belastung deutlich.
Claudia Maaß, Lehrerin und stellvertretende Vorsitzende der GEW Sachsen, sagt dazu: „Die 21 Maßnahmen des Kultusministeriums zur Bekämpfung des Unterrichtsausfalls zielen auf mehr Unterrichtsversorgung, verschlechtern jedoch die Qualität an den Schulen. Lehrkräfte, die bereits am Limit arbeiten, sollen noch mehr schultern. Wer mit mehr Druck und weniger Ressourcen auf eine systemische Krise reagiert, gefährdet kurz- und langfristig die Bildungsqualität im ganzen Land.“
Durch die Abordnungen werde Unterricht zunehmend fachfremd und schulartfremd erteilt. Die individuelle Förderung werde zurückgefahren, die Betreuung im Referendariat schlechter – und Schulleitungen sähen sich gezwungen, ständig mit Notlösungen zu jonglieren.
Die GEW Sachsen verlangt deshalb eine wirkliche Neuausrichtung der Bildungspolitik: „Die Krise kann nur gemeinsam bewältigt werden. Das Kultusministerium muss sich endlich mit Gewerkschaften, Eltern und Schüler:innen an einen Tisch setzen“, fordert Burkhard Naumann. „Es braucht gezielte Anreize für ländliche Räume, Oberschulen und Förderschulen – und ein Bildungspaket, das Qualität und Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt.“