Während Europa die verteidigungstechnische Souveränität predigt, wächst der Anteil US-amerikanischer Technologie in der Rüstungsbeschaffung. Bei vielen Technologien ist der alte Kontinent nicht konkurrenzfähig.
Aus Sicht der US-amerikanischen Verteidigungsindustrie gaben die Quartalsberichte der großen Rüstungsunternehmen des Landes viel Anlass zur Freude. Sowohl Raytheon als auch Northrop Grumman verbuchen Gewinnzuwächse. Northrops Umsatz für das am 30. Juni zu Ende gegangene Quartal belief sich auf 10,4 Milliarden US-Dollar – ein Prozent mehr als im Vorjahr. Raytheon, das mit dem Tochterunternehmen Pratt & Whitney unter anderem die Triebwerke für den Kampfjet F-35 produziert, meldet eine Umsatzsteigerung von acht Prozent im vergangenen Quartal. In absoluten Zahlen entspricht das sieben Milliarden US-Dollar.
Der angeschlagene Boeing-Konzern steigert seine Umsätze weiter und konnte den Verlust im Vergleich zum letzten Quartal senken.
Weniger rosig sehen die Zahlen jedoch für das größte US-amerikanische Verteidigungsunternehmen Lockheed Martin aus. Weil geheime Entwicklungsprojekte mit der US-Regierung nicht nach Plan verlaufen, brechen die Umsätze des Luftfahrtexperten ein. Das Unternehmen verbuchte im zweiten Quartal 2025 zusätzliche Vorsteuerverluste in Höhe von 950 Millionen US-Dollar. Ursächlich für diese Entwicklung sind die Inflation und die damit einhergehenden Kostensteigerungen in der Produktion. Die vor mehreren Jahren abgeschlossenen Entwicklungsaufträge mit der US-Regierung haben den Kostenzuwachs der letzten Jahre noch nicht eingepreist.
Zu den überwiegend positiven Zahlen der US-Rüstungsindustrie trägt in nicht geringem Maße das Geschäft in Europa bei. So verzeichnet Northrop Grumman einen Umsatzanstieg im internationalen Geschäft im Quartalsvergleich von 18 Prozent, wie die Präsidentin des Unternehmens, Kathy Warden, beim Shareholder-Meeting bekannt gab.
Das Ziel der Rüstungssouveränität rückt weiter in Ferne
Schenkt man dem Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) Glauben, dann beläuft sich der Anteil US-amerikanischer Produkte an den Rüstungsbeschaffungen auf dem alten Kontinent im Zeitraum zwischen 2020 und 2024 auf 64 Prozent. Während der Periode zwischen 2015 und 2019 lag er noch bei 52 Prozent. Es muss festgestellt werden: Trotz der Forderung nach mehr rüstungstechnischer Souveränität Europas hat der Anteil US-amerikanischer Waffensysteme in der EU seit dem Ukrainekrieg zugenommen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: In vielen Technologiefeldern können europäische Hersteller nicht mit der Technik aus den Vereinigten Staaten mithalten. In einigen Fällen existiert ein europäisches Konkurrenzprodukt überhaupt nicht.
Daraus machte auch der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei seinem Besuch in Washington im vergangenen Monat keinen Hehl: „Die Reichweite dieser Waffensysteme ist deutlich größer als die, die wir bislang in Europa haben“, gab Pistorius im Zusammenhang mit der angekündigten Beschaffung des Luftverteidigungssystems Phyton bekannt.
Das im US-amerikanischen Zungenschlag als Strategic Mid-Range Fire System (SMRF) bezeichnete Waffensystem soll den deutschen Streitkräften die Fähigkeit verleihen, gezielt tief hinter gegnerischen Linien wirken zu können.
In Europa gibt es bisher schlicht keine Technologie, die das leisten könnte. Zwar ist mit der Long-Range Strike Approach (ELSA)-Initiative ein Entwicklungsprojekt angestoßen, das diesen Mangel beheben soll, doch bis die gemeinsame Entwicklung tatsächlich Fähigkeiten vorweisen kann, werden noch Jahre vergehen. Nicht einmal ein Datum, wann das System einsatzfähig sein könnte, liegt bislang vor.
In der Luft hinten an
Doch die europäische Abhängigkeit erschöpft sich nicht in der Fähigkeit zum Deep Precision Strike. Besonders in der Luftfahrt sind die US-amerikanischen Unternehmen ihrer Konkurrenz auf dem alten Kontinent enteilt.Statt einen europäischen Transporthubschrauber als Nachfolger des in die Jahre gekommenen CH-53 zu beschaffen, kaufte das BAAINBw den US-amerikanischen Chinook vom größten US-Luftfahrtuntrenehmen Boeing. Dieser setzte sich gegen den gleichfalls aus den USA stammenden CH-53K KING STALLION durch. Europäische Systeme standen bei der CH-53-Nachfolge nicht zur Debatte. Das deutsch-französische Projekt Future Transport Helicopter (FTH) scheiterte im Jahr 2014.
Ähnlich gestaltet sich die Situation bei den Starrflüglern. Ein Kampfjet der fünften Generation europäischer Bauart existiert schlicht nicht. Deutschland entschied sich deshalb für die Beschaffung des US-Multirollenkampfjets F-35. Rund 8,3 Milliarden Euro sind der Bundesrepublik 35 Kampfjets dieses Typs wert. Sie sollen die nukleare Teilhabe Deutschlands sicherstellen und die in die Jahre gekommenen Tornado ersetzen. Zu den Kosten für die Beschaffung kommen allerdings noch weitere Aufwendungen, um die Voraussetzungen für den Einsatz des Kampfflugzeuges zu schaffen. Ab 2027 sollen die F-35 auf dem Flugplatz Büchel in der Eifel stationiert werden. Für den Umbau des Standortes wurden zunächst 700 Millionen Euro kalkuliert. Im letzten Jahr stieg diese Summe bereits auf 1,2 Milliarden Euro an.
Aufrüstung mit Hindernissen
Wie die Nachrichtenagentur Reuters vergangene Woche berichtete, wird aber auch dies Summe nicht ausreichen, um unter anderem die Start- und Landebahn und einen Teil des Rollfeldes auszubauen. Die Bundesregierung rechnet mit Mehrkosten im Umfang von 640 Millionen Euro. Wie beim Raketensystem Typhoon sollen die F-35 eigentlich nur als Zwischenlösung dienen. Die US-amerikanischen Jets sollen Mitte der 2040er Jahre durch das Future Combat Air System (FCAS) abgelöst werden. Dabei handelt es sich um ein französisch-deutsch-spanisches Entwicklungsprojekt mit dem Ziel, einen Kampfjet der sechsten Generation zu bauen. Allerdings gestaltet sich die Durchführung schwierig. Das französische Unternehmen Dassault Aviation ist bei der Entwicklung federführend. Für den deutschen Entwicklungsanteil sorgt Airbus. Die Zusammenarbeit der beiden Unternehmen funktioniert alles andere als reibungslos. So monierte Dassault-CEO Eric Trappier gehäuft, dass sein Unternehmen mehr Anteile an und mehr Entscheidungsgewalt in der Entwicklung haben sollte.