Als sie einzogen, pfiff der Wind durch das Holz des geschwungenen Daches. Der Mix aus Form und Material sah und sieht gut aus, bis heute, aber dem Wetter draußen hielt er seinerzeit nicht stand. Die Mitarbeiter hüllten sich in warme Jacken und standen den ersten Winter am neuen Ort durch, bis am frisch errichteten Gebäude im neuen Jahr nachgebessert werden konnte.

Er hat schon einiges durchgestanden, der Frankfurter Mabuse-Verlag, der in diesem Jahr mit dem Hessischen Verlagspreis ausgezeichnet worden ist. „Es ist eine große Ehre“, sagt Geschäftsführer Hermann Löffler: „Und die fünf Ziffern auf dem Konto sind auch nicht schlecht.“ Die 20.000 Euro Preisgeld böten Hilfe bei vielen Projekten. Zwar überfalle jetzt niemand Buchhandlungen und fordere dort die Herausgabe von Mabuse-Titeln, aber die vom Land mit der Auszeichnung intendierte Aufmerksamkeit sei durchaus zu spüren, in der Verlags- und der Gesundheitsszene.

Lektorin Jana Puppala und Geschäftsführer Hermann Löffler im Archivraum des Mabuse-Verlags.Lektorin Jana Puppala und Geschäftsführer Hermann Löffler im Archivraum des Mabuse-Verlags.Jannis Schubert

Sie interessiert Löffler und seine Kollegen im fünften Stock des Ökohauses am Westbahnhof stärker als andere Verlagshäuser. Denn das Unternehmen, das aus der Arbeit an der Zeitschrift „Dr. med. Mabuse“ hervorging, die seit 1976 von kritischen Medizinstudenten herausgegeben wurde, ist bis heute ein „Verlag für alle Gesundheitsthemen“, wie es auf der Internetseite heißt.

„Es war eine Zeit des Aufbruchs“, sagt Löffler, der in Frankfurt von Anfang an mit dabei war: „Wir wollten als Medizinstudenten über den eigenen Tellerrand gucken.“ Gesundheitspolitik, Medizin in der dritten Welt, ihr Missbrauch unter der Herrschaft der Nationalsozialisten – das waren Themen, die damals viele junge Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Pfleger interessierten, schon bald auch an anderen Orten, von Münster bis Freiburg. Sie alle lasen, schrieben und edierten mit. Mitte der Achtzigerjahre lag die Zeitschrift in den Händen von rund 250 Mitarbeitern: „Man traf sich viermal im Jahr, unter den Artikeln standen keine Namen, es war alles das Mabuse-Kollektiv.“

Wie der Arzt zum Verleger wurde

Dann zerfiel das Modell, weil die ersten Kollegen berufstätig wurden und Familien gründeten. Die Redaktion wechselte von Ort zu Ort, Löffler in Frankfurt war Arzt, übernahm aber mehrfach für bestimmte Zeit die Leitung. „Irgendwann wollte es niemand mehr machen. Dann habe ich gesagt, ich mache es noch Mal für ein Jahr. Jetzt ist es etwas länger geworden.“ 49 Jahre sind es jetzt für ihn, alles in allem.

Heute arbeiten, zum Teil aus dem Home-Office in Bremen und Pisa, acht Personen für den Verlag. Zu ihnen gehört Jana Puppala, die seit 2017 mit dabei ist und das Programm inzwischen inhaltlich prägt. Die Germanistin aus Herborn studierte in Gießen und kam über Praktika und Volontariate zum Verlagswesen und in das Team. „Ich habe immer im Blick: Füllt es im Programm eine Lücke? Würde ich es selbst mit meinem kleinen Sohn gerne lesen?“ Manche Bücher nimmt sie mit nach Hause und lässt ihn testen.

Kinder werden einbezogen

Auf ähnlichem Weg kam das Buch in den Verlag, mit dem 2006 alles begann. Schirin Homeiers „Sonnige Traurigtage“ erklärt Kindern die psychische Erkrankung ihrer Eltern. Von anderen Verlagen war es zuvor abgelehnt worden, auch von Mabuse. Aber Löffler hatte zwei Jahre in der Landespsychiatrie in Riedstadt-Goddelau gearbeitet und erinnerte sich daran, wie man sich dort mit Patienten viel Mühe gab und ihr gesamtes soziales Umfeld abklapperte, um sie aufzufangen: „Aber die Kinder wurden nicht mitbedacht.“ Er zeigte das Buch seiner Frau. „Sie sagte, du musst das machen, wir beziehen die Kinder jetzt mit ein.“ Derzeit verkauft sich das Buch in der achten Auflage.

Medizinische Dissertationen

So entstand aus einem Zufall eine der Säulen der heutigen Verlagstätigkeit. An die Gründung des Verlages hatte zu Beginn der Arbeit an der Zeitschrift allerdings auch niemand gedacht. Dann wurden plötzlich erste Bücher gedruckt, medizinische Dissertationen von Autoren der Zeitschrift, Diplomarbeiten von Krankenschwestern. So entstand nach und nach der Verlag. Er machte das Kümmern um den Vertrieb der eigenen Bücher erforderlich, woraus schon bald eine Versandbuchhandlung wurde, die es bis heute gibt, vor allem für Schulen, Bibliotheken und Institutionen.

1985 zog Mabuse in ein Gebäude an der Mainzer Landstraße, in dem sich rund um den Kommunistischen Bund Westdeutschlands zahlreiche linke Initiativen niedergelassen hatten. Dann hatte die Commerzbank Interesse am Haus. „Viele wollten nicht weichen“, sagt Löffler. „Wir haben uns wohlgefühlt, es hatte alten Backstein-Charme.“ 1991 zogen die meisten von ihnen trotzdem an den Westbahnhof, wo die Bank den Initiativen über eine Immobilientochter das Ökohaus errichtet hatte.

Stabil: Viele Möbel und Regal in den Verlagsbüros hat Geschäftsführer Hermann Löffler selbst gebaut.Stabil: Viele Möbel und Regal in den Verlagsbüros hat Geschäftsführer Hermann Löffler selbst gebaut.Jannis Schubert

Viele der Regale in den Büros hat Löffler selbst gebaut. Sein Vater war Schreiner, eine seiner Sägen liegt beim Sohn im Verlag nach wie vor im Regal. An einer Wand hängt unter Glas die Titelseite der ersten Nummer der Zeitschrift, die am 10. Dezember 1976 erschien. „Herausgegeben von der Fachschaftsvertretung Medizin der Uniklinik“ heißt es unter dem Seitenkopf. In der Zeichnung darunter, übernommen aus einem alten Comic oder einer Buchillustration, sagt ein Arzt mit Hilfe einer eigens hinzugefügten Sprechblase zu seinem Gegenüber: „Lieber Kollege, in unserem Beruf ist das Wichtigste, sich nicht anmerken zu lassen, dass wir oft keine Ahnung haben.“

Hat Löffler, der 1951 in Weinheim zur Welt kam, jemals bedauert, das Arztsein für den Verlag aufgegeben zu haben? „Nein.“ Auch nicht, als er Ende 2024 die Zeitschrift verkaufen musste. „Wir wollten sie einstellen“, sagt er. Zu wenig Personal, sinkende Abo-Zahlen – Probleme großer Teile der Zeitschriftenbranche. Zum Abschied gab es im Dezember 2024 eine besonders umfangreiche Ausgabe und ein Abschiedsfest in der Stalburg im Nordend. Dann meldete sich der Verleger Andreas Lauterbach, der Pflege-Zeitschriften herausgibt, und übernahm die Zeitschrift, die sein berufliches Leben begleitet hatte. Nun erscheint „Dr. med. Mabuse“ bei hpsmedia in Hungen bei Gießen.

Aus Altem wird Neues. „Das Interesse hat sich verlagert“, sagt Löffler. Bewahren will er sich lediglich sein Interesse an kritischer Offenheit. Mit ihr hat der Verlag einst schließlich begonnen. Er bedauert deswegen die in Gesellschaft und Buchbranche vorherrschende Wohlanständigkeit. Begriffe wie Zivilgesellschaft, Demokratie und Diversität könne man immer wieder aufs Neue wiederholen und sich „am abgrenzenden Lagerfeuer gegen das Böse wärmen“, hat er in seiner Dankesrede zur Überreichung des Hessischen Verlagspreises im Wiesbadener Literaturhaus gesagt. Auf ihn wirkten sie zunehmend wie hohle Floskeln: „Ich wünsche mir, dass wir endlich ins Freie treten und den selbstgerechten, elitären und hypermoralischen Elfenbeinturm verlassen. Offene Debatten ohne Tabus sind anstrengend und hinterfragen immer wieder Gewissheiten und auch biographische Fundamente.“ Sie nützten aber der Gesellschaft im Allgemeinen und auch dem Börsenverein.

Bis heute gibt es bei Mabuse Erwachsenentitel. Sie richten sich an Altenpfleger und Hebammen, kreisen um Psychotherapie, Schwangerschaft und Demenzerkrankungen, Ernährung und Medizingeschichte. Auch die Kinderfachbücher decken alles Mögliche ab, von Multipler Sklerose über Behinderungen und Suizid bis zu Diabetes. Am erfolgreichsten ist derzeit „Ist das okay?“, ein Buch zur Prävention sexualisierter Gewalt von der Schweizer Autorin Agota Lavoyer und der Illustratorin Anna-Lina Balke, das 2022 erschien. Bislang hat es sich gut 25.000 Mal verkauft. Zur Freude Löfflers und des Verlags. Auf dass es für die Kinder ein Ende habe mit Unsicherheit, Angst und Unwissen.