Medien in Frankreich –
Ein Pariser Multimillionär rettet linke Zeitungen – und mischt damit die Präsidentschaftswahl auf
Der ehemalige Manager Olivier Legrain kämpft gegen die Herrschaft der Multimilliardäre in der französischen Medienwelt. Aus Idealismus und weil er Glück hatte im Leben, sagt er.
Publiziert heute um 11:30 Uhr
«Ich bin nur ein kleiner, armer Multimillionär»: Olivier Legrain in seinem Garten in Neuilly-sur-Seine bei Paris.
Foto: Geoffroy van der Hasselt (AFP)
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.BotTalkIn Kürze:
- Olivier Legrain unterstützt als linksorientierter Multimillionär kleine, unabhängige Medien in Frankreich.
- Der ehemalige Konzernmanager kämpft gegen die Medienmacht französischer Multimilliardäre wie Bolloré.
- Mit seinem Buch warnt Legrain vor der zunehmenden Medienkonzentration in Frankreich.
- In Paris entsteht durch seine Initiative ein günstiges Bürohaus für Journalisten.
Was vermag ein Millionär gegen einen Milliardär zu tun, ein Multimillionär gegen einen Multimilliardär? Diese nicht nur philosophische Frage hängt über der Geschichte von Olivier Legrain, einem sehr reichen ehemaligen Manager aus Neuilly-sur-Seine bei Paris, 72 Jahre alt. In einem Interview auf dem Radiosender France Inter sagte er neulich: «Ich bin ein kleiner, armer Multimillionär.» Und das war nicht einmal kokettiert.
Im Vergleich mit den Herrschaften, die er bekämpft, ist Legrain tatsächlich eine kleine Nummer. Seine Gegner sind die grossen Medienbarone in Frankreich, die Multimilliardäre Vincent Bolloré, Pierre-Édouard Stérin, Rodolphe Saadé, Bernard Arnault, Martin Bouygues und ein paar mehr, die zusammen einen Grossteil der französischen Medienwelt beherrschen. Legrain ist da chancenlos. Er kann nicht einfach Sender, Zeitungen und Magazine kaufen, wie das die anderen tun. Dafür reicht sein Geld dann doch nicht aus.
Er kann aber sein persönliches Geld verteilen, viel Geld, da ein paar Hunderttausend, dort ein paar Hunderttausend. Er kämpft mit dem noblen Gestus eines politisch Bewegten. Zwei Kämpfe liegen ihm dabei besonders am Herzen: der würdevolle Umgang mit Immigranten und das Überleben unabhängiger, kleiner Medien.
Er kauft Medien und polt sie ideologisch um: Vincent Bolloré ist Bretone und Inbegriff des französischen Medienmultimilliardärs.
Foto: AFP
Legrain glaubt nämlich, dass die Konzentration der Medien eine Gefahr für die französische Demokratie darstelle. Die Konzentration lässt sich schlecht leugnen: In Frankreich herrschen ein paar Milliardäre mittlerweile über 90 Prozent der Presse, 55 Prozent des Fernsehens und 40 Prozent der Radios. Der bretonische Industrielle Bolloré und der Unternehmer Stérin, beides rechtsidentitäre und erzkatholische Ideologen, stellen ihre Investitionen zudem ganz in den Dienst der extremen Rechten und deren Propaganda.
Legrain hilft Publikationen, die kein grosses Publikum haben, nischige oder lokale und linke, etwa «La Déferlante», «Mouais», «Politis», «Le Poing», «StreetPress», «Reporterre», «Basta!». Und die erfolgreiche Investigativplattform Mediapart, die ganz ohne Werbung auskommt, erhält natürlich auch Geld von Olivier Legrain.
Legrain hat ein Buch geschrieben, es ist ein Pamphlet geworden
Er hat jetzt ein dünnes Buch geschrieben mit dem Titel «Sauver l’information de l’emprise des milliardaires». Es ist ein Essay, 144 Seiten lang, gegen die Macht dieser Milliardäre. Ein Pamphlet, von dem das Nachrichtenmagazin «Le Nouvel Obs» schreibt, es sei «durchzogen von Empörung, Sorge und Wut». Dazu steht der Autor auch.
Er macht, was er kann. Er gibt darin auch Ratschläge, wie man sich dem Einfluss dieser Medienmilliardäre entziehen kann, was man dafür lesen und schauen muss, welche Läden man meiden sollte. Allein dafür, dass er sich der mächtigen Meinungswalze entgegenstellt, gebührt ihm Ehre. Es ist reiner Idealismus.
Er war ein «patron», ein Kapitalist – und dazu Kommunist
Olivier Legrain war einmal Ingenieur und Manager beim Chemie- und Pharmakonzern Rhône-Poulenc, später bei Lafarge, einem weltweit tätigen Unternehmen für Baumaterialien: Zement, Beton, Gips. Er war ein «patron», ein Chef, aber kein gewöhnlicher: Legrain war Kommunist. Sozialisiert wurde er wie viele andere auch im Mai 1968 in Paris, er war damals 15 Jahre alt, Gymnasiast, ein Sohn aus bürgerlichem Haus. Später sollte er die beste Ingenieursausbildung machen, die das Land zu bieten hat, die École des Mines. In den Konzernen stieg er schnell hoch in der Hierarchie.
Als sich eine Möglichkeit bot, mit anderen Kadern und dank der Hilfe von Bankdarlehen einen Teil von Lafarge zu kaufen, mit einem sogenannten Leveraged Buy-out, waren sie plötzlich Besitzer. Der spätere Verkauf machte sie alle reich. In seinem Fall ist die Rede von «mehreren Dutzend Millionen Euro» – wie viel es genau ist, ist nicht bekannt. Jedenfalls war es so viel, dass er nie mehr arbeiten musste.
«Ich hatte viel Glück», sagt er, «ich habe viel Geld gemacht.» Die Medien haben ihm deshalb den Spitznamen «Millionär der Linken» gegeben. Doch so einfach ist das nicht, die Beziehung zwischen Legrain und dem politischen Lager, dem er sich verbunden fühlt, ist selten harmonisch. Manche Linke werfen Legrain vor, er habe vom wilden Kapitalismus profitiert, er sei also nicht viel besser als die anderen. Er gibt zurück, wichtig sei, was man mit dem Kapital mache.
Feindbild der Linken: Der Unternehmer Pierre-Édouard Stérin unterstützt mit seinen Medien die extreme Rechte.
Foto: AFP
Gerade wurde der Grundstein für seine «Maison des médias libres» gelegt, das «Haus freier Medien», ein Gebäude am bewegten Boulevard Barbès im 18. Arrondissement, wo es bald 350 Büroplätze für Journalisten kleiner Medien geben soll. Sie werden nur wenig Miete bezahlen müssen. Legrain hat vor, eine Holding zu gründen, an der alle rund fünfzehn Medien, die mitmachen werden, als Filialen aufscheinen. So lässt sich die Verantwortung aufteilen. Ein Gemeingut, aber mit unternehmerischem Geist geführt.
Er ist jetzt auch Psychotherapeut. Golfen mag er nicht
Das Haus in Barbès muss total saniert werden, 2027 soll es fertig sein, rechtzeitig für die nächste Präsidentschaftswahl. Ein entscheidender Termin: Die Wahrscheinlichkeit, dass die extreme Rechte gewinnen könnte, ist diesmal so gross wie nie zuvor – gepusht von den Medien der Milliardäre Bolloré und Stérin. Millionär Legrain hat reiche Freunde gefragt, ob sie mitmachen würden bei der Finanzierung der «Maison des médias libres». Aber alle hätten abgesagt. Reiche Leute, sagt er, stünden nun mal nicht links.
Vor zehn Jahren bildete sich Legrain weiter zum Psychotherapeuten, er hat eine Praxis bei sich zu Hause in Neuilly. Wer sich von ihm beraten lässt, gibt beim Gehen, was er geben kann oder will. Legrain könnte ein ruhiges Leben führen, teure Kunst ins Wohnzimmer hängen, Golf spielen. Warum er das nicht tue, fragte man ihn schon oft. Legrain sagt dann jeweils: «Ich spiele kein Golf.» Er sei nun einmal ein leidenschaftlicher Mensch.
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