Eine Silvester-Rakete zischte plötzlich in sein Schlafzimmer. Drei Monate später allerdings wirkte Emin A. geradezu unbekümmert als Zeuge im Prozess gegen Atallah Younes.

Der 23-jährige Influencer soll das Feuerwerk absichtlich in die Neuköllner Wohnung des 54-jährigen A. geschossen haben. „Er hat seinen Fehler eingesehen und sich entschuldigt“, sagte der Zeuge. Er habe ihm noch ein paar väterliche Ratschläge gegeben. Der Angeklagte lächelte dem Zeugen kurz zu.

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Der Medienandrang war groß zum Auftakt des Prozesses gegen den palästinensischen Influencer. Die Anklage lautet auf versuchte schwere Brandstiftung, versuchte gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung. Er habe Leib und Leben erheblich in Gefahr gebracht – „aus purem Eigennutz“, so der Staatsanwalt. Es sei ihm darum gegangen, „ein möglichst großes mediales Interesse auf sich zu ziehen“.

Der Influencer ließ die gefährliche Aktion filmen und veröffentlichte das Video in sozialen Medien. Es ging viral – binnen 24 Stunden gab es wohl sechs Millionen Klicks. Die Bilder sorgten für Entsetzen. Es folgte kurz darauf ein Video, das die Wogen glätten sollte. Der Influencer und der betroffene Wohnungsinhaber sind zu sehen. Sie sitzen nebeneinander. A. schaut still zu Boden, Younes redet viel und beteuert: „Wir entschuldigen uns.“

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Nach einem Raketenschuss auf eine Berliner Wohnung steht ein Influencer (links) vor Gericht.

© Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Vor Gericht aber schwieg er. „Im Moment keine Stellungnahme zur Anklage“, erklärte der Verteidiger. Mit gefalteten Händen saß der Mann aus dem Westjordanland nach rund 90 Tagen in U-Haft auf der Anklagebank. Videosequenzen wurde als Beweismittel im Gerichtssaal abgespielt. Ein junger Mann in einer weißen Daunenjacke, in der rechten Hand eine Rakete, Funken sprühen. Doch er hält die Rakete nicht in den Himmel, sondern auf ein Wohnhaus auf der gegenüberliegenden Seite. Ein Fenster wird getroffen, ein Lichtschein blitzt auf. Man hört Männer, die jubeln.

Emin A. saß gegen 18.30 Uhr mit seiner Familie im Wohnzimmer, als die Runde durch einen sehr lauten Knall aufschreckte. Der Rauchmelder im Schlafzimmer schlug an. „Da war schwarzer Rauch und Scherben auf dem Boden.“ Die Rakete sei durch das Doppelfenster gekracht. Der Familienvater schilderte die Explosion im eigenen Zuhause nun überraschend ruhig. Es habe ein paar Brandflecken an Tapete und Teppich gegeben, es sei nicht so schlimm gewesen. Younes habe ihn am nächsten Tag besucht. Mit mehreren Freunden sei er gekommen – „sie haben sich entschuldigt, meine Hand geküsst, wollten sich versöhnen.“

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Zwar sei er zunächst von einem absichtlichen Raketen-Schuss ausgegangen, so der Zeuge. Das aber habe sich mit dem Gespräch geändert. Der junge Mann habe berichtet, dass er als Tourist in Berlin war, keine Ahnung von Feuerwerk hatte – es sei nicht absichtlich gewesen. „Er wollte seine Freude teilen – und ich hatte das Unglück“, so der 54-Jährige. Er habe ihm verziehen. Er habe ihm noch den Rat gegeben, so etwas nie wieder zu tun.

Auch das gepostete Video der Entschuldigung hatte für Diskussionen geführt. War das Treffen möglicherweise unter Beteiligung eines islamischen „Friedensrichters“ entstanden? Ob Druck auf ihn ausgeübt worden sei, wurde der Zeuge gefragt. „Nein“, antwortete er klar. Der Prozess geht am 7. April weiter.