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Seite 1″In Wahrheit scheitert das Ding auf Seite eins“
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Seite 2″Für fünf Zeilen Text war ich oft zwei Stunden beschäftigt“
Seite 3″Die KI braucht Futter, ich aber auch“
ZEIT: Sie gehören zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Thriller-Autoren. Ihr Roman Blackout hat sich allein hierzulande über zwei Millionen Mal verkauft. Erwarten Leser da nicht, dass der Mensch hinter dem Namen auf dem Cover auch das Buch geschrieben hat?
Elsberg: Hat er ja. Wobei für viele Leser der Unterschied nicht mehr zu erkennen ist, das zeigen auch Studien mit Zeitungsartikeln.
ZEIT: Dennoch: Zerstört das nicht die Idee von Literatur, ihre Autonomie, ihren Eigensinn?
Elsberg: Ich war lange in der Werbung. Selbst Spitzenleute produzieren zu 90 Prozent Durchschnitt. Und der Witz ist: Die Kunden wollten meistens genau diesen Durchschnitt.
ZEIT: Unterschätzen Sie die Leserinnen und Leser da nicht?
Elsberg: Das ist nicht negativ gemeint. Wenn ich zum fünften Band einer Krimireihe greife, die ich gern lese, dann genau deshalb: weil ich weiß, was mich erwartet. Dasselbe gilt auch für Nichtserien-Autorinnen und -Autoren – bei fast allen weiß man ungefähr, was man erwarten kann. Daran ist ja nichts Schlechtes. Und selbst solche Romane bekommen KIs derzeit noch nicht allein hin.
ZEIT: Und wenn man mehr will? Was ist mit den letzten zehn Prozent?
Elsberg: Nichtdurchschnitt ist ja noch kein Qualitätsmerkmal per se. Vielleicht werden KIs das eines Tages können, vielleicht nicht. Noch sind sie meilenweit davon entfernt, auch weil sie darauf ausgelegt sind, Mittelwerte zu liefern.
ZEIT: Mit welchen Sprachmodellen arbeiten Sie?
Elsberg: Vor allem mit ChatGPT, Claude und Perplexity. Perplexity nutze ich besonders für Recherchen, weil Quellen gleich mitgeliefert werden. ChatGPT bietet das erst seit diesem Frühjahr.
ZEIT: Sie nutzen KI auch zur Stoffrecherche?
Elsberg: Ja, absolut. Ich recherchiere Unmengen, oft auch nur Details, das kostet wahnsinnig viel Zeit.
ZEIT: Wie darf man sich das vorstellen?
Elsberg: Nehmen wir eine Szene auf einem indischen Markt. Ich will Atmosphäre: Gerüche, Stände, Geräusche, Fisch, Fleisch, Früchte. Ich war selbst schon dort, aber man merkt sich ja nicht jedes Detail. Früher habe ich gegoogelt, stundenlang Reiseberichte gelesen, YouTube geschaut, für fünf Zeilen Text war ich oft zwei Stunden beschäftigt. Heute frage ich die KI und habe nach einer Minute eine Antwort.
ZEIT: Sie lassen die KI einfach schreiben?
Elsberg: Nein, aber sie liefert Antworten auf meine Fragen. Natürlich überprüfe ich das danach noch: Gibt es diesen Markt wirklich? Gibt es dort Lammfleisch? Werden diese Früchte verkauft? Je nach Thema sind zehn bis dreißig Prozent der Antworten schlicht Unsinn, sogenannte Halluzinationen. Die KI ist ein fleißiger Praktikant, dem man ständig auf die Finger schauen muss, der aber doch oft Zeit spart.
ZEIT: Würden Sie der KI so etwas wie Kreativität zusprechen?
Elsberg: Vielleicht sollten wir da ChatGPT fragen. In den meisten Fällen ist Kreativität ja nichts anderes als Neukombination bestehender Dinge. Das müssten KIs super können, weil sie mittlerweile mit mehr Informationen gefüllt sind als jedes menschliche Hirn und viel schneller als wir Bazillionen Neukombinationen liefern könnten. Aber im Ernst: Diese Systeme lernen aus der Vergangenheit, um in der Gegenwart halbwegs funktionierende Sätze zu produzieren. Wie genau sie zu ihren Ergebnissen kommen, das wird zunehmend undurchsichtig. Die ideale KI könnte erklären, warum sie tut, was sie tut. Aber davon sind wir noch weit entfernt.
ZEIT: Also doch Magie?
Elsberg: In gewisser Weise ja. Ich glaube ohnehin, wir bewegen uns zurück in eine Welt, in der der Glaube wieder zentral wird. Und so neu ist das gar nicht.
ZEIT: Wie meinen Sie das?
Elsberg: Auch Wissenschaft war immer ein Stück weit Glaubenssache. Ich muss Forscherinnen und Forschern erst mal glauben, dass ihre Erkenntnisse valide sind und sie sauber gearbeitet haben. Der Unterschied zur Religion oder Ideologie ist der Beweis: In der Wissenschaft kann man – mit Zeit, Bildung, Geduld – die Erkenntnisse nachprüfen. In Religion oder Ideologie bleibe ich auf die Behauptungen der Propheten und Führer angewiesen.
ZEIT: Auch der Science-Thriller beruht auf einer stillschweigenden Prämisse. Dass es Wissenschaft gibt. Und dass es Menschen gibt, die sie betreiben, und andere, die zumindest hin und wieder auf sie hören.
Elsberg: Ja. Aber da scheinen wir heute eigentlich schon drüber hinweg zu sein.
ZEIT: In Celsius spricht eine Klimaforscherin vor dem deutschen Kanzler und dem US-Präsidenten. Heute undenkbar.
Elsberg: Ja, vielleicht hängt das auch mit einer Entwicklung zusammen, die wir nicht erst seit KI beobachten. Schon mit dem Aufkommen von Big Data hat sich unser Verständnis von Wissenschaft zu verschieben begonnen. Die klassische Aufklärung, die auf Kausalitäten beruht, kommt da an ihre Grenzen. Oft lassen sich aus der Mustererkennung in großen Datenmengen genauso gut Erkenntnisse gewinnen – ohne aber die Kausalitäten zu kennen.