Frau Schultz, in der Glocke singen Sie ein Programm aus Arien und Liedern von Igor Strawinsky, Erich Wolfgang Korngold, Leonard Bernstein, George Gershwin und Kurt Weill. Wilde Mischung!
Golda Schultz: Das war die Absicht. Wir kicken die Ideen vor und zurück. Verrückt mag das aussehen, ist aber nicht unbegründet. Uns ging es darum zu zeigen, wie wichtig klassische Musik auch in den Grenzbereichen, sogar im Pop wurde. Von den genannten Komponisten war nur Strawinsky ein reiner Klassiker. Korngold hat Filmmusik komponiert, Bernstein Musicals. Gershwin ging den umgekehrten Weg, indem er nach vielen Songs auch ein Klavierkonzert schrieb. Sogar Kurt Weill landete in Hollywood. Keine abwegige Kombination also. Und umso unterhaltsamer.
Weills „Youkali“ ist ein Chanson, Korngolds „Glück, das mir verblieb“ eine Arie, und „Somewhere“ stammt aus einem Musical. Ist es wichtig, zwischen den Genres zu unterscheiden?
Stil gibt es bei mir auf Anfrage. Natürlich versuche ich, meine Stimme in die jeweils richtige Stillage einzufügen, anstatt alles über einen Kamm zu scheren. Dass es immer die eigene Stimme bleibt, muss aber gleichfalls klar sein. Sich zu verstellen, ist für jeden Sänger gefährlich. Es kann der Stimme schaden. Tatsächlich bildet Strawinsky, von dem ich nicht genug kriegen kann, für mich das Zentrum des Programms. Von hier aus träume ich los.
Ist Strawinskys große Arie aus „The Rake’s Progress“ so schwer zu singen wie sie klingt?
Wohl schon. Sie ist das Schönste, aber auch das Anspruchsvollste in dem ganzen Werk. Auch deswegen, weil es sich eigentlich um einen komponierten Liebesbrief handelt. Da muss man ruhig bleiben. Dummerweise ist die Arie dabei aber voll aberwitziger Überschläge und Koloraturen. Da noch kantabel zu bleiben, das ist die große Kunst.
Das Anspruchsvollste ist nicht immer auch das Dankbarste. Wäre diese Arie dafür ein Beispiel?
Ach, wissen Sie was: Ich bin eine gute Verkäuferin. Oder hoffe es jedenfalls. Jedes Musikstück muss man fürs Publikum schmackhaft machen. Nichts versteht sich von selbst. Dabei kommt es darauf an, immer etwas zurückzubehalten – und nie alles zu geben. Ich hoffe auch, dass man die Liebe merkt, die ich gegenüber der Musik empfinde. Irgendwie muss das auch reichen.
Was wäre ein Beispiel für eine demgegenüber sehr dankbare Arie?
„Deh vieni, non tardar“, die sogenannte „Rosenarie“ der Susanna in Mozarts „Le Nozze di Figaro“. Obwohl diese Arie erst im letzten Akt dran ist, nachdem man schon einen ganzen Abend lang ständig auf der Bühne gestanden ist, fühlt sie sich an wie ein erlösendes Bad. Vielleicht deswegen, weil danach alles bald zu Ende ist. Leider habe ich die Rolle inzwischen mehr oder weniger abgegeben. Ich singe im „Figaro“ heute lieber die Gräfin. Sie hat zwei große Arien, nicht nur eine.
Nachdem Sie auch schon Donna Elvira und Donna Anna im „Don Giovanni“ hinter sich haben, könnte man den Eindruck gewinnen, dass Sie durch sind mit Mozart!?
Das stimmt nicht ganz. Ich habe noch nicht die Ilia im „Idomeneo“ gesungen und auch nicht Zerlina. Letzteres liegt daran, dass ich schon in Süd-Afrika die etwas dramatischere Elvira sozusagen erobert hatte. Auch Fiordiligi in „Così fan tutte“ liegt hoffentlich noch vor mir. Aber es stimmt schon: Man muss immer etwas zurücklassen in diesem Beruf. Bei Mozart aber werde ich trotzdem bleiben. Und wenn es sich auch nur um Konzertarien handeln sollte. Mozart war zuerst da. Und wird für immer der König meines Herzens bleiben.
Wo liegt Ihre Zukunft als Sängerin?
Im französischen Fach, denke ich. Vielleicht in der Grand Opéra. Von Verdi möchte ich demnächst Luisa Miller singen. Und irgendwann in der Zukunft auch Desdemona im „Otello“. Zu Shakespeare würde ich niemals Nein sagen. Auch Alice Ford im “Falstaff” wäre ein gefundenes Fressen. Was für ein verrückter Haufen da auf der Bühne! Genau das Richtige für mich.
Alle von Ihnen in Bremen gesungenen Werke haben einen USA-Bezug. Glauben Sie, dass Sie so etwas wie einen amerikanischen Ansatz mitbringen?
Lieber einen südafrikanischen! Ich habe im Englischen ja schon einen gewissen Akzent. I do it my way. Das Englische selbst ist ja sehr wandelbar. Das Englisch der Emigranten etwa war von sehr unterschiedlicher Couleur. Ich glaube, die richtige Einstellung wäre, durchaus stolz auf den eigenen Akzent zu sein. Und es nicht merken zu lassen. Wenn man es merkt, ist es schon zu viel.
Eines Ihrer Programme trägt den Titel „Dark Matter(s)“. Warum?
Weil es die Nachtseite von mir widerspiegelt.
Gibt es auch so etwas wie eine „schwarze Stimme“? Oder würden Sie diese Bezeichnung falsch finden?
Es gibt durchaus so etwas. Meine Stimme, ich würde schon sagen, ist eine „black voice“. Alles weitere geht mich nichts an. Und interessiert mich auch nicht sonderlich. Dies alles sind alte, generalisierende Kategorien, um die Leute einzukasteln. Generalisierungen, fürchte ich, bringen uns in diesem Punkt nicht weiter.
Sie beschreiben sich selbst als nervös – und leiden angeblich unter starkem Lampenfieber. Ist das in Ihrem Fach, wo Sie ständig hohe Noten treffen müssen, nicht umso schlimmer?
Vor hohen Tönen – oder davor, sie nicht zu kriegen – habe ich merkwürdigerweise noch niemals Angst gehabt. Ich glaube, sonst müsste ich den Beruf wechseln. Mein Lampenfieber bezieht sich eher auf die Frage, ob ich mich in dem richtigen Zustand befinde, um gut eine Geschichte erzählen zu können. Über hohe Noten dagegen darf man nicht nachdenken. Ich suche auch keine Perfektion. Denn sie ist eine Illusion. Selbst Schwalben, die wirklich gekonnte Flieger sind, berühren zuweilen ganz kurz den Boden. „Tu dein Bestes, und zwar sofort“ – das ist mein Motto.
Man erwartet ständig neue Konzertkleider von Ihnen. Wo kriegen Sie die her?
Ich gehe mit Freundinnen zusammen shoppen. Wenn wir von irgendeiner neuen Designerin hören, machen wir uns auf den Weg. Das ist Teil der Arbeit. Aber auch ein großer Spaß.
Sie sind oft in Talkshows und Podcasts zu Gast. Gerne?
Alles was hilft, hilft. Wir müssen uns einsetzen für klassische Musik, egal wie. Und ich rede gern. Es hilft mir sogar, mit gewissen stressigen Aspekten meines Berufes besser klarzukommen. Ich finde es immer gut, wenn eine Unterhaltung eine überraschende Wendung nimmt. Das ist in Talkshows, auch in Podcasts, oft der Fall.
Das Gespräch führte Kai Luehrs-Kaiser.
Info
Golda Schultz tritt beim Musikfest Bremen am Sonntag, 31. August, um 19.30 Uhr mit dem Chamber Orchestra of Europe unter Robin Ticciati in der Glocke auf.
ist eine der erfolgreichsten Sopranistinnen der Gegenwart. 1983 in Kapstadt als Tochter eines Mathematik-Professors geboren, wuchs sie in Bloemfontein auf und studierte in ihrer Heimatstadt sowie an der Juilliard School in New York. 2011 wurde sie Mitglied im Opernstudio der Bayerischen Staatsoper. 2025 trat sie erstmals bei den Salzburger Festspielen auf. Sie ist verheiratet und lebt nach einigen Jahren in Augsburg heute in Berlin.