Spätestens bei der dritten Alltags-Anekdote bricht es aus vielen heraus: „Eigentlich müsste ich ein Buch schreiben!“ In nahezu jedem Beruf gibt es Vertreter, die das für eine gute Idee halten. Auch eine ehemalige Justiz- und Verteidigungsministerin hat die Idee gehabt. Mit zwei Unterschieden zu vielen anderen: Zum einen sind ihre Anekdoten – etwa ihre unglückliche Schuhwahl beim Auftritt im Wüstensand – allgemein bekannt. Der andere Unterschied: Die meisten Menschen, die sagen, sie müssten mal ein Buch schreiben, machen es nicht.

„Auf Stöckelschuhen durch Absurdistan“ – So erfolgreich ist Lambrechts neues Buch

Christine Lambrecht hat etwas geschrieben: eine Art 133 Seiten lange Facebook-Tirade. Darin schreibt sie über sich selbst, rechnet mit unfairen Medien ab, die sie nur auf ihre Fettnäpfchen reduzierten und erzählt, wo sie in 20 Jahren noch so dabei war.

Die Resonanz: Auf der Plattform Amazon, die ohne eigenes Zutun exklusiv für den Vertrieb des Lambrecht-Werks zuständig ist, rangiert „Auf Stöckelschuhen durch Absurdistan“ nach einem Monat auf Platz 87 der Top-100 Bücher in der Kategorie „Politisches System“. Übrigens direkt hinter dem 2021 erschienen Erklär-Buch „Politik verstehen leicht gemacht.“ 

Die geschmähte Hauptstadtpresse nahm das Buch übrigens nur bruchstückhaft wahr. Lambrechts Ankündigung, ein Buch schreiben zu wollen, stieß auf ein größeres Echo als die Buchveröffentlichung selbst.

Hat jemand anderes das Buch geschrieben? Was für die Verschwörungstheorie spricht

Vielleicht ahnten viele Medien, die es laut Lambrecht mit Fakten ohnehin nicht so halten, insgeheim: Dieses Buch kann gar nicht von einer Frau sein, die zwei Bundesregierungen angehörte. Eine Politikerin, die während der Zeit der Grundrechte beschneidenden Corona-Maßnahmen Justizministerin war und beim russischen Angriff auf die Ukraine Verteidigungsministerin. Eine, die ganz ohne Geheimnisverrat wirklich viel Spannendes zu erzählen haben könnte und zumindest ein paar Jahre nahe an den Schalthebeln der Macht saß.

Weiterlesen: Die positiven Seiten der Amtszeit von Christine Lambrecht

Wahrscheinlich wurde das Buch von einem naiven Lambrecht-Fan geschrieben, der es etwas zu gut mit ihr meinte. Oder eine durchtriebene Person wollte mit wenig Erzählstoff, aber einem ansatzweise bekannten Namen nur ein bisschen Geld machen. Sie selbst kann es nicht gewesen sein.

„Auf Stöckelschuhen durch Absurdistan“ ´von Christine Lambrecht- der Titel verspricht etwas mehr als das Buch halten kann
Foto: Tim Prahle

„Auf Stöckelschuhen durch Absurdistan“ ´von Christine Lambrecht- der Titel verspricht etwas mehr als das Buch halten kannIcon MaximizeIcon Lightbox Maximize

SchliessenX ZeichenKleines Zeichen welches ein X symbolisiert

Gleich mehrere Aspekte sprechen für diese Verschwörungstheorie:

  1. Das Buch erschien im Eigenverlag. Theoretisch hätte jede Person als „Christine Lambrecht“ das Buch geschrieben haben können. Einer echten Ex-Ministerin hätten die Verlage das Skript bestimmt aus der Hand gerissen. Angeblich hat „Christine Lambrecht“ das Buch lieber selbst verlegt, damit die von ihr nicht gerade heiß geliebten Hauptstadt-Journalisten nicht vorab von einem Verlag Details erfahren. Aber würde eine echte Ex-Ministerin wirklich auf jeden fachlichen Ratschlag bezüglich Formatierung und Struktur, auf das Lektorat und auf einer Vermarktung verzichten?
  2. Das Buch gibt so gut wie gar keine Einblicke. „Christine Lambrecht“ bleibt bei ihrer Tour durch die persönliche Geschichte erstaunlich allgemein. Sie hätte ja keine Staatsgeheimnisse verraten müssen, aber etwas Hinterzimmerei muss es doch gegeben haben. Stattdessen lesen sich historische Ereignisse, etwa den Austritt von Oscar Lafontaine aus der SPD oder auch bei den die Spenden-Affäre der CDU wie eingeschobene Wikipedia-Einträge.
  3. Eine echte Ex-Ministerin, die derart viel erlebt hat, würde weit souveräner mit ihren einstigen Widersachern aus der Presse umgehen. Doch dafür, dass das Buch keineswegs eine Abrechnung werden soll, bekommen manche Journalisten doch deutlich ihr Fett weg. Ihr Beschaffungsbeschleunigungsgesetz wiederum, von dem Nachfolger Boris Pistorius und die Bundeswehr noch heute maßgeblich profitieren, ist ihr nur ein paar Zeilen wert, Schlusspointe eines zweiseitigen „Was-ich-alles-tolles-erreicht-habe”-Kapitels. So vergisst „Christine Lambrecht“ die meiste Zeit, was die Presse ihrer Meinung nach ebenfalls vergessen hat: Lambrechts politische Tätigkeit. 

Gibt es auch Indizien, die gegen die Theorie der „falschen Lambrecht“ sprechen? Kaum. Allerdings kokettierte eine höchstwahrscheinlich echte Christine Lambrecht bereits damit, eventuell sogar eine Fortsetzung des Buches zu schreiben. Das nährt den Gedanken: Vielleicht hat die Frau auch einfach Spaß an Fettnäpfchen und kopfschüttelnden Beobachtern. Ob sie wirklich etwas zu erzählen hat, ist doch zweitrangig. Haters gonna hate. Go Christine!