Europamagazin

Stand: 09.08.2025 18:48 Uhr

Als EU-Generalstaatsanwältin kennt Laura Kövesi das Ausmaß der Korruption in EU-Staaten und der EU selbst nur zu gut. Das missfällt vielen. Was treibt die Rumänin an?

Von Olga Chladkova und Michael Grytz, ARD Brüssel

Die Rumänin Laura Kövesi hat als Staatsanwältin die dunkelsten Facetten der Korruption gesehen – und wünscht sich mehr Aufmerksamkeit für das Problem: „Wie viele Tragödien braucht es noch, bis wir endlich merken, dass Finanzkriminalität keine Kleinigkeit ist?“ Denn Korruption kann tödlich sein, dass hat sie immer wieder erfahren – unter anderem in Griechenland.

Dort ermittelt die Rumänin als europäische Generalstaatsanwältin, wo ein tragisches Zugunglück im März 2023 57 Menschen in den Tod riss. „Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass Griechenland Millionen Euro von der EU für sein Schienennetz erhalten hat. Das Signalsystem sollte erneuert werden. Wäre das Projekt rechtzeitig und auf die richtige Weise umgesetzt worden, hätte die Tragödie vermieden werden können.“

Weitreichende Kompetenzen

Kövesi ist Chefin einer einmaligen Behörde. Die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA) ist ein Zusammenschluss von 24 EU-Ländern, die gemeinsam über Grenzen hinweg zu Subventionsbetrug und Finanzkriminalität ermitteln. Auf ihrem Tisch liegen die größten Betrugsfälle der EU.

Das Besondere: Ihre Behörde produziert nicht nur Berichte, sie kann effektiv durchgreifen, Razzien durchführen, Beweismittel beschlagnahmen, Verdächtige festnehmen und vor Gericht bringen.

Immer wieder kommt Kövesi mit ihrem Team so kriminellen Netzwerken auf die Spur. „Es gibt kein sauberes Land. Korruption, Subventionsbetrug, Mehrwertsteuerbetrug, Zollbetrug: Keiner kann sagen, dass es das bei ihm nicht gibt“, betont Kövesi.

Auch Deutschland im Visier

Auch Deutschland ist nicht ausgenommen. Denn die Bundesrepublik ist ein beliebtes Ziel für Banden, die mit Hilfe von Mehrwertsteuerbetrug Geldwäsche betreiben. Dem deutschen Fiskus gehen so jährlich fast zehn Milliarden Euro Steuergelder verloren.

Doch Kövesi und ihrem Team gelingt es auf spektakuläre Weise, diesen international operierenden Netzwerken immer wieder das Handwerk zu legen.

Betrug kennt Kövesi aus ihrem Heimatland Rumänien allzu gut. Es gilt als eines der korruptesten Länder Europas. 2006 wird sie mit 33 Jahren die jüngste und erste weibliche Generalstaatsanwältin des Landes.

„Ich habe gesehen, wie Korruption unser tägliches Leben beeinflusst, und wahrscheinlich wollte ich etwas tun, das für die Gesellschaft wichtig ist. Und ich dachte, dass ich durch meine Arbeit etwas verändern kann“, sagt Kövesi heute.

Schädlich für das Ansehen Rumäniens?

Ihre Arbeit verändert vieles: Als Chefin der nationalen Antikorruptionsbehörde (DNA) bringt sie ab 2013 in Rumänien tausende Beamte und Politiker vor Gericht, darunter Abgeordnete, Minister und zwei ehemalige Premierminister, und viele davon ins Gefängnis.

Damit macht sie sich Feinde. 2018 folgt ein Amtsenthebungsverfahren gegen sie. Ihr wird vorgeworfen, sie schade dem Ansehen des Landes. Es folgt eine Anklage, nun wirft man ihr Korruption vor. Doch Kövesi gewinnt den Rechtsstreit, wird freigesprochen. Entlassen wird sie trotzdem.

Schäden in Milliardenhöhe

2019 wird sie zur ersten europäischen Generalstaatsanwältin benannt. Seitdem sorgt sie als europäische Chefanklägerin für Schlagzeilen. 2024 eröffnete sie 2.666 Ermittlungsverfahren mit einem veranschlagten Gesamtschaden von 24,8 Milliarden Euro.

Dabei schreckt sie nicht zurück, sich mit den Großen anzulegen. Sie untersucht da, wo mutmaßlich EU-Gelder hinterzogen werden: geht der Veruntreuung von Geldern im Europaparlament nach und ermittelt gegen die griechische Regierung, deren Minister jetzt auch noch unter Verdacht stehen, im großem Umfang Agrasubventionen hinterzogen zu haben. Auch der umstrittene Impfstoff-Deal von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen liegt auf ihrem Tisch.

In ganz Europa kommen durch die europäische Staatsanwaltschaft Politiker ins Schwitzen. Doch auch in der EU gibt es Versuche, sie auszubremsen. „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich dies auf europäischer Ebene erleben würde. Einige Politiker, nicht alle, aber einige von ihnen, sagen mir: ‚Frau Kövesi, Sie sollten nicht so viel über diese Fälle sprechen und Sie sollten die Statistiken nicht veröffentlichen. Denn wenn die Menschen sehen, dass wir so viele Fälle haben, werden sie denken, dass wir alle korrupt sind‘. Und ich antworte jedes Mal: ‚Okay, wenn ich die Pressemitteilung nicht veröffentliche und sage, dass wir null Fälle haben, dann bedeutet das, dass alles in Ordnung ist und alle Länder sauber sind?‘ Ich hätte nicht erwartet, dass auch in Europa die Tendenz besteht, Probleme nicht anzugehen, wenn es sie gibt.“

„Das Gefühl von Gerechtigkeit ist unabdingbar“

Laura Kövesi wird weitermachen. Denn die Europäische Union hat viel Geld, und die Gefahr, dass es veruntreut wird, ist groß. Geld, das den Bürgern zusteht, für bessere Krankenhäuser, gute Ausbildung, funktionierende Straßen.

Korruption werde niemals vergehen, sagt Kövesi. Doch der Kampf sei es Wert, denn das Gefühl von Gerechtigkeit sei unabdingbar, für die Bürger und die Demokratie – und das gebe es nur mit einer unabhängigen und starken Justiz.

Ein ausführliches Porträt von Laura Kövesi sehen Sie im Europamagazin – am Sonntag um 12.45 Uhr im Ersten oder schon jetzt in der ARD-Mediathek.