Mehrere Hundert Skelette sind bei Bauarbeiten an der Leipziger Nikolaikirche entdeckt worden. Was wie die Schlagzeile zu einem riesigen Kriminalfall klingt, ist tatsächlich ein archäologischer Ausflug weit zurück in die Stadtgeschichte. Denn bis vor gut 500 Jahren waren rund um die Kirche Menschen beigesetzt worden. Bei den aktuellen Sanierungsarbeiten am Gemäuer sind zahlreiche dieser Gebeine freigelegt worden – manche noch komplett erhalten.
Es wurde zunehmend feucht im Gemäuer der inzwischen 860 Jahre alten Kirche im Herzen der Stadt. Das machte eine umfassende Trockenlegung erforderlich, der Sockel musste saniert werden. Weil hierfür natürlich tief gebuddelt werden muss, kam an dieser Stelle auch das Landesamt für Archäologie Sachsen mit ins Spiel – mit einem Team unter Leitung von Peter Hiptmair.
Denn bereits bei früheren Baumaßnahmen waren alte Bestattungen festgestellt worden. Somit war klar, dass davon nun noch einige mehr gefunden werden würden – viel mehr sogar, wie sich herausstellte. Archäologe Hiptmair spricht von geschätzt 200 bis 300 Stück. Die meisten davon waren im Lauf der Jahre allerdings bereits gestört bzw. zerstört worden. Aber – wie nun der Presseöffentlichkeit präsentiert wurde – existieren auch noch unversehrte Exemplare.
Aus historischer Sicht faszinierend ist der Gedanke, dass diese Menschen vor mindestens 500 Jahren plus X gelebt haben. Denn: „Ungefähr um 1536 gab es einen Erlass, dass in der Stadt nicht mehr bestattet werden darf, das heißt der Friedhof um die Kirche wurde in der Zeit aufgelassen“, erklärt Peter Hiptmair. Er bedauert allerdings, dass keinerlei Grabbeigaben gefunden werden konnten, die noch näheren Aufschluss über die genaue Zeit ermöglicht hätten.
Diese Hoffnungen liegen deshalb nun voll und ganz bei den Anthropologen. Denn neben einer Eingrenzung des Zeitraums der Beisetzung sind auch weitere Details von Interesse, zum Beispiel das Geschlecht, die Todesursache und das Alter beim Ableben. Nach diesen Untersuchungen, so das Bestreben von Nikolai-Pfarrer Bernhard Stief, sollen die Gebeine dann wieder an der Kirche ihre endgültige Ruhe finden.
Aber nicht nur Skelette wurden bei den Ausgrabungen entdeckt. Es kamen auch Fundamentreste von Vorgängerbauten zum Vorschein, „die auch wichtig sind für die Baugeschichte der Nikolaikirche, die bisher eher unerforscht ist“, wie Hiptmair ergänzt. So konnten diese teilweise dem Barock zugeordnet werden, entstammen also in etwa dem 17. Jahrhundert. In diesem Zuge wurden auch Gruftanlagen in unterschiedlichen Größen gefunden.
Detailliertere Informationen zu den archäologischen Ausgrabungen an der Nikolaikirche gibt Ausgrabungsleiter Peter Hiptmair in unserem LZ-Video preis:
Voraussichtlich Ende September sollen die archäologischen Tätigkeiten dann abgeschlossen sein. Nach der Reinigung der Sockelzone werden die Gruben schließlich mit sogenanntem Flüssigboden verfüllt. Dieses sich selbst verdichtende Material verleiht den Kirchenfundamenten eine substanzschonende Hülle – und hält das historische Gemäuer hoffentlich noch lange trocken.