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Der Ukrainer Maksym Noha, zusammen mit der Leiterin des International Office der Hochschule Fulda, Julia-Sophie Rothmann (links) und der stellvertretenden Leiterin des International Office und Erasmus-Koordinatorin, María Campuzano. © Marcus Lotz
Der 21-jährige Maksym Noha hat in seinem Heimatland Ukraine drei Jahre Krieg erlebt. Nun studiert er in Fulda und berichtet von Ängsten, Problemen und Plänen.
Fulda – Maksym Noha studiert seit März an der Hochschule Fulda. Vor wenigen Monaten lebte er noch in der Ukraine. Die Angst vor dem Tod durch russische Bomben oder Raketen war dort allgegenwärtig. In Fulda kann der 21-Jährige endlich wieder ruhig schlafen, wie er im Interview erzählt. Es wurde auf Englisch geführt und von unserer Redaktion ins Deutsche übersetzt.
Ukrainischer Student im Interview über Krieg und Umzug nach Fulda
Max, Sie sind seit März hier in Deutschland. Wo kommen Sie ursprünglich her?
Ich stamme aus Tscherkassy, einer Stadt im Zentrum der Ukraine. Dort habe ich Informatik am Cherkasy State Business College studiert. Im März kam ich nach Fulda. An der Hochschule studiere ich International Business and Management.
Warum haben Sie sich für Deutschland entschieden und wie sind Sie ausgerechnet in Fulda gelandet?
Es standen mehrere Hochschulen in Europa zur Auswahl. Ich hätte beispielsweise auch nach Österreich gehen können. Für Fulda habe ich mich entschieden, weil das hier die größte Hochschule war, die für mich infrage kam. Meine Erasmus-Koordinatoren haben mir zudem gesagt, dass es in Fulda sehr viele internationale Studierende gibt. Das fand ich spannend, weil ich den kulturellen Austausch für sehr wichtig halte, auch für meine berufliche Zukunft. Dann haben sie mir Fotos von Fulda gezeigt und ich sagte: „Da muss ich hin!“
Kooperation
Die Hochschule Fulda pflegt mit mehreren ukrainischen Hochschulen Partnerschaften. Seit 2023 ist sie Mitglied der Europäischen Hochschul-Allianz E³UDRES². Die Ukraine ist hierbei assoziierter Kooperationspartner. Seit dem Wintersemester fördert die Hochschule Studierende, die aus dem Ausland kommen, mit einem Stipendium. Zuletzt unterstützte die Hochschule Fulda ihre Partneruniversität in Sumy nach einem Raketenangriff.
Maksym Noha ist über das Austauschprogramm „Erasmus+ Weltweit“ für ein Semester an der Hochschule Fulda. Außer ihm gibt es im Sommersemester 2025 noch vier weitere ukrainische Austauschstudierende. „Die Hochschule und das International Office sehen ihren gesellschaftlichen Auftrag darin, durch solche Austauschprogramme wie Erasmus+ nicht nur Wissen, sondern auch europäische Werte zu vermitteln. Das ist uns, gerade auch angesichts der aktuellen Lage in der Ukraine, ein wichtiges Anliegen“, sagt Julia-Sophie Rothmann. Sie ist Leiterin des International Office der Hochschule.
Die Arbeit mit ukrainischen Kolleginnen und Kollegen, aber auch mit Studierenden, lässt sie immer wieder staunen. „Es ist sehr beeindruckend, wie sie mit der Situation umgehen, wie widerstandsfähig sie sind. Mir fällt hier sofort der Begriff der Resilienz‘ ein – wenn das auf jemanden zutrifft, dann auf diese Personen. Diese Erfahrung ist sowohl für uns, als auch für unsere Studierendenschaft eine Bereicherung, die man gar nicht genug schätzen kann.“
Wie gefällt Ihnen Deutschland und wie gestalten Sie den Alltag?
Ich mag das Land. Ich gehe vielen verschiedenen Aktivitäten nach, sowohl mit Leuten, mit denen ich studiere als auch mit Freunden oder Studierenden, die ich im Fitness-Studio treffe. Manche lerne ich auch einfach zufällig auf der Straße kennen. Ich bin ein sehr offener und kontaktfreudiger Mensch und mag das Umfeld an der Hochschule, weil es viele Gelegenheiten bietet, mit anderen in Kontakt zu kommen.
Welchen Eindruck haben Sie von den Menschen in Deutschland?
Ich mag die Deutschen. Sie gehen total entspannt durch ihren Alltag. In meinem Land ist das ganz anders: Dort haben es die Menschen immer eilig. Aber es gibt auch Bereiche, in denen es nicht so entspannt läuft.
Zum Beispiel?
Ehrlich gesagt: Die Bürokratie in Deutschland ist schrecklich. Ich habe in den drei Monaten, in denen ich jetzt hier bin, vermutlich mehr Papierkram zu Gesicht bekommen, als in meinem ganzen restlichen Leben! (lacht) In der Ukraine ist das alles wesentlich einfacher. Vieles erledigen wir online über eine einzige App.
Das scheint Sie überrascht zu haben. Gibt es andere Dinge, die Sie vor Ihrer Reise nach Deutschland nicht erwartet hätten?
Ich dachte, die Deutschen können kein Englisch. Hier habe ich dann festgestellt: Viele können Englisch – auch wenn sie merkwürdigerweise das Gegenteil behaupten. Ich schätze, sie fühlen sich einfach wohler, wenn sie Deutsch sprechen. Was mich ebenfalls überrascht hat, ist das Bus- und Bahnnetz in Deutschland. Ich hätte nicht gedacht, dass das so gut ist.
Wenn Sie sich mit Ihren Mitstudierenden unterhalten, wie oft werden Sie auf den Krieg in Ihrem Heimatland angesprochen?
Bevor ich nach Deutschland kam, haben mir meine Eltern gesagt, dass man sich im Rest Europas nicht sonderlich für den Krieg in der Ukraine interessiere. Ich war skeptisch und wollte selbst herausfinden, wie die Leute hier darüber denken. Als ich nach Deutschland kam, hat mich anfangs niemand auf dieses Thema angesprochen. Erst nach und nach haben mir die Leute Fragen gestellt, aber es ist weiterhin eher die Ausnahme als die Regel. Das ist für mich auch absolut in Ordnung. Ich gehe offen damit um und bin jederzeit bereit, darüber zu sprechen. Das Problem ist aber auch, dass die Menschen nicht in vollem Maße nachempfinden können, wie es mir damit geht.
Flugzeug-Geräusch löste Bomben-Angst aus
Wie geht es Ihnen damit?
Dieser Krieg ist mittlerweile ein Teil von mir, auch wenn es nur drei Jahre meines Lebens waren, bevor ich nach Deutschland kam. Ich könnte jetzt davon erzählen, wie es ist, immer wieder Explosionen, die dein Leben bedrohen, zu erleben. Du würdest verstehen, was ich damit meine. Aber du könntest es nicht in vollem Maße nachempfinden – weil du es nie erlebt hast. Als ich hier ankam und mein Appartement gerade bezogen hatte, hörte ich ein Flugzeug über meine Wohnung fliegen. Mir schoss sofort der Gedanke in den Kopf, meinen Rucksack zu schnappen, aus dem Gebäude zu rennen und Schutz zu suchen – weil das in der Ukraine ganz normal ist. Man lebt in ständiger Angst: Jeden Tag könnte eine Rakete oder eine Bombe dein Haus treffen.
In Deutschland gab es eine große Debatte darüber, ob man Putins Angriffskrieg nicht deutlicher hätte vorhersehen können. Wie überraschend kam er für die Menschen in der Ukraine?
Wir haben definitiv damit gerechnet. Dieser Angriff war nicht schwer vorauszusehen. Die russische Armee hatte sich lange darauf vorbereitet und Kriegsmaterial an der Grenze zusammengezogen. Wenige Tage vor dem Ausbruch des Krieges ist meine Familie in eine sichere Region gereist, weil wir wussten, dass bald etwas passieren wird. Niemand war sich zu 100 Prozent sicher – weil es niemand so richtig wahrhaben wollte – aber viele Menschen waren darauf vorbereitet, dass etwas Schreckliches passieren könnte.
Verfolgen Sie die Debatten in Deutschland über den Ukrainekrieg, zum Beispiel über Waffenlieferungen?
Mein Vater erzählt mir manchmal davon, aber ich verfolge das nicht. Ich habe das Gefühl, dass es zu solchen Themen viele irreführende Informationen gibt und es sehr mühsam ist, herauszufinden, was davon stimmt. Ich möchte keine Zeit und Energie dafür verschwenden.
Wie hat sich Ihr Lebensgefühl verändert, seit Sie in Deutschland leben?
In der Ukraine gab es viele Nächte, in denen ich das Haus verlassen und Schutz vor Luftangriffen suchen musste. Dafür gab es eine Warn-App auf dem Smartphone. Diese App habe ich jetzt nicht mehr. Mittlerweile schlafe ich ruhig. Anfangs hatte ich aber große Probleme, einzuschlafen oder ich bin mitten in der Nacht aufgewacht. In der Ukraine war es für mich völlig normal, nachts um 2 Uhr aufzuwachen, weil es Luftalarm gab, ins Auto zu steigen, irgendwo hinzufahren, wo es sicher ist und dort zwei Stunden zu bleiben – oder sechs, oder acht –, bis ich wieder nach Hause konnte. In Deutschland geht man einfach abends schlafen und wacht morgens wieder auf. Das hat mich anfangs enorm irritiert.
Haben Sie Kontakt zu Ihren Eltern?
Jeden Tag. Sie erzählen mir, dass es schlimmer geworden ist, seit ich das Land verlassen habe. Sie haben große Probleme, zu schlafen. Große Städte wie Kiew sind relativ gut geschützt, in weniger dicht besiedelten Regionen sieht es nicht so gut aus.
Wie fühlt sich Ihr Leben jetzt für Sie an?
Ich bin der Hochschule für die Möglichkeit, hier sein zu dürfen, sehr denkbar. Das fühlt sich für mich immer noch wie ein kleines Wunder an. Ich fühle mich wohl und habe keine Angst mehr. Ich kann einschlafen, ohne mir Sorgen darüber zu machen, ob ich am nächsten Tag noch am Leben sein werde. Ich weiß, dass ich eine Zukunft habe und kann sie planen.
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Am liebsten würde ich hier noch zwei, drei Jahre studieren. Ich möchte aber auch noch andere Länder sehen.
Maksym Noha will nicht zurück in die Ukraine
Eine Rückkehr in die Ukraine kommt für Sie nicht infrage?
Nein. Es raten mir auch alle davon ab. Als junger Mann würde ich schließlich in die Armee eingezogen – nicht sofort, da ich erst 21 bin und das aktuelle Eintrittsalter dafür liegt bei 25. Es gibt jedoch Gerüchte, dass es sein könnte, dass es in naher Zukunft auf 23 gesenkt wird. Das Risiko, an der Front getötet zu werden, ist hoch, insbesondere bei dem weit verbreiteten Einsatz von Drohnen. Außerdem zahlt die Regierung an die Familien der Gefallenen eine Entschädigung, die bei Weitem nicht ausreichend ist. Der zuvor versprochene Betrag war 15 Millionen UAH (ukrainische Währung), aber jetzt ist es deutlich weniger. Mein Vater erwähnte, dass die aktuelle Auszahlung genug ist, um einen Mazda aus dem Jahr 2022 zu kaufen. Ich kenne die genauen Zahlen aber nicht und möchte auch keine Fehlinformationen verbreiten.
Spielt bei Ihrer Entscheidung auch die Tatsache eine Rolle, dass Sie sich an das Sicherheitsgefühl in Deutschland gewöhnt haben?
Sicherheit ist das Hauptargument, ja. Mein Leben in der Ukraine war hektisch, ich musste ständig darauf achten, dass ich mich schnell in Sicherheit bringen kann. Diese Zeit meines Lebens hat mich definitiv widerstandsfähiger gemacht, zu 100 Prozent. Allerdings fordert es einen Tribut von dir, wenn du zu lange solchen Bedingungen ausgesetzt bist. Sicherheit bringt Stabilität. Stabilität ermöglicht dir eine Vorstellung davon, wo dein Leben hingehen kann und wie du dich selbst verwirklichen kannst.
Werden Ihre Eltern in der Ukraine bleiben?
Ja. Sie sind beide beim Militär, eine Ausreise ist für sie also derzeit nicht möglich.