Prinz Andrew gilt schon lange als das schwarze Schaf der Windsors – und das nicht erst seit seiner Verbindung zu Jeffrey Epstein. Nun bringt ein Enthüllungsbuch pikante Details ans Licht, die das Image des sexbesessenen „Randy Andy“ bestätigen und ihn regelrecht dämonisieren. Ist das gerecht?
Es bleibt immer etwas Unbegreifliches, wenn man sich bewusst macht, dass auch Schurken kleine Kinder waren. Entzückende Mädchen mit Lockenkopf. Pausbäckige Jungs, die mit großen Augen ins Leben schauen, unbefangen, fröhlich und verletzlich. Dann fragt man sich, wie es passieren konnte, dass sie irgendwann auf die schiefe Bahn gerieten.
So wie Prinz Andrew. 1960 als drittes Kind und zweiter Sohn von Königin Elizabeth II. und Prinz Philip im Buckingham Palace geboren, kam er nicht nur mit den besten materiellen Voraussetzungen zur Welt. Er war auch Mamas Liebling, die ihn ordentlich verwöhnte. Aber er hatte es auch nicht immer leicht.
Als er sieben war, verkündete die Boulevardpresse, dass er noch nicht lesen kann. Als der Austauschschüler mit 17 in Kanada an einer Musical-Aufführung teilnahm, bemerkten die Medien hämisch, dass seine mangelnden Gesangskünste nur für eine Nebenrolle reichten. Und nachdem er zum ersten Mal nachts im Mädchenschlafzimmer seines Internats erwischt wurde, dauerte es nicht lang, bis er seinen Ruf weg hatte: „Randy Andy“ – „geiler Andy“.
Andrew, Duke of York, Bruder von König Charles III.: Sein Ruf ist der einer Mixtur aus tumbem Tor und sexsüchtigem Taugenichts. Das machte ihn von Jugend an zum perfekten Anti-Helden in den Dramen, die in den Klatschspalten über die tatsächlichen und angeblichen Vorgänge hinter Palastmauern, auf Jet-Set-Partys und in Luxus-Hotelzimmern geschildert werden.
Doch auch wenn jeder Fehler und jeder Fehltritt eines royalen Sprösslings genüsslich ausgebreitet und ausgeschmückt wird – Andrew ist kein Unschuldslamm. Er ist nicht grundlos das schwarze Schaf der Windsors, der das Image der Familie mit seinem ausschweifenden Lebensstil beschädigte. Dabei war die Affäre des 22-Jährigen mit der Softpornodarstellerin Kathleen „Koo“ Stark im Jahr 1982 nur eine Petitesse.
Seine unheilvollen Verbindungen zu dem verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein, der sich 2019 im Gefängnis das Leben nahm, richteten dagegen einen so großen Schaden an, dass er das Königshaus nicht mehr vertreten darf und alle militärischen Ehrentitel abgeben musste.
Am 14. August erscheint in Großbritannien ein neues Enthüllungsbuch über den Problem-Prinzen, das schon jetzt hohe Wellen schlägt. Die „Daily Mail“ gibt seit einigen Tagen erste überaus pikante Kostproben aus „Entitled – The Rise and Fall of the House of York“. Sie bestätigen Andrews mieses Image – und setzen noch einiges drauf.
Der Autor Andrew Lownie, promovierter Historiker und Mitglied der Royal Historical Society, hat Abgründiges zusammengetragen. Von Drogenmissbrauch ist die Rede, von Sexorgien mit minderjährigen Mädchen. Ehemalige Angestellte berichten von Dessous in Andrews Zimmer, von prall gefüllten Umschlägen, die Prostituierten für verrichtete Dienste übergeben werden mussten.
Lownie zeichnet das Bild eines Sexmonsters, das angeblich mit mehr als 1000 Frauen geschlafen hat. Auch Epstein wird zitiert. Andrew, so soll er behauptet haben, sei „das perverseste Tier im Schlafzimmer. Er macht Dinge, die sogar mir zu abartig sind – und ich bin der König des Perversen!“
Ist es angebracht, einen Menschen derart zu dämonisieren?
Michael Begasse, 59, RTL-Adelsexperte und Autor („111 royale Momente für die Ewigkeit“, Emons) beobachtet Andrew seit mehr als zwei Jahrzehnten. „Prinz Andrew“, sagt Begasse, „war schon immer mit einem Dünkel ausgestattet: ,Ich bin der Lieblingssohn der Queen! Ich bin der Lieblingssohn meiner Mama! Als solcher kann ich mir einfach alles erlauben.‘“
Begasse glaubt, dass ihn das bis heute treibe. Und er ist auch davon überzeugt, dass Andrew in den vergangenen Jahren viel hätte tun können, um sein Image aufzupolieren. Er hätte sich verstärkt der Charity-Arbeit widmen können. Er hätte sich auch dazu bekennen können, Fehler gemacht zu haben und diese zu bereuen. Das alles aber habe er nicht getan. „Stattdessen kamen Dementis, die unglaubwürdig wirkten.“
Der desaströse Höhepunkt dieser Strategie war das BBC-Interview 2019. Die Journalistin Emily Maitlis befragte ihn zu den von Virginia Giuffre erhobenen Vorwürfen, nicht nur von Epstein zur Prostitution gezwungen, sondern als 17-Jährige auch von Andrew mehrmals missbraucht worden zu sein.
Der Prinz wies die Vorwürfe zurück, sagte, sich nicht erinnern zu können, Virginia Giuffre jemals gesehen zu haben. Auch die Entstehung des Fotos, das ihn Arm in Arm mit ihr zeigt, während Epsteins Komplizin Ghislaine Maxwell im Hintergrund in die Kamera grinst, lag außerhalb seines Erinnerungsvermögens.
Virginia Giuffre verklagte Andrew 2021 auf Zahlung von Schmerzensgeld wegen sexuellen Missbrauchs. Er konnte den Prozess mithilfe eines Vergleichs beenden, indem er eine, wie es von ihren Anwälten hieß, „bedeutende Summe“ an ihre Wohltätigkeitsorganisation zahlte. „Hätte er keinen Dreck am Stecken gehabt“, so Begasse, „hätte er sie nicht für ihr Schweigen bezahlen müssen. Da bleibt ein Geschmäckle“.
Was ihn bei den aktuellen Vorwürfen gegen Andrew und sein angeblich so ausschweifendes Sexleben allerdings wundere: „Warum ist Virginia Giuffre die Einzige geblieben, die mit Missbrauchsvorwürfen an die Öffentlichkeit gegangen ist? Warum sind nicht mehr Frauen auf diesen Zug aufgesprungen, um ihn anzuklagen und Schmerzensgeld einzufordern?“ Die Vorwürfe gegen Andrew seien sehr ernst zu nehmen. Aber auch für einen Prinzen gelte die Unschuldsvermutung. Virginia Giuffre, die sich in diesem Frühjahr das Leben genommen hat, konnte ihre Anschuldigungen nicht beweisen.
Andrew, Nummer acht in der Thronfolge, bleibt eine toxische Persönlichkeit, die bekannt ist für ihr rüpelhaftes und übergriffiges Verhalten. Offenbar hat er es nie richtig gelernt, die mit vielen Privilegien versehene Nebenrolle am Hof dauerhaft mit Sinn zu füllen. Tatsächlich wirkte er immer dann sympathisch, wenn er einen Platz im Leben gefunden zu haben schien.
So feierten die Briten ihn als tapferen Soldaten, als er 1982 als Hubschrauberpilot an Bord des Flugzeugträgers „HMS Invincible“ an den Kampfhandlungen des Falkland-Kriegs teilnahm. Begasse nahm bei ihm auch „eine Stimmigkeit“ wahr, als die 1996 geschiedene Ehe zu Sarah Ferguson noch intakt war. „Mit ihr an seiner Seite, als junger Vater seiner beiden Töchter, gab es eine Zeit, in der er cool und liebenswürdig erschien.“
Ein Paar, das nach wie vor ganz eng ist – und auch gemeinsam im Visier des neuen Enthüllungsbuches steht. Der Autor unterstellt „Fergie“ Verschwendung und die Verwicklung in dubiose Geschäfte. Inwieweit die Vorwürfe berechtigt sind, muss geklärt werden. Was bleibt, ist die Frage, ob das Buch der Monarchie schadet. Begasse gibt Entwarnung. „Es wird ein kurzes Aufwallen bleiben, bei dem natürlich auch die Royal Family in den Fokus rückt“, sagt er. „Das wird aber nicht dauerhaft sein.“ Andrew erfülle in der Familie keine offizielle Funktion mehr. In einer Familie, in der sich der Rest anständig benimmt, sei er eine Art „crazy uncle‘“, den man billigend in Kauf nehmen müsse.