Zur Person
Stefanie Arndt
kümmert sich bei der Bremer Polizei um das Thema Verkehrssicherheit von Schülerinnen und Schülern. Darüber hinaus engagiert sich im Bündnis „Aber sicher“. Das hat es sich zur Aufgabe gemacht, sowohl Lehrkräfte als auch Eltern zu unterstützen, damit Schulwege in der Hansestadt sicherer werden.
Verena Nölle
verantwortet bei der Landesverkehrswacht Bremen den Bereich Mobilitäts- und Verkehrserziehung. Vor mehr als 20 Jahren gründete sie den Schulexpress, der Kinder dazu animieren soll, in kleinen Gruppen zu Fuß zur Schule zu gehen. Für ihr Engagement verlieh ihr Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 2019 das Bundesverdienstkreuz.
In diesen Tagen werden überall im Bremer Norden Schulwegbanner aufgehängt. Mit welchem Ziel passiert das?
Stefanie Arndt: Am 16. August werden die Erstklässler eingeschult. Zwei Tage zuvor beginnt bereits das neue Schuljahr. Und darauf möchten wir alle Verkehrsteilnehmer aufmerksam machen. Wir möchten sensibilisieren, dass alle wieder mehr Rücksicht nehmen, achtsam fahren und eben auf die kleinsten Verkehrsteilnehmer, auf die schwächsten Verkehrsteilnehmer, achten.
Was können Autofahrer, aber auch Fahrradfahrer, konkret tun, um Grundschülern einen möglichst sicheren Weg zur Schule und wieder nach Hause zu ermöglichen?
Stefanie Arndt: Verkehrsteilnehmer müssen ihre Geschwindigkeit anpassen und nicht schneller fahren als erlaubt. Zudem sollten sie nicht bei Rot fahren und wirklich alle Verkehrsregeln einhalten.
Verena Nölle: Und sie sollten Rücksicht nehmen und auf das Miteinander im Straßenverkehr achten. Dass wir als Verkehrsteilnehmer gucken: Wie verhalten sich die anderen. Und wenn ich als Verkehrsteilnehmer Schulanfänger sehe, muss ich mich noch mal ein bisschen mehr zurücknehmen.
Welchen Gefahren sind Erstklässler konkret im Straßenverkehr ausgesetzt?
Verena Nölle: Erstklässler sind den gleichen Gefahren ausgesetzt wie alle anderen auch, aber sie sind noch nicht so sicher. Denn der Schulweg ist neu für sie. Und neue Wege müssen gelernt und auch geübt werden. Wir haben zwar Kontaktpolizisten, die Kinder im Rahmen des Schulunterrichts in den Straßenverkehr einführen, trotzdem sollten Eltern sich die Zeit nehmen, den Schulweg mit ihren Kindern zu Fuß zu üben.
Stefanie Arndt: Die geistige Entwicklung von Kindern ist in dem Alter noch nicht abgeschlossen. Dadurch lassen sie sich leicht ablenken, erzählen von Ferienerlebnissen oder haben ein Spielzeug in der Hand und laufen dann über die Straße, ohne vorher zu gucken. Das ist die große Gefahr, der Erstklässler ausgesetzt sind. Sie müssen lernen, sich im Straßenverkehr richtig zu bewegen. Ein Schulweg mit dem Elterntaxi ist da auch nicht hilfreich.
Stefanie Arndt
Foto:
Björn Josten
Eltern sind ein gutes Stichwort: Sie haben ja gerade schon gesagt, dass sie den Schulweg mit ihren Kindern zu Fuß einüben sollten. Was können Eltern noch tun, um ihre Kinder so gut wie möglich auf den Straßenverkehr vorzubereiten?
Verena Nölle: Zu Fuß deshalb, weil Kinder dann nicht so schnell unterwegs sind. Roller- und Fahrradfahren ist schon eine Stufe mehr. Beim Roller nimmt die Geschwindigkeit zu. Und beim Fahrrad müssen sie treten, lenken und den Straßenverkehr im Blick behalten. Das ist noch mal eine Herausforderung mehr. Deshalb sollte man damit erst später anfangen. Die Fahrradprüfung zum Beispiel steht in der Regel in Klasse 4 an und nicht vorher. Grundsätzlich sollten Eltern den Schulweg mit ihren Kindern üben und sie auf bestimmte Situationen vorbereiten. Dazu gehört zum Beispiel, wie man eine Straßenkreuzung bewältigt. Darüber hinaus sollten sie nicht den kürzesten, sondern den sichersten Schulweg wählen.
Stefanie Arndt: Eltern sind natürlich auch Vorbilder. Alles, was Eltern machen, geben sie an ihre Kinder weiter. Wenn ich bei Rot gehe, dann gehen meine Kinder davon aus, dass das in Ordnung ist und huschen dann auch mal bei Rot über die Straße. Aber das ist genau falsch: Ich bin ein Vorbild und gehe natürlich nur bei Grün. Genauso wichtig ist es, dass Mütter und Väter sämtliche Verkehrsregeln einhalten. Eltern müssen einfach ein Vorbild sein.
Wodurch zeichnen sich denn sichere Schulwege aus?
Verena Nölle: Schulwege sind dann sicher, wenn Kinder Straßen sicher überqueren können. Eine Ampel ist sicherer als ein Fußüberweg oder ein Zebrastreifen.
Gibt es Statistiken, dass Erstklässler besonders häufig in Verkehrsunfälle verwickelt sind?
Stefanie Arndt: Nicht unbedingt nur Erstklässler. Wir sprechen da schon über Kinder jeden Alters. Da die Entwicklung bei ihnen noch nicht abgeschlossen ist und sie sich – wie schon erwähnt – leichter ablenken lassen, kann man schon sagen, dass gerade die kleinsten, schwächsten Verkehrsteilnehmer häufiger in Verkehrsunfälle verwickelt sind als andere.
Inwieweit findet Verkehrserziehung bereits im Kindergarten statt?
Stefanie Arndt: Viele Kontaktpolizisten bieten Verkehrserziehung im Kindergarten an. Dabei wird den Vorschulkindern das richtige Verhalten im Straßenverkehr vermittelt, manchmal sogar in Kombination mit einem Spaziergang im Realraum. Zudem sind natürlich auch die Erzieherinnen und Erzieher in dem Bereich Verkehrserziehung aktiv und machen zum Beispiel Ausflüge mit den Kindern.
Verena Nölle: Einige Kontaktpolizisten bieten für Vorschulkinder auch Einführungen in den sicheren Schulweg an. Und das wird dann in Klasse 1 fortgesetzt. Dann trainieren die Beamten mit den Kindern, wie man eine Ampel quert, wie man sich an einem Zebrastreifen verhält und wie man in einer 30er-Zone über die Straße geht. Zudem haben wir das Programm Gelbe Füße und seit zwei Jahren auch das Schülerarbeitsheft Mein Schulweg. Mit dem lernen die Kinder, wie man sich im Straßenverkehr verhält.
Was verbirgt sich hinter dem Projekt Gelbe Füße?
Stefanie Arndt: Gelbe Füße ist ein Projekt der Polizei und verschiedener Kooperationspartner. Dabei werden gelbe Füße an Straßenquerungen aufgesprüht und zeigen Kindern den sichersten Überweg über die Straße. Davor ist noch eine rote Haltlinie, sodass sie wirklich gezielt gucken, nach links, rechts, links. Und wenn alles frei ist, sollen sie die Straße genau an der Stelle überqueren. Von bremenweit 90 Grundschulen sind mittlerweile 50 mit gelben Füßen ausgestattet.
Verena Nölle
Foto:
Christina Kuhaupt
Viele Kinder gehen ja bevor sie in die Schule kommen in den Kindergarten. Das heißt, sie sind jeden Tag unterwegs und kennen den Straßenverkehr. Gibt es irgendwelche Unterschiede zwischen dem Weg zum Kindergarten und dem Weg zur Schule?
Verena Nölle: Es ist ein anderer Weg. Denn der Kindergarten liegt in der Regel nicht an der Schule. Jeder Elternteil, der schon mal eingeschult hat, weiß, dass Kinder zwischen dem letzten Kindergartentag und der Einschulung entwicklungsmäßig einen solchen Sprung machen, dass sie dann ganz anders in der Schule ankommen.
Stefanie Arndt: Die Kinder sind auf einmal selbstständig, was sie natürlich auch wollen. Und sie wachsen an ihren neuen Aufgaben.
Wie lange sollten Kinder idealerweise zur Schule gebracht werden?
Verena Nölle: Ich bin der Meinung, dass jedes Kind am Anfang auf jeden Fall von den Eltern zur Schule begleitet werden sollte. Dass sie sich alleine auf den Weg machen, sollte man langsam aufbauen. So machen wir es auch beim Schulexpress: In den ersten zwei Wochen empfehlen wir, die Mädchen und Jungen bis zum Schultor zu begleiten. Nach weiteren zwei Wochen gehen sie die letzten 200 Meter alleine. Und wieder zwei Wochen später gehen sie von der letzten Haltestelle alleine. Und so kann man das langsam aufbauen, dass die Kinder den Schulweg nach sechs bis acht Wochen ganz gut alleine zurücklegen können.
Stefanie Arndt: Man merkt den Kindern das auch an, ob sie schon bereit sind, alleine zur Schule zu gehen oder ob sie doch noch ein bisschen Hilfe brauchen. Jedes Kind ist unterschiedlich weit. Deshalb lässt sich das so pauschal nicht sagen.
Sie haben ja gerade schon den von Ihnen gegründeten Schulexpress angesprochen. Was würden Sie sagen: Wie wichtig ist es, dass gerade kleinere Kinder nicht alleine zur Schule gehen, sondern – begleitet von Eltern – gemeinsam mit anderen Kindern?
Verena Nölle: Genau, am Anfang begleitet von Eltern. Irgendwann sollen sie natürlich alleine gehen. Aber dadurch, dass sie in einer Gruppe sind, muss ich als Elternteil nicht täglich begleiten, sondern kann mich abwechseln, sodass ich vielleicht einmal die Woche dran bin. Und wenn man in einer Gruppe geht, fällt die im Straßenverkehr auch mehr auf. Eine in der vergangenen Woche veröffentlichte Umfrage hat ergeben, dass teilweise schon Siebenjährige ein Handy haben. Der Grund dafür ist, dass Eltern unbedingt wissen wollen, wo ihr Kind ist. Wenn die Mädchen und Jungen in der Gruppe unterwegs sind, braucht es das aber gar nicht. Dann ist die Sicherheit da. Und früher ging es auch ohne Handy.
Das Gespräch führte Aljoscha-Marcello Dohme.