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Russlands Nadelstich ins Blaue: Eine auf einem Kamaz-LKW montierte S-60-Flugabwehrkanone feuert während eines Kampfeinsatzes. Mittlerweile muss die Waffe mit einem Käfig ummantelt werden zum Schutz gegen ukrainische Drohnen-Attacken. © IMAGO/Alexei Konovalov
Kanonen in Stellungen sind verloren. Käfige bieten nur begrenzten Schutz. Russland, Ukraine, die USA sind ratlos. Nur das Rad verspricht eine Zukunft.
Kiew – „Derzeit gibt es weltweit keinen Panzer, einschließlich des M1 Abrams, der über den effektiven passiven Panzerschutz verfügt, der zur Abwehr moderner Angriffsbedrohungen von oben erforderlich ist“, sagt Michael Liscano Jr.. Gegenüber The War Zone erklärt der pensionierte Major der US-Panzertruppen, dass die sogenannten Cope Cages derzeit das Mittel der Wahl seien, um den im Ukraine-Krieg immer stärker gewordenen Drohnenangriffen auf Panzer, gepanzerte Fahrzeuge oder Stellungen halbwegs Einhalt zu gebieten. Jetzt haben auch Wladimir Putins Invasionstruppen eine Lösung entwickelt, die Cleverness genau so beweist wie Hoffnungslosigkeit.
Russland versucht, seine mobilen Flugabwehr-Geschütze ebenfalls gegen Drohnenbeschuss zu schützen und setzt dabei offenbar auf eine „Cabrio-Lösung“, wie Defense Express berichtet. Die russischen Soldaten sollen ein auf einer LKW-Ladefläche montiertes S-60-Flugabwehr-Geschütz unter einem Käfig verpackt haben, der bei Feuerbereitschaft zu beiden Seiten heruntergeklappt wird. Nachteil: Die Fahrerkabine steht ebenso wie das Geschütz offen.
Putins Geschütze in Cope Cages: „Unversehrtheit für einen gewissen Zeitraum“
Der Schutz besteht also lediglich während der Verlegung. In seiner Stellung sind sowohl Geschütz als auch Besatzung einem Drohnenangriff schutzlos ausgeliefert. Das wirft die Frage auf, wozu der Schutz überhaupt angebracht ist. Der Defense Express liefert dazu eine – aus russischer Sicht – einleuchtende Erklärung: „Dies spiegelt die Logik wider, dass die S-60-Kanone viel wertvoller ist als das Fahrgestell oder das Personal, das sich normalerweise in der Kabine befindet. Wenn diese angegriffen werden, können sie die Kanone jederzeit auf einer anderen Plattform wieder montieren“, schreibt das Magazin.
„Der Einsatz von Artilleriefeuer nach dem Shoot-and-Scoot-Prinzip in der Ukraine lässt darauf schließen, dass die Zukunft in hochmobiler Artillerie liegt, egal ob es sich um Ketten- oder Radfahrzeuge handelt.“
Auch die französischen Caesar-Haubitzen der Ukraine sitzt inzwischen hinter Gittern. Der Schutz von Militärfahrzeugen vor FPV-Drohnen (First Person View) sei zu einer dringenden Notwendigkeit geworden, konstatiert der Defense Express, „für die keine universelle Lösung in Sicht ist“, wie das Magazin klarstellt. Defense Express berichtet zudem, dass auch die russischen selbstfahrenden Haubitzen 2S44 Giatsint-K inzwischen mit Käfigen versehen seien; diese sollen auch professioneller verarbeitet sein als die anderen Lösungen, weshalb das Magazin davon ausgeht, „dass der Schutz vor Drohnen mittlerweile als Grundvoraussetzung betrachtet wird“, wie Defense Express schreibt.
Panzer, Drohnen, Luftabwehr: Waffen für die UkraineFotostrecke ansehen
Das bedeutet, dass die Drohnenstrategie der Ukraine verfängt; andererseits bestehen verschiedene Designphilosophien. Defense Express macht darauf aufmerksam, dass die Russen ihren selbstfahrenden Haubitzen 2S44 Giatsint-K auch das Rohr mit Gittern abdecken; offenbar aus Mangel an Ersatzrohren, die ohnehin aus älteren Artilleriesystemen bestünden, wie das Magazin vermutet. Ein bedecktes Rohr allerdings schränkt die Nutzung ein, wie schon bei den zu Schildkrötenpanzern verunstalteten Kampfpanzern zu beobachten war. Ein geringerer Schutz beispielsweise der S-60-Haubitzen lässt erahnen, dass Russland für das System größere Ressourcen zur Verfügung stehen.
Das Magazin The War Zone hatte bereits Mitte 2024 berichtet, das faktisch jedes Fahrzeug mit potenzieller Frontberührung mit Käfigen ummantelt würde. Wie Autor Howard Altman feststellte, würde diese „Ad-hoc-Lösung“ zwar keine absolute Sicherheit gewährleisten, aber immerhin die Unversehrtheit für einen gewissen Zeitraum sicherstellen. Allerdings: Allein Tempo sichert das Überleben an der Front.
Lehren aus Ukraine-Krieg: „Die Technologie ist da, um die Einsatzgrundsätze der Artillerie zu modernisieren“
„Die allgegenwärtige Drohnenüberwachung bedeutet, dass die Geschützmannschaften in der Ukraine ihre Stellungen tarnen oder sich nach dem Abfeuern sofort aus dem Staub machen müssen, um Vergeltungsschläge zu vermeiden“, schreibt Rudy Ruitenberg. Der Autor des Magazins Defense News macht klar, dass auch Artilleristen anders als in vorherigen Kriegen lernen müssen, dass eine befestigte Stellung keine Lebensversicherung mehr darstellt. Die Artillerie ist offensichtlich in eine neue Ära eingetreten – sie ist grundsätzlich verletzlicher als ein Kampfpanzer, der bisher mit der Artillerie nur die Feuerkraft gemeinsam hatte und in Beweglichkeit und Panzerung haushoch überlegen war. Da holt die Artillerie auf; verschiedene Länder wechseln dafür von kettengetriebenen Panzerhaubitzen auf radgestützte.
Da, wo Wege vorhanden sind, gelten die radgestützten als mobiler. „Die Schussgabe kann ohne Vorbereitung, in jedem Winkel und sogar aus der Fahrt erfolgen. Damit ist die Verfügbarkeit des Systems so hoch, dass damit die Kapazität mehrerer konventioneller Geschütze dargestellt werden kann. Um gleiche artilleristische Wirkung zu erzielen, werden weniger Systeme benötigt, weil sie schneller schießen können und wegen ihrer Beweglichkeit weniger gefährdet sind“, schreibt Gerhard Heiming über Tests der Bundeswehr von radgestützten Panzerhaubitzen auf Basis des KNDS Boxer und des 10×10-Piranha Heavy Mission Carrier (HMC) von General Dynamics European Landsystems (GDELS). „Die Technologie ist da, um die Einsatzgrundsätze der Artillerie zu modernisieren“, schreibt der Autor des Magazins Soldat & Technik.
Drohnen dominieren: Von Experten wird Zukunft der gezogenen Artillerie als „nicht rosig“ dargestellt
Wie einige Militärhistoriker gern anführen, sei die Artillerie weiterhin die Königin des Schlachtfelds; allerdings ist ihre Regentschaft inzwischen stark angefochten. Die „absolute Übersättigung“ mit Sensoren werde es auf dem Schlachtfeld der Zukunft nahezu unmöglich machen, sich zu verstecken, zitieren die Defense News General James Rainey. Der Chef des U.S. Army Futures Command hatte die Zukunft der gezogenen Artillerie als „nicht rosig“ dargestellt – den Artilleristen fehle schlichtweg die Zeit die Stellung zu wechseln, wenn sie erst einmal lokalisiert worden seien, wie Defense News darstellt. „Es gibt einige sehr gute Radhaubitzen, die in einem Land wie Europa, wo das Straßennetz ziemlich ausgereift ist, große Wirkung zeigen“, zitiert das Magazin Rainey.
Auch die S-60-Flugabwehrkanone leistet tapfer ihren Dienst – wenn sie dem Drohnen-Regen entgehen kann. Als Rüstungsgut der 1940er-Jahre dient sie in beiden verfeindeten Armeen des Ukraine-Kriegs. „Trotz seiner veralteten Technologie wurde der S-60 im anhaltenden Konflikt in der Ukraine erneut eingesetzt, wo seine Mobilität und Anpassungsfähigkeit an die moderne Kriegsführung, insbesondere bei Operationen zur Drohnenabwehr, seine Lebensdauer verlängert haben“, schreibt das ukrainische Magazin Militarniy über die Waffe, die sogar russische Shahed-Drohnen auf Distanz halten könne.
Putins Cope Cages: Do-It-Yourself-Lösung gegen eine Waffe, gegen die noch keine Antwort gefunden ist
Allerdings nur, wenn sie nach dem Schuss schnell zu verschwinden imstande sei. Die Demonstration der beiden Radhaubitzen, die sich für einen Dienst in der Bundeswehr bewerben, zeigt die Zukunft der Artillerie, wie André Forkert für das Magazin Defence Network über die Fähigkeiten der beiden Systeme schreibt: „Es können bis zu fünf Geschosse nacheinander abgefeuert werden, die gleichzeitig ins Ziel treffen (zum Beispiel innerhalb von zwei Sekunden auf 12 Kilometer). Das Wirken aus der Bewegung oder Wirken aus einer Stellung in unter einer Minute vermindert die Gefahr eines Gegenschlages erheblich.“
Auch die LKW-gestützte S-60 soll eine erfolgreiche Waffe sein, wie sie der Defense Express noch 2022, also im ersten Kriegsjahr gelobt hat: Die Waffe hatte aber erst durch ihre Mobilität ihre Feuerkraft potenziert. Luftüberlegenheit und der damit verbundene Schutz von oben sind Geschichte – das gilt für Geschütze genauso wie für Panzer. Wer steht, verliert. Der Anti-Drohnen-Käfig der S-60 mag deshalb so ausgereift sein, wie er will – er bleibt eine Do-It-Yourself-Lösung gegen eine Waffe, gegen die noch keine schlussendliche Antwort gefunden worden ist.
Kette war gestern. Aber auch der Käfig ist schon überholt. Die Zukunft der Artillerie ist das Rad – das sagt auch Spencer Jones, Dozent für Kriegswissenschaften an der britischen Universität Wolverhampton, wie ihn das Magazin Defense News zitiert: „Der Einsatz von Artilleriefeuer nach dem Shoot-and-Scoot-Prinzip (Schießen und Abhauen) in der Ukraine lässt darauf schließen, dass die Zukunft in hochmobiler Artillerie liegt, egal ob es sich um Ketten- oder Radfahrzeuge handelt.“