Rosalin Kuiper versuchte es mit einem Lächeln. Aber die Enttäuschung war ihr deutlich anzusehen. „Was für ein Mist, es ist eine Schande“, sagte die Skipperin des Schweizer Segelteams „Holcim-PRB“ am Sonntagabend am Ufer der Kieler Förde in die Kamera. Dass die 30 Jahre alte Niederländerin bei ihrem ersten großen Auftritt als Kapitänin einer Segelcrew so kurz nach dem Start des Ocean Race Europe schon wieder festen Boden unter den Füßen hat, damit hatte Kuiper nun wirklich nicht gerechnet.

Was war geschehen? Die zweite Auflage der in fünf Etappen einmal um Europa führenden Regatta war am Sonntagnachmittag gerade einmal zwei Minuten alt und die sieben teilnehmenden Imoca-Yachten hatten erst wenige Meter der 850 Seemeilen (etwa 1600 Kilometer) langen ersten Etappe von Kiel bis nach Portsmouth hinter sich gebracht. Da konnte die Yacht der italienischen Crew „Allagrande Mapei“ im Gedränge nach dem Start urplötzlich der vor ihm segelnden Yacht von „Holcim-PRB” nicht mehr ausweichen und rammte ein Loch in deren Rumpf.

„Die Zuschauerboote waren sehr nah. Das ist sehr gefährlich“

Fast gleichzeitig zerstörte die Spitze eines Foils von „Holcim-PRB“ zunächst das „Code Zero“ genannte Vorsegel des italienischen Bootes und beschädigte dann auch noch dessen Großsegel. Während die jeweiligen Crews unversehrt blieben und sich die fünf übrigen Yachten mit voller Geschwindigkeit auf den Weg in Richtung dänischer Ostküste machten, mussten die beiden betroffenen Boote umgehend in den Hafen von Kiel zurückgebracht werden.

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Untröstlich war am Sonntagabend auch „Allagrande Mapei“-Skipper Ambrogio Beccari. Zurück im Hafen berichtete der 33 Jahre alte Italiener von den großen Anstrengungen, die sein Team unternommen habe, um überhaupt in Kiel an den Start gehen zu können. „Und nun haben wir vom ganzen Rennen nur eine Meile geschafft. Ich bin sehr, sehr traurig“, sagte Beccaria resigniert – und übte gleichzeitig leichte Kritik an der Rennleitung: „Die Startlinie war sehr kurz und die Zuschauerboote waren sehr nah. Das ist sehr gefährlich. Wir brauchen viel mehr Platz.“

Beccaria und sein Team würden keinesfalls aufgeben und weitersegeln, sofern die Chance bestehe. Auch, wenn dies angesichts der bereits festgestellten Schäden „nicht einfach“ werde. Die Klärung der Schuldfrage der Kollision steht indes noch aus. Am Sonntagabend reichte das „Holcim-PRB“-Team einen offiziellen Protest bei der Ocean-Race-Rennleitung ein. Nun wird eine unabhängige Jury den Fall bewerten.

Abseits der folgenschweren Schrecksekunde beim Start hatten fast 100.000 Zuschauer auf der am Ufer gelegenen kilometerlangen Fanmeile sowie auf den etwa 2500 auf der Förde neben und hinter den Yachten herfahrenden Booten den Start des Ocean Race Europe zu einem echten Spektakel werden lassen. Bei Sonne und böigem Wind nahmen die nach der Kollision im Rennen verbliebenen Yachten schnell an Fahrt auf und die vom Franzosen Paul Meilhat angeführte „Biotherm“-Yacht sackte als schnellstes Boot keine zehn Minuten nach dem Start am Leuchtturm Kiel die ersten zwei Bonuspunkte für die Gesamtwertung ein.

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Meilhats Crew führte auch am frühen Montagmorgen die an der Nordspitze Dänemarks segelnde Flotte vor dem favorisierten „Paprec Arkéa“-Team von Skipper Yoan Richomme und der etwas mehr als zehn Seemeilen dahinter auf dem dritten Rang folgenden „Seaexplorer“-Yacht mit dem Hamburger Boris Herrmann als Skipper des Team „Malizia“.

Die Crews werden im Laufe der Woche im südenglischen Portsmouth erwartet, wo bereits am Sonntag die zweite Etappe in Richtung Cartagena im Südosten von Spanien startet. Dort will dann nach Möglichkeit auch die „Holcim-PRB“-Crew von Rosalin Kuiper wieder in den Wettbewerb eingreifen. „Im Moment konzentrieren wir uns darauf, das Boot so schnell wie möglich wieder startklar zu machen“, sagte Kuiper am Sonntagabend. Nach der ersten Enttäuschung gab sich die Mutter einer einjährigen Tochter schnell wieder kämpferisch: „Wir werden das schaffen. Wir haben ein sehr starkes Team. Ich wünschte, ich wäre jetzt nicht hier, aber so ist die Situation. Wir müssen diesen Schaden reparieren. Und das werden wir auch tun.“