Kiel. Fünf Rennyachten haben Kiel verlassen, zwei Boote liegen in der Landeshauptstadt. Dies ist die Bilanz des turbulenten Starts ins Ocean Race Europe inklusive Megacrash am Sonntag auf der Kieler Förde. Während der Schaden bei Holcim (Schweiz) bereits in der Kieler Werft Knierim behoben wird, ist die Lage beim Team Mapei unsicherer. Am Montagvormittag saß Skipper Ambrogio Beccaria (Italien) im Frühstücksraum des B&B Hotel in der Kieler Innenstadt, blickte mit seinem Team auf einen Rechner und diskutierte.

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Noch immer liegt das Boot an der Blücherbrücke. Nicht nur das Segel der Italiener ist kaputt, auch ein Schaden an den Oberwanten und den Karbonrohren (Outrigger) git als wahrscheinlich. Segel-Expertin Susann Beucke (Olympia-Silbermedaillengewinnerin und Offshore-Seglerin) vermutet derweil sogar schlimmeres. „Es wird viel über Holcim geredet, weil so ein Loch im Rumpf eindrucksvoll ist, doch auch Mapei hat an dem Crash ordentlich zu knabbern. Bei ihrer Körpersprache habe ich das Gefühl, dass es mehr ist, als nur die Wanten.“

Nach Informationen der Kieler Nachrichten sollte am Montag ein Gutachter an Bord kommen. Für Mapei ist es der zweite Schaden innerhalb eines Monats: Das Team kam bereits verspätet in Kiel an und verpasste die ersten Speedrennen – Grund war damals ein Schaden am Mast.

Beucke über Protestverhandlung: „Eine schwierige Situation“

Die Schuldfrage wird weiter hitzig debattiert, eine Antwort gibt es noch nicht. Beide Teams haben Protest eingelegt. „Es ist eine schwierige Situation. Auf dem Papier hat das Team Holcim recht: Die große Segelregel heißt Lee vor Luv (Luv ist die Seite, welche dem Wind näher zugewandt ist, Anm. d. Red.) und Holcim war in Lee“, erklärt Beucke. Doch ganz so leicht ist der Sachverhalt in Kiel nicht, einen Termin für die die Protestverhandlung gibt es noch nicht.

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„Es gibt auch eine Regel, die besagt, dass das Leeboot (Holcim) dem anderen genug Zeit und Raum zum Ausweichen geben muss. Das ist nun die Entscheidung der Jury, es hängt viel davon ab, welches Video man geschaut hat“, so Beucke weiter.

„Man hat ganz klar gesehen, dass bei Holcim die Kontrolle über das Boot verloren wurde.

Susann Beucke, Offshore-Seglerin

Ein anderer Fakt könnte den Fall für das Schweizer Team erschweren. „Man hat ganz klar gesehen, dass bei Holcim die Kontrolle über das Boot verloren wurde. Das Boot hatte Schieflage und das Segel ist nicht rechtzeitig aufgegangen – das hört man auch auf einer On-Board-Kamera. Zudem ist der Kiel nicht nach Luv geschwenkt. Das hätte einen Sonnenschuss (unkontrolliertes Anluven in den Wind; d. Red.) verhindern können“, erklärt Beucke.

Ocean Race Europe: Zu viel Risiko bei der Holcim-Crew?

Ein Fehler von Rosalin Kuiper und ihrem Team? Zumindest laut Beucke eine erhöhte Risikobereitschaft. „Zwischen dem Start und dem Leuchtturm war der Wind wechselhaft. Bei weniger Wind ergibt es Sinn, den Kiel unten zu lassen – das hat die Crew gemacht. Sie haben damit sehr viel Risiko genommen und mehr aufs Gaspedal gedrückt.“ Die Segler wollten schnellstmöglich am Leuchtturm ankommen – dort gab es die ersten Punkte.

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Ein großes Problem für die Segelprofis auf ihren wuchtigen und auf engem Raum nur schwer manövrierfähigen Imoca-Yachten war der äußerst enge Startkorridor vor Schilksee. Boris Herrmann machte bereits im Vorfeld auf die Schwierigkeit aufmerksam („So etwas haben wir weder im Training, noch im echten Leben versucht“) und auch der vom Unfall emotional ergriffene Beccaria ließ im Anschluss seinem Frust freien Lauf. „Eine kurze Linie wie diese ist gefährlich. Wir sind nicht im SailGP“, so der Italiener nach der Ankunft im Hafen. Der SailGP ist die Formel 1 des Segelsports, auf Katamaranen kämpfen die Boote in Landnähe um den Titel.

Sonntag nächster Start in Portsmouth

So oder so. Für die Boote geht es darum, schnellstmöglich wieder auf Kurs zu kommen und zur zweiten Etappe dazuzustoßen. Viel Zeit bleibt dafür nicht, die Boote müssen durch den Nord-Ostsee-Kanal nach England gebracht werden. Dort steigt am Sonntag der Start in Portsmouth. Beide haben weiter die Hoffnung, dann wieder ins Rennen einzusteigen.

KN