Es war ein Bild, das noch vor wenigen Monaten undenkbar schien: Im Weißen Haus im Beisein des Hausherren Donald Trump unterzeichnen Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan und Aserbaidschans Staatschef Ilham Alijew ein Friedensabkommen und beenden damit offiziell einen der langlebigsten Territorialkonflikte der postsowjetischen Ära.
Freilich bleibt es zunächst offen, ob diese Vereinbarung tatsächlich den historischen Bruch mit Jahrzehnten wechselnder Waffenruhen, Scharmützeln und Großoffensiven markiert. Geopolitisch ist jedoch klar: Die USA haben den Südkaukasus aus Moskaus Schatten gelöst und sich selbst als neuer Schiedsrichter in einer Region etabliert, die lange als „natürlicher Hinterhof“ des Kremls galt.
Trump Route for International Peace and Prosperity
Der lange Weg zu diesem Tag begann auf den Schlachtfeldern der Jahre 2020 und 2023. In zwei kurzen, aber intensiven Kriegen verlor Armenien zunächst die militärische Kontrolle über Teile der international nicht anerkannten Republik Bergkarabach – einer mehrheitlich von Armeniern bewohnten, seit 1991 abtrünnigen Region Aserbaidschans. In einer Blitzoffensive 2023 brachte Aserbaidschan den gesamten Landstrich unter seine Hoheit. Über 100.000 ethnische Armenier wurden zur Flucht gezwungen und die jahrzehntelang verfahrene Territorialfrage wurde faktisch militärisch entschieden.
Was blieb, war im Wesentlichen ein ungelöster Restkonflikt um den von Baku eingeforderten Sangesur-Korridor, eine Transitverbindung durch die armenische Region Sjunik zur aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan. Für Baku ist diese Route ein strategisches Kernziel, für Jerewan ein innenpolitisches Tabuthema. Nun soll die Verbindung nicht nur Realität, sondern soll als „Trump Route for International Peace and Prosperity“ auch weltpolitisch aufgeladen werden. Wie Financial Times berichten, möchten sich die USA exklusive Entwicklungsrechte sichern und planen eine multimodale Infrastruktur – Eisenbahn, Öl- und Gasleitungen sowie Glasfasertrassen. Washington tritt damit nicht mehr nur als Konfliktmediator auf, sondern etabliert sich als wirtschaftliche Dauerpräsenz im Herzen des Südkaukasus.
Fortschreitende Schwächung des Iran
Pikanterweise ist die armenische Region Sjunik von zentraler geostrategischer Bedeutung: Die Provinz stellt den einzigen Landkorridor zwischen Armenien und dem Iran dar – eine Lage, die sowohl für Baku als auch für Teheran sensibel ist. Für den Iran ist der geplante „Trump-Korridor“ ein geopolitisches Menetekel: Er rückt einen von den USA dominierten Handels- und Energiepfad direkt an die iranische Nordgrenze. Aus Teherans Sicht birgt dies drei Risiken – die wirtschaftliche Schwächung eigener Nord-Süd-Transitrouten, die vertiefte Einbindung Aserbaidschans in westliche Sicherheits- und Nachrichtendienstnetzwerke sowie die Stärkung des türkischen Einflusses im Südkaukasus. Wahrscheinlich wird Teheran darauf mit einer Doppelstrategie reagieren: rhetorischer Ablehnung gepaart mit pragmatischer Anpassung, etwa durch Investitionen in Armenien oder engere Abstimmung mit Russland. Doch jede iranische Gegenstrategie wird durch die physische Präsenz der USA im Korridor strukturell geschwächt.
Türkei als zentraler Regionalakteur
Auch die Türkei ist in diesem Kontext ein Schlüsselfaktor: Ankara ist seit Jahrzehnten Bakus engster Verbündeter und gilt als politischer Garant für Aserbaidschans regionale Ambitionen. Präsident Recep Tayyip Erdogan spielte im Vorfeld der armenisch-aserbaidschanischen Friedensabkommens eine aktive Rolle als Vermittler.
Für Ankara bietet der „Trump-Korridor“ eine doppelte Chance: Er kann als Brücke dienen, um die seit 1993 geschlossene Grenze zu Armenien zu öffnen – eine Geste, die innenpolitisch kalkuliert und außenpolitisch als Schritt zur regionalen Normalisierung verkauft werden könnte. Gleichzeitig stärkt der Korridor die türkische Position als zentrale Transitnation für Energieressourcen und Handel zwischen Zentralasien, dem Kaukasus und Europa.
Nicht zuletzt erhält die Türkei durch die enge Verzahnung von US-Präsenz und türkischem Einfluss in Aserbaidschan eine indirekte Rolle im US-amerikanisch geprägten Ordnungsmodell des Südkaukasus – ein sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Zugewinn, der auch gegenüber Russland Signalwirkung hat.
Ein Schlag gegen Moskau
Doch nicht nur für den Iran, sondern auch für Russland ist das Friedensabkommen ein geopolitisches Fanal. Moskau hatte nach 1991 die Rolle des sicherheitspolitischen Ordnungsfaktors im Südkaukasus übernommen, gestützt auf militärische Präsenz und ein faktisches Vermittlungsmonopol. Seit der Niederlage Armeniens 2020 und dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine jedoch ist diese Autorität erodiert. Armenien orientiert sich zunehmend westwärts und lockert gezielt die Bindungen an das Russland-dominierte regionale Verteidigungsbündnis OVKS (Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit), doch auch Aserbaidschan sucht pragmatisch neue Partner. Die Auflösung der OSZE-Minsk-Gruppe, die jahrzehntelang ohne nennenswerten Durchbruch verhandelte, besiegelt das Ende russisch dominierter Konfliktformate in der Region. Für den Kreml ist die geplante US-Übernahme des Sangesur-Korridorprojekts doppelt bitter: Sie verdrängt Moskau aus einer Schlüsselregion, schwächt seinen politischen Einfluss und entzieht ihm ein zentrales Druckmittel – die Kontrolle über Verkehrswege und Energieinfrastruktur zwischen Kaspischem Raum und Europa.
Energiepolitik als Machtinstrument
Die strategische Bedeutung des Sangesur-Korridors erschöpft sich potentiell nicht im regionalen Handel. Er wird Teil eines energiewirtschaftlichen Netzwerks, das Ankara, Baku und Washington gezielt ausbauen möchten. Aserbaidschan exportiert bereits Gas über die TANAP- und TAP-Pipelines nach Europa – ein Projekt, das in Brüssel als Schlüssel zur Verringerung der Abhängigkeit von russischen Lieferungen gilt. Der „Trump-Korridor“ könnte diese Ströme absichern und erweitern, etwa durch parallele Leitungen für Öl und Gas, die abseits geostrategisch verwundbarer Routen verlaufen. Für die Türkei bedeutet dies eine Festigung ihrer Rolle als Energie-Drehscheibe zwischen Kaspischem Raum und EU – ein Hebel, der ökonomisch wie politisch wirkt. Für Washington wiederum ist der Korridor mehr als ein Infrastrukturprojekt: Er verankert die USA physisch in einer für Europas Energieversorgung essenziellen Verbindungslinie – eine Präsenz, die sich nicht durch diplomatische Kurswechsel oder Regierungswechsel in Frage stellen lässt.
Trump als pragmatischer Friedensstifter
Dass Trump diesen Erfolg ins Zentrum seiner Selbstdarstellung rückt, überrascht nicht. Die Ankündigung von Nobelpreis-Nominierungen aus Kambodscha, Israel und in Zukunft wohl auch aus dem Südkaukasus liefern ihm die ideale Kulisse für die ersehnte Inszenierung als globaler Friedensstifter; insbesondere mit Blick auf das international umstrittene Treffen mit Wladimir Putin in Alaska am 15. August 2025. Doch hinter Trumps Eitelkeit stecken nicht nur diplomatische Überlegungen, sondern auch knallhartes strategisches Kalkül: Mit dem „Trump-Korridor“ verankert Washington US-amerikanische Wirtschaftsinteressen in einer Schlüsselregion, schwächt gleichzeitig die Position Russlands und Irans und schafft neue Anknüpfungspunkte für die Öffnung der türkisch-armenischen Grenze – eine geopolitische Win-Win-Win-Situation.
Die Risiken bleiben jedoch beträchtlich. In Armenien könnte die innenpolitische Opposition das Abkommen als Kapitulation deuten und wäre damit anfällig für gezielte Einflusskampagnen aus Moskau, das seit Jahren über politische Netzwerke, Medien und NGO-Strukturen versucht, Armeniens Westorientierung zu bremsen. Bereits während der Proteste gegen Premierminister Paschinjan nach der Niederlage 2020 nutzte der Kreml eine Kombination aus prorussischen Parteien, Boulevardmedien und Social-Media-Kampagnen, um Druck auf die Regierung auszuüben und deren sicherheitspolitische Öffnung zum Westen zu untergraben.
Ein Friedensschluss mit offenem Ende
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