89 Treppenstufen muss Alessandro Luciano täglich überwinden. Auch gesunde Menschen dürften dabei mal aus der Puste kommen, für den Mann aus Stuttgart-West ist es eine Qual. Alessandro Luciano hat keine Beine mehr. Es war im vergangenen Sommer, „da hat sich unser Leben innerhalb eines Augenblicks vollkommen verändert“, sagt seine Frau Iljhama. Die beiden sind seit 2010 verheiratet, haben fünf Kinder im Alter zwischen sieben und 14 Jahren. Der Schicksalsschlag ereilte die Familie ausgerechnet im Urlaub in Italien.
Iljhama Luciano erinnert sich an das genaue Datum, sogar die Uhrzeit: Am 28. August 2024, zwei Minuten vor 1 Uhr habe sie einen Anruf erhalten, in dem ihr die Diagnose mitgeteilt wurde. Alessandro Luciano war an Meningokokken Typ B (Neisseria) erkrankt.
Im Italienurlaub geht es plötzlich um Leben und Tod
Begonnen hatte alles vermeintlich harmlos, mit Schüttelfrost und Fieber. Symptome, die auch mal bei einer Grippe auftreten. Doch der Zustand des 35-Jährigen verschlechterte sich rasant. Irgendwann bekam er dunkle Flecken auf der Haut, seine Frau entschied, ihn ins Krankenhaus zu bringen.
Apulien, 2024: Das letzte Foto von Alessandro Luciano, auf dem noch alles in Ordnung war. Foto: privat
Dort hätten die Ärzte nur zögerlich reagiert, was fatal hätte enden können. „Ich habe die Zusammenhänge auch erst nicht erkannt. Aber das sollte eigentlich jeder wissen“, sagt die gelernte Krankenpflegerin, „als die Diagnose kam, war ich geschockt.“ Denn da wusste Iljhama Luciano: Ihr Mann könnte innerhalb weniger Stunden tot sein. Er überlebte, sein Nervensystem blieb verschont, aber nichts war wie vorher.
Experten in Tübingen amputieren beide Beine
Erst wurde der gelernte Elektriker nach Lecce in ein größeres Krankenhaus verlegt, dann ging es per Lufttransport zurück nach Deutschland. Dass keines der Stuttgarter Krankenhäuser ihren Mann aufnehmen wollte, darüber war Iljhama Luciano enttäuscht. In Tübingen kam er schließlich unter. Weil bei Luciano eine Purpura fulminans, eine schwere Gerinnungsstörung, auftrat, starb viel Gewebe ab. Die Experten an der BG Klinik amputierten ihm beide Beine bis zum Knie, vier Finger an der rechten Hand fehlen seitdem, einer an der linken.
Das Ehepaar Luciano im Krankenhaus in Italien. Foto: privat
Mehrere Monate verbrachte er im Krankenhaus, die Reha ist immer noch nicht beendet. Alessandro Luciano kämpft sich zurück ins Leben, ganz langsam. Inzwischen kann er auf Prothesen stehen und mit Gehhilfen auch wieder laufen. „Ich will arbeiten, einkaufen, meine Kinder begleiten“, sagt er. Kurzzeitig hatte er nicht mehr leben wollen, erzählt seine Frau. Im Italien war das. „Das kannst du mir, das kannst du uns nicht antun“, habe sie gesagt. Auch ein Video seiner Kinder habe ihm Kraft gegeben. „Er ist sehr motiviert, es geht uns wieder ein bisschen besser“, sagt seine Frau.
Trotzdem: Für die Familie ist die Situation eine riesige Belastung, besonders für Iljhama Luciano, für die es innerhalb kurzer Zeit der zweite schwere Schlag war: erst kurz zuvor war ihre Mutter gestorben. „Ich kenne ihn seit seinem 14. Lebensjahr. Er war immer stark, selbstlos, hilfsbereit. Dass er heute vollständig von mir abhängig ist, kaum mobil, schmerzt ihn tief – und mich zerreißt es innerlich“, sagt die 37-Jährige über ihren Ehegatten.
Die Wohnsituation belastet die Familie
Finanziell ist die Familie am Limit. Und die Wohnsituation macht ihr zu schaffen. „Unsere Wohnung haben wir liebevoll saniert – doch nun ist sie für meinen Mann nahezu unerreichbar“, sagt sie. Denn das Zuhause liegt im 5. Stock. Deshalb schleppt Iljhama Luciano ihren Mann mit einem Treppensteiger hinauf. Belastend sei das für sie, und „es nimmt ihm auch seine letzte Selbstständigkeit und seine Würde“.
Alessandro Luciano kann inzwischen auf Prothesen stehen. Treppensteigen kann er damit nur sehr eingeschränkt. Foto: privat
Einen Treppenlift zu installieren sei aus baurechtlichen Gründen nicht möglich, da er die Fluchtwege einschränken würde. Für einen Rollstuhl mit Raupenantrieb, der die Stufen überwinden könnte, ist das Treppenhaus zu schmal. Aus- und umziehen kommt für die Familie ebenfalls nicht in Frage, in Stuttgart eine Wohnung zu finden, sei mit sieben Leuten quasi unmöglich. Und die Familie ist in der Stadt verwurzelt, die Nachbarschaft hat unlängst Spenden gesammelt. Alessandro Luciano hat bei seinem Arbeitgeber einen Bürojob angeboten bekommen, die Stelle wurde extra für ihn geschaffen.
Ihre Hoffnung setzt die Familie in einen Außenaufzug. Der allerdings kostet mehrere zehntausend Euro – zu viel. Deshalb sammeln die Lucianos online Spenden (hier geht es zur Kampagne). „Schenkt meinem Mann seine Bewegungsfreiheit zurück. Schenkt ihm Zugang zum Leben, zu seinen Kindern, zu einem Alltag, in dem er nicht ständig auf Hilfe angewiesen ist. Schenkt uns die Kraft weiterzumachen“, schreibt sie.