Der Onkel sollte sie zur Frau bekommen, ihre Familie, irgendwo im Norden Togos, hatte sie dem erwachsenen Mann versprochen. Das Mädchen flieht. Sie hat Glück und stößt auf organisierte Frauen des Selbsthilfeverbandes Refed, die sie verstecken und betreuen. In den Dörfern der Savannengegenden des Landes als Mädchen geboren zu werden, ist gefährlich. Beschneidungen und das Verschließen der Geschlechtsorgane, durchgeführt mit rostigem Besteck oder Glasscherben, finden im Baby- und Kleinkindalter statt. Mädchen wie dieses vor solchen Schicksalen zu schützen, dafür setzt sich seit vielen Jahren eine Augsburgerin ein.
„Wenn sie überleben, warten oft Zwangs- und sogenannte Tauschheiraten an ältere Männer. Beides ist in Togo verboten. Doch die Traditionen der Mütter und älteren Frauen im muslimischen Norden des Landes sind langlebig“, erzählt Ursula König (77). Mit neun oder zehn Jahren werden die Mädchen innerhalb der Großfamilien verheiratet. „Im Tausch gegen eine Kuh.“ Eigentlich eine agile, freundliche, energiegeladene Frau, wird König ernst, wenn es um Togo und seine Bewohnerinnen geht. Seit 1988 ist sie mit dem Augsburger Togoverein, den sie gründete und dessen Vorsitzende sie bis heute ist, in der Region aktiv. Die tiefe Liebe zum Land begann mit einem Zufall.
Augsburgerin Ursula König: „Die Armut hat mich fertig gemacht“
Der Bürgermeister von Stadtbergen fragte die gelernte Bankkauffrau und Frisörin, ob sie als Teil einer Delegation mit ihre Tanzsportgruppe mit in die Partnerstadt Stadtbergens nach Togo reisen wolle. „Wir haben zugestimmt, sind dort dann in Trachten und historischen Gewändern aufgetreten. Die Dorfbewohner haben sich kaputtgelacht“, erinnert sie sich. Allein sei sie dann zwischen den staubigen Hütten und Unterkünften herumgelaufen, um sich umzusehen. „Diese Armut hat mich damals, 1988, fertig gemacht. Ich dachte, ich muss doch was tun, wollte die Welt ein bisschen besser machen.“
Zum Interview sitzt sie am großen Küchentisch in einer kleinen Wohnung im beschaulichen Hochzoll-Süd. Genau hier, berichtet sie, seien die Ideen, Pläne und Projekte weiterentwickelt worden, die von Bürgerinnen in Togo angestoßen und dann mit Spenden aus Deutschland umgesetzt wurden. „Zuerst habe ich alles gesammelt, was Togo nicht braucht“, sagt sie lachend. Kleidung und Schuhe zum Beispiel. Angesagt war jedoch Bildung. Ein Kindergarten entstand in einer Kleinstadt in der Mitte des Landes. 2013 eröffnete der Togoverein mit Partnern, Behörden und Bevölkerung in der Nähe der Kita eine weiterführende Schule mit Möglichkeit zur Hochschulreife. „Für beides haben wir die Mittel hier eingeworben. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Privatspender haben sich beteiligt“, berichtet sie.
„Noch nie so etwas Grausames gesehen“: Mädchenbeschneidungen sind in Togo immer noch Thema
Seit einigen Jahren unterstützen der Togoverein zudem den unabhängigen Verband Refed im Kampf gegen Mädchenbeschneidung. „Als ich 2022 mit Refed-Frauen auf einer Straße saß, weil mal wieder der Strom ausgefallen war, zeigten sie mir anhand einer Puppe, was bei einer Beschneidung passiert. Ich habe noch nie so etwas Grausames gesehen“, erklärt sie. Social Media und Radiowerbung sind wichtig für die Reichweite. Daneben die Frauen, die über Land reisen, mit Dorfältesten verhandeln, das Dorf zusammenrufen, und persönlich aufklären. 1200 Euro, sagt König, kosteten vier Aufklärungsveranstaltungen inklusive eines Radiosendeplatzes.
Grundlagenarbeit auf Augenhöhe, das ist ihr wichtig. „Der Bedarf ist real. Sie schreiben ihre Ideen und Anträge, wir entscheiden, was umsetzbar ist.“ 36 Mal war sie selbst in Togo, nahm Kollegen mit, um das ehrenamtliche Engagement effektiv zu teilen. Vor Ort überwacht Aridia Frank, eine Togolesin, die in Deutschland studiert und lange im Allgäu gewohnt hat, die Umsetzung der Vorhaben.
Der Katholische Deutsche Frauenbund Bayern verlieh König den Ellen-Ammann-Preis für den Erfolg des jüngsten Projekts: Das im letzten Jahr eröffnete Schutzhaus für Frauen und Mädchen in Dapaong. Ein bewachter, gesicherter Ort im muslimischen Norden des Landes, konzipiert von Refed. Ein Arzt, ein Psychologe und eine Sozialarbeiterin sind fest angestellt. „Das Haus war gleich zu Beginn voll belegt, bis heute fanden dort 250 Mädchen Unterschlupf und einen neuen Lebensweg“, erklärt König. Eine Rückkehr in die Familie sei für diese meist nicht möglich, sie gelten als verstoßen. Wie das Mädchen, das vor ihrer Familie und Onkel floh. Sie habe, und dies sei eine der vielen Erfolgsgeschichten, so König, inzwischen Maurerin gelernt und das Frauenschutzhaus mitgebaut.
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Stefanie Schoene
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