Ein Streit in einem Stuttgarter Club zwischen Türsteher und DJ wird zu einem Kampf von Frauen, die sich beim Feiern nicht sicher fühlen. Was ist am 8. März wirklich passiert?
Sandra Moraa sitzt an ihrem Esstisch in ihrer Wohnung im Stuttgarter Süden. Sie wirkt angespannt, doch sie gibt sich Mühe, sich zu konzentrieren. Sie wird wieder von dem Ereignis erzählen müssen, das vor wenigen Monaten ihr Leben auf den Kopf gestellt und gleichzeitig eine Solidaritätswelle im Netz ausgelöst hat. „Ich habe in meinem Leben schon früh Gewalt erlebt und bin davon traumatisiert“, sagt sie.
Moraa arbeitet seit fünf Jahren als DJ. Unter dem Namen DJ Afro Punk tritt sie bei Hochzeiten, Partys oder Straßenfesten wie dem Schoettlefest im Juni auf. Ihre Erfahrungen beim Feiern waren nicht immer positiv. Darum hat sie sich irgendwann dazu entschieden eine eigene Partyreihe zu veranstalten, die den Schwerpunkt hat, einen sicheren Raum für Frauen zu schaffen. „Ich wollte, dass Frauen bei meinen Partys keine Angst haben müssen, alleine feiern zu gehen“, sagt sie. Doch ausgerechnet auf ihrer eigenen Party, habe sie eine Erfahrung gemacht, die Traumata ihrer Kindheit wieder hervorgeholt hätten.
Was vorgefallen ist, bestätigt sie in einer eidesstattlichen Erklärung, die unserer Zeitung vorliegt. Ebenso haben wir mit mehreren Zeuginnen über den Abend gesprochen, die die Version von Sandra Moraa bestätigen. Jedoch gibt es auch eine Gegenseite, die bestreitet, dass sich die Ereignisse so zugetragen haben sollen. Doch was genau ist passiert?
Der ideale Ort für ihre Party
Am Weltfrauentag am 8. März hat Sandra Moraa als DJ Afro Punk in einem angesagten Stuttgarter Club eine Party veranstaltet. Der Club in zentraler Lage ist bekannt dafür, unter anderem Veranstaltungen für Menschen aus der LGBTQIA+ zu organisieren. Er soll ein Ort sein, der Minderheiten jeglicher Art einen sicheren Platz gibt. Die Türsteher müssen sich an ein Awareness-Konzept halten. Der ideale Ort für ihre Party dachte Moraa.
Laut ihrer Schilderung kam es an dem besagten Abend zu einem Streit zwischen ihr und den beiden Türstehern, die dem Clubs zugeteilt waren. Moraa habe im Vorfeld schlechte Erfahrung mit einem der Türsteher gemacht und ihn vorher bei der Betreiberin des Clubs gemeldet. Sie wollte nicht, dass er an dem Tag arbeitet. Es handelt sich um den 39-jährigen Einsatzleiter der Gruppe, hier soll er Frank heißen. „Frank hat sich mir und anderen gegenüber sexistisch verhalten und er hat einmal bei einer Veranstaltung jemanden, in den Club gelassen, von dem er wusste, dass er mich belästigt hatte“, sagt sie. Er habe beispielsweise bei einer Begegnung mit ihr offen und ungefragt darüber gesprochen, dass er Sex mit einer bestimmten Frau haben wolle. Auch eine weitere Person sagt, dass der besagte Türsteher, sich mit einer sexuelle Anspielungen in ihrer Anwesenheit eine Grenzüberschreitung erlaubt habe. Wir haben Frank mit den Anschuldigungen konfrontiert. Er behauptet, diese seien alle gelogen. Er habe sich nie den Frauen gegenüber falsch oder unanständig verhalten.
Aggressiv weggeschubst?
Der Streit an dem Abend findet zunächst zwischen Moraa und einem anderen Türsteher statt. Es geht darum, dass sie sich über Frank beschwert hat. Es wird so laut gestritten, dass mehrere Menschen darauf aufmerksam werden und sich einmischen wollen. Frank O. ist nicht der Tür zugeteilt worden, hinter der Moraa auflegt, damit es zu keiner Konfrontation kommt. Er steht abseits, ihn und Moraa trennt zu diesem Zeitpunkt eine Menge von Menschen, die vor dem Club stehen. Dennoch verlässt er irgendwann seinen Arbeitsplatz und sucht die Konfrontation mit Sandra Moraa. Zeuginnen berichten, dass er aggressiv auf sie zugelaufen sei, in seiner Wut andere beistehende Personen gewaltvoll weggeschubst habe und sich vor Moraa aufgebaut und sie angeschrien habe.
„Ich habe mich sehr erschrocken und mich sofort zurückgezogen. Freunde von mir haben sich direkt eingemischt. Er hat eine Freundin dann weggeschubst und ich bin aus der Situation geflohen“, sagt Sandra Moraa. Sie sei daraufhin völlig schockiert gewesen, habe am ganzen Leib gezittert und habe geweint. Weil sie nicht mehr für ihre Sicherheit und für die ihrer Gäste habe garantieren können, habe sie daraufhin eine Durchsage gemacht und die Party beendet.
Türsteher am Arm gepackt
Andere Zeugen geben eine andere Version der Abläufe wieder. Frank erklärt ebenfalls in einer eidesstattlichen Versicherung, dass er sich in keiner Weise gewalttätig verhalten habe. Er sei an dem Abend sehr spontan eingesprungen, weil der Türsteher, der eigentlich hätte arbeiten sollen, ausgefallen sei. Als er aus der Distanz gehört habe, dass über ihn geredet wurde, sei er auf Sandra Moraa zugelaufen, um mit ihr zu reden. Die Stimmung sei angespannt, aber nicht aggressiv gewesen. Er sei laut geworden, worauf sich Moraa sehr verstört und beängstigt zurückgezogen habe. Eine beistehende Person habe versucht, Frank aufzuhalten und ihn am Arm gepackt. Er habe diese Hand weggeschüttelt.
Man könnte die Ereignisse des Abends als einen Vorfall unter vielen im Stuttgarter Nachtleben abtun. Niemand kam körperlich zu Schaden. Laut Polizei hat keine der beteiligten Personen an dem Abend Anzeige erstattet. Ein körperlich überlegener Mann, der laut der Aussage von Zeuginnen wie Sandra Moraa möglicherweise gewalttätig, möglicherweise nur aggressiv eine Frau oder mehrere Frauen einschüchtert. Vielleicht redet er auch nur laut mit ihr und wird missverstanden.
Doch der Konflikt zieht weitere Kreise, als man an dem Abend hätte ahnen können. Denn er verschiebt sich ins Netz und diskutiert dort eine Frage, mit der sich offensichtlich viele Frauen in Stuttgart identifizieren können. Wie schwer ist es als Frau Gehör zu finden, wenn man davon erzählt, dass man möglicherweise eine übergriffige Erfahrung mit einem Mann gemacht hat? Gerade wenn es verschiedene sich widersprechende Aussagen zu einem Vorfall gibt. Im Netz stellen sich zumindest viele Nutzerinnen und Nutzer auf die Seite Moraas. Der Club wiederum veröffentlicht auf seiner Instagram-Seite ein Statement, in dem zugesagt wird, die Vorwürfe ernst zu nehmen. Später wird dieses Statement wieder gelöscht. Doch die Stimmung ist schon deutlich auf der Seite von DJ Afro Punk.
Awareness-Schulungen für Türsteher
Es gibt über Monate mehrere Treffen zwischen Sandra Moraa und verschiedenen Beteiligten. Zu ihnen zählen neutrale Vermittlerinnen und Vermittlern und die Betreiberin des Clubs, die an dem eigentlichen Abend selbst nicht anwesend gewesen ist. Auch das Clubkollektiv mischt sich mit ein. Auf Nachfrage unserer Zeitung möchte sich die Clubbetreiberin nicht erneut zu dem Geschehenen äußern. Sie sagt jedoch: „Ich setze mich seit Jahren für sichere Türen in Stuttgarter Clubs ein. Meine Türsteher werden zu Awareness-Schulungen geschickt.“ Keiner der Türsteher war bei einem Treffen mit Sandra Moraa anwesend.
Nach Wochen der Vermittlung sind die Fronten verhärtet und einige Menschen haben sich in Stuttgart auf Moraas Seite gestellt. Sie spricht davon, dass man sie nicht ernst genommen habe, sie mit rassistischen und sexistischen Klischees behandelt habe und sie versucht habe, davon abzuhalten, an die Öffentlichkeit zu gehen. „Dabei haben sich immer mehr Menschen bei mir gemeldet, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Insbesondere nachdem der Club ein öffentliches Statement abgegeben hatte“, sagt sie im Gespräch mit unserer Zeitung. Sie fordert, dass der Club sich auf ihre Seite stellt und den fraglichen Türsteher entlässt. Frauen berichten in den Kommentaren zudem davon, wie schwer es sei, sich im Stuttgarter Nachtleben beim Feiern sicher zu fühlen.
Konflikt nicht ins Internet verlagern
Hannah Japes ist Vorstandsmitglied im Clubkollektiv in Stuttgart. Sie hat in den Wochen nach dem Vorfall die Clubbetreiberin als Mitglied unterstützt. „Es ist uns wichtig zu betonen, dass man bei solchen Vorfällen immer den Schutz der betroffenen Personen an erster Stelle sieht“, sagt sie.
Es sei jedoch ebenfalls wichtig, dass sowohl die Personen, die die Vorwürfe erheben, als auch die Gegenseite zusammenkommen und miteinander redeten. Den Konflikt im Netz auszutragen sei keine Lösung. Man sollte sich bemühen, an konstruktiven Lösungen zu arbeiten. Die Betreiberin des Clubs habe eine Verantwortung gegenüber ihren Beschäftigten. Solange es zwei Versionen darüber gebe, was an dem Abend passiert sei, könne man auch den Mitarbeiter nicht entlassen.
Ähnlicher Vorfall
Sandra Moraa gibt sich noch immer nicht geschlagen. Sie hat sich inzwischen seelischen Beistand bei einer Hilfsorganisation gesucht. Sie stehe in Kontakt mit den Menschen, die übergriffige und gewaltvolle Erfahrungen im Stuttgarter Nachtleben teilen wollen. Ein Mann habe sich beispielsweise bei ihr gemeldet. Verschiedene Schreiben legen nahe, dass er vor ungefähr einem Jahr in einem Club in Stuttgart extreme Gewalt erlebt hat. Er berichtet unserer Zeitung davon, dass er ohne erkennbaren Grund von einem Türsteher verprügelt worden sei. Ihm wurde die Nase gebrochen und ein Zahn ausgeschlagen. Ein Arztbrief und ein Schreiben von der Staatsanwaltschaft Stuttgart bestätigen Teile seiner Aussage. Die Ermittlungen der Polizei wurden jedoch eingestellt. Es sei im Nachhinein nicht mehr zweifelsfrei möglich gewesen, zu sagen, welcher der beiden Türsteher den Mann möglicherweise verprügelt habe. Diese selbst haben die Aussage verweigert. Es waren andere Türsteher, als die, mit denen Sandra Moraa gestritten hatte. Laut Informationen unserer Zeitung arbeiten diese nicht mehr in dem Club. Der Club, in dem es zu diesem Vorfall gekommen ist, ist jedoch derselbe, in dem Sandra Moraa ihre schlechte Erfahrung mit dem Türsteher gemacht haben will.