Nichts hält in Köln länger als ein Provisorium – das gilt auch für den Kölner Dom. Als man um 1520 die Arbeiten an der Kathedrale einstellt, ist nur der Chor vollendet – vom restlichen Gebäude sauber durch eine Mauer getrennt. Der Südturm hat es zu dieser Zeit erst auf eine Höhe von 58 Metern geschafft, sein Pendant im Norden ist bloß ein Torso, und von Lang- und Querhaus steht praktisch nur „die erste Etage“, mit provisorischen Dachstühlen aus Holz. Auf der Trennwand zum 1322 geweihten Chor prangt ein goldener Stern, der den Pilgern den Weg zum darin befindlichen Schrein mit den Gebeinen der Heiligen Drei Könige zeigt und bis heute im Dachbereich des Doms zu finden ist.
Mehr als den Chor habe der Kölner damals nicht gebraucht, hat Kabarettist Jürgen Becker mal analysiert. Denn die Pilger seien ja auch so in Scharen gekommen, um in Köln einige der bedeutendsten Reliquien der Christenheit zu bewundern. Warum also die Mühsal auf sich nehmen, die gewaltige Kathedrale zu Ende zu bauen? Und so bleibt das Provisorium mehr als 300 Jahre bestehen – samt dem hölzernen Baukran auf dem Südturm, der zu einem Kölner Wahrzeichen wird.
Französische Besatzung: Der Tiefpunkt des Kölner Doms
Seinen Tiefpunkt erlebt der Dom unter den französischen Besatzern, denen er als Heumagazin und Kriegsgefangenenlager dient. Dass die Kathedrale doch noch vollendet wird und das sogar in nur 38 Jahren Bauzeit, ist dem unermüdlichen Engagement des Kunstsammlers Sulpiz Boisserée und seiner Mitstreiter zu verdanken. Sie gewinnen die Unterstützung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. und gründen 1842 den Zentral-Dombau-Verein, der letztlich rund 60 Prozent der für den Dombau benötigten Gelder einwirbt.
Wiederaufbau und Modernisierung im 19. Jahrhundert
„Bereits ab 1822 hatte man unter Dombauconducteur Friedrich Adolf Ahlert damit begonnen, allmählich eine neue Dombauhütte in Köln aufzubauen, also einen festen Stamm von Handwerkern für den Erhalt und Weiterbau des Doms“, erläutert Matthias Deml, Leiter des Kölner Dombauarchivs. Zwar habe das Domkapitel bis ins 18. Jahrhundert Baumeister und je nach Bedarf Steinmetze, Dachdecker, Zimmerleute und Handlage beschäftigt, um beschädigte Bereiche der Kathedrale wiederherzustellen. Doch mit dem Einmarsch der Franzosen 1794 habe das zunächst einmal ganz aufgehört.
iDas kostet der Kölner Dom
Erbaut ist der Dom, fertig wird die Dombauhütte dennoch nie mit ihm. Noch heute müssen Kriegsschäden beseitigt werden. Teile der Fassade sind stetig von Verfall bedroht – nicht zuletzt der saure Regen trägt dazu bei.
12,5 Millionen Euro werden jährlich zur Finanzierung des Doms benötigt, rund 34.000 Euro am Tag. 45 Prozent dieser Summe werden für die laufenden Kosten eingesetzt. 55 Prozent fließen in den Erhalt der Bausubstanz.
Träger der Kosten sind mit zehn Prozent das Land NRW. 18 Prozent übernimmt das Erzbistum Köln. Der Löwenanteil kommt vom Zentral-Dombau-Verein 32 Prozent rein. Die Domführungen und Kapitalerträge tragen 18 Prozent der Summe bei.
Sparen muss der Dom dennoch. Die Vorgabe des Dompropstes Guido Assmann lautet, 400.000 Euro weniger bei den laufenden Kosten.
Anfang des 19. Jahrhunderts bietet der Dom ein erschreckendes Bild. „Der Dom wurde jahrzehntelang vernachlässigt. Der Chor war in einem grauenhaften Zustand“, betont Deml. „Der hölzerne Dachstuhl war aufgrund von eindringendem Wasser morsch geworden. Angeblich hatte man Bleiplatten von den Dächern genommen, um daraus Kugeln zu gießen. Die Giebelwand des Chors wies bedrohliche Risse auf und war einsturzgefährdet. Als der Architekt Karl Friedrich Schinkel 1816 Köln besucht, äußert er sich entsetzt über den baulichen Zustand des Domchors.“ Die ersten Arbeiten seien „reine Sicherheitsmaßnahmen gewesen, bei denen man viel loses Material abgeräumt, um Personen- und Bauschäden durch abstürzende Bauelemente zu vermeiden“, so Deml. Ein Großteil des Strebewerks am Chor habe damals erneuert werden müssen.
Innovationsschub: Moderne Bautechnik beim Dombau
Am 4. September 1842 wird der Grundstein zur Vollendung der gotischen Kathedrale gelegt. Dass der Bau anschließend zügig voranschreitet, liegt einerseits an einer enormen Mitarbeiterzahl. Teils werden auf der Baustelle mehr als 500 Arbeiter beschäftigt. „Außerdem setzt man auf eine für die damalige Zeit hochmoderne Bautechnik“, erläutert Deml.
Neben einer Dampfmaschine kommen auf Wagen montierte Seilwinden zum Einsatz, die auf Eisenbahnschienen über die Gerüste der Baustelle fahren. Damit lassen sich die Werkstücke schnell an ihren jeweiligen Bestimmungsort versetzen. Mehrere dieser sogenannten Windenwägen sind erhalten, einen davon kann man im Schaufenster der Dombauhütte an der Trankgasse bewundern. Betrieben wurden sie mit reiner Muskelkraft. Arbeiter müssen die Kurbeln von Hand drehen. Dank großer Übersetzung können auf diese Weise auch sehr schwere Lasten bewegt werden.
Trotz aller modernen Hilfsmittel werden ab 1842 die einzelnen Steinblöcke für die Kathedrale weiterhin von Hand gefertigt. „Die Steinmetze haben mehr oder weniger mit denselben Methoden gearbeitet wie im Mittelalter“, so Deml. Moderne Hilfsmittel wie elektrische Steinsägen zum Vorsägen der Steinblöcke oder Pressluftmeißel, wie sie heute die Arbeit erleichtern, seien im 19. Jahrhundert natürlich noch nicht bekannt gewesen.
Materialdebatte: Eisen vs. Holz für den Dom-Dachstuhl
Während das Mauerwerk des Doms in die Höhe wächst, entbrennt in Köln eine Debatte darüber, aus welchem Material der Dachstuhl errichtet werden soll. „Die Puristen um den Zentrumspolitiker und ersten Secretär des Zentral-Dombau-Vereins August Reichensperger wollten den Dom so originalgetreu wie möglich zu Ende bauen und forderten deshalb einen Dachstuhl aus Holz. Der damalige Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner konnte aber durchsetzen, dass ein Dachstuhl aus Walzeisen gebaut wurde. Der war leichter und günstiger“, erläutert Deml. Außerdem habe Zwirner argumentiert, dass ein eiserner Dachstuhl nicht so leicht in Brand geraten könne wie ein hölzerner. „Die Geschichte hat ihm Recht gegeben. Im Zweiten Weltkrieg hat er sich bewährt. Bei den schweren Bombardierungen hätte ein hölzerner Dachstuhl im Falle eines Brandes zu weitaus größeren Schäden an der Kathedrale geführt.“ Man denkt sogleich an den verheerenden Brand von Notre-Dame in Paris im Jahr 2019.
Der Dachstuhl des Kölner Doms war eine der größten Eisenkonstruktionen seiner Zeit und wurde neun Jahre vor dem Eiffelturm in Paris fertiggestellt.
Copyright: Hohe Domkirche Köln, Dombauhütte; Foto: Matz und Schenk
Historisches Erbe: Noch heute beeindruckende Turmkonstruktionen
Turm über der Vierung im Kern noch aus dem 19. JahrhundertBei seiner Vollendung im Jahr 1880 war der Kölner Dom nicht nur kurze Zeit das höchste Gebäude der Welt. Sein bis heute weitgehend original erhaltener Dachstuhl gehörte auch zu den größten Eisenkonstruktionen der damaligen Zeit und ist älter als der 1889 eingeweihte Eiffelturm.
„Auch der Turm über der Vierung des Doms, wo Haupt- und Querschiff sich kreuzen, ist im Kern noch in seinem Originalzustand aus dem 19. Jahrhundert erhalten“, weiß Deml. Nur die sehr feinteilige neugotische Zinkverkleidung, die im Zweiten Weltkrieg beschädigt worden war, habe man in den 1960er-Jahren abgerissen und durch eine moderne Bleiverkleidung ersetzt. „Wenn man gewollt hätte, hätte man die alte retten können. Die direkte Nachkriegszeit konnte mit dem Historismus des 19. Jahrhunderts aber wenig anfangen. Das galt alles als neogotisch und nicht mehr zeitgemäß“, so Deml.
Im Rahmen einer Führung über die Dächer des Doms kann die Aussichtsplattform des Vierungsturms besucht werden – hier bietet sich ein atemberaubender Blick über Köln, den Rhein und die Hohenzollernbrücke. Der Weg hinauf führt über eine schmucke gusseiserne Wendeltreppe. „Die ist 1882/83 angeschafft worden. Angeblich wegen eines anstehenden Kaiserbesuchs, damit man einen etwas repräsentativeren Aufgang hatte“, so Deml.