Zukunftsvorstellungen aus den Uni-Sammlungen zu Gast im Museum Giersch der Goethe-Universität

© Sebastian Burger© Sebastian Burger

Am 5. April wurde im Museum Giersch der Goethe-Universität die Ausstellung „Fixing Futures – Planetare Zukünfte zwischen Spekulation und Kontrolle“ eröffnet. In der Ausstellung, die noch bis Ende August zu sehen ist, haben sich Wissenschaftler*innen und Künstler*innen mit Zukunftsvorstellungen befasst. Auch in den Sammlungen der Goethe-Universität finden sich Objekte, die mit solchen Vorstellungen verbunden sind. Einige davon sind im Wechsel als „Objekt des Monats“ in der Ausstellung zu sehen und werden auf dem Instagram-Kanal frankfurter_dinge in kurzen „Sprachnachrichten“ vorgestellt.

Am 17. Juni standen Objekte mit Zukunftsbezug aus den Uni-Sammlungen einen Abend lang im Fokus. Unter dem Titel „Object Lesson – Gesammelte Zukünfte“ konnten Besuchende im Museum Giersch eine Auswahl von Objekten aus den Universitätssammlungen betrachten und mit den Sammlungsbetreuenden ins Gespräch kommen. Nach kurzen Impulsen der Sammlungsbetreuenden, in denen die mitgebrachten Objekte vorgestellt wurden, konnten die im Raum verteilten Objekte individuell entdeckt werden.

Gebrochene Zukunftsversprechen

Dass die Zukunft bei aller Planung und Vorstellung doch unbeherrschbar bleibt, zeigte Fleur Kemmers mittels eines Objekts aus der Numismatischen Sammlung. Eine antike Münze aus dem 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung kann nämlich über politische Kommunikation der Kaiserzeit Auskunft geben. Auf einer sogenannten Vota-Münze versprach der Kaiser Jovian in der Inschrift seinen Untertanen eine Herrschaft für mindestens fünf, wenn nicht gar zehn Jahre. Wie unplanbar die Zukunft war (und ist), zeigt die Tatsache, dass besagter Kaiser nach nur wenigen Monaten seiner Herrschaft verstarb. Gleichzeitig, so Kemmers, ist die gesamte Sammlung antiker Münzen wichtig in der Lehre. Somit steht die fast unscheinbar wirkende Münze für ein vor Jahrtausenden gebrochenes Zukunftsversprechen und ist außerdem zentral, damit zukünftige Archäolog*innen Forschungsmethoden der Disziplin einüben können, so wurden etwa die Bestände im Digitalen Münzkabinett der Goethe-Universität unter Mitarbeit von Studierenden verfügbar gemacht.

Aber nicht nur antike Herrscher brachen ihre Versprechen für die Zukunft. Auch in den geowissenschaftlichen Sammlungen finden sich Objekte, die zeigen, dass positive Zukunftsvorstellungen sich ins Gegenteil verkehren können. Sascha Staubach brachte exemplarisch gleich zwei Stücke Asbest mit. Die natürlich vorkommende Mineralfamilie war lange Zeit aufgrund ihrer großen Hitzebeständigkeit und vielfältigen Verarbeitungsmethoden ein beliebter Zusatz für Baumaterial und andere Produkte. Die Faserstruktur von Asbest macht es aber nicht nur geeignet für verschiedenste Verwendung, in den Fasern liegt auch die Gefahr. Brechen diese besonders fein, können sie sich über die Luft in der Lunge festsetzen. Dass die Fasern zu Lungenschäden – und Lungenkrebs – führen können, war laut Staubach grundsätzlich schon lange bekannt. Trotzdem dauerte es bis 1993, bevor die Herstellung und Verwendung in Deutschland verboten wurde. In den Geowissenschaften an der Goethe-Universität – wo der Fokus häufig auf der Vergangenheit der Erde und des Sonnensystems liegt – ist das Material aber nach wie vor von Relevanz, denn es gehört zu den bedeutenden Stoffgruppen, die alle Studierenden kennen müssen.

Felix Giesa aus der Kinderbuchsammlung und dem Comic-Archiv stellte an dem Abend zwei Publikationen vor. Das Werk Future Fairy Tales – Geschichten aus einer anderen Welt ist Teil der Kinderbuchsammlung. Die Sammlung ist als wissenschaftliche Dokumentationsstelle wichtig für die Erforschung der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur. In dem für den Abend aus der Sammlung ausgewählten Buch nimmt die Autorin Holly-Jane Rahlens die Lesenden mit in die Zukunft und überlegt, wie klassische Märchen in den kommenden Jahrhunderten wohl erzählt werden. Eine völlig andere Welt wird im Manga Das Land der Juwelen von Haruko Ichikawa imaginiert. Nach dem Ende der Menschheit folgt die Geschichte geschlechtslosen, humanoiden Edelsteinen, die auf dem Planeten ums Überleben kämpfen. Das Werk ist Teil des Comic-Archivs, das laut Giesa außergewöhnlich früh und mit Weitblick entstand. In einer Zeit, in der Comics von vielen Wissenschaftler*innen und Kultureinrichtungen als „Schundliteratur“ gemieden wurden, begann das Institut für Jugendbuchforschung in Frankfurt, diese zu sammeln. Man hatte die Annahme, dass die Bestände in der Zukunft für die Forschung von Bedeutung sein werden. Dieser Weitblick führte dazu, dass sich heute die umfangreichste wissenschaftliche Comic-Sammlung im deutschsprachigen Raum an der Goethe-Universität befindet.

Ein weiteres Buch eröffnete den Besuchenden etwas anders begründete Zukunftsvorstellungen. Kerstin von der Krone, die Betreuerin der Hebraica- und Judaica-
Sammlung an der Universitätsbibliothek, zeigte eine Pessah-Haggadah von 1929. Die reich bebilderte zweisprachige Ausgabe steht für religiös begründete Erwartungen an die Zukunft. Traditionell wird das Buch am Pessah-Fest gemeinsam am Tisch gelesen – viele Ausgaben des Werkes enthalten Spuren dieser Verwendung. Ein Schlusspunkt dieses Festes ist der Satz „Im nächsten Jahr in Jerusalem“, der seit Jahrhunderten geäußert wird. Zum einen zeigt dieser Satz die Vorstellung der jüdischen Diaspora, welche die Rückkehr des Messias erwartet. Zum anderen konnte es eine konkrete Zukunft sein, da es für wohlhabende Juden seit dem Mittelalter nicht unüblich war, nach Jerusalem zu reisen.

Hightech-Kristalle

Um Forschung zu ermöglichen, werden an der Universität aber auch Objekte hergestellt, etwa im Kristall- und Materiallabor am Physikalischen Institut, wo unter sehr hohen Temperaturen sogenannte Einkristalle produziert werden. Cornelius Krellner präsentierte aus der Sammlung einen nur wenige Millimeter großen Kristall mit der Zusammensetzung YbRh2Si2. Anhand des Objekts und der Zusammenhänge seiner Produktion brachte Krellner dem Publikum die Erforschung von Supraleitern näher. Es handelt sich dabei um Materialien, bei denen der elektrische Widerstand gleich Null geht – das aber nur bei bestimmten extrem niedrigen Temperaturen. Mit dem Züchten dieser Verbindung will man Fragen klären, wie Supraleiter funktionieren und wie man dem Ziel näherkommen kann, einen Supraleiter bei Raumtemperatur zu entwickeln. Das würde den Energietransport revolutionieren.

Eine weitere zentrale Frage mit Blick auf die Zukunft ist der nachhaltige Anbau von Lebensmitteln in einer von der Klimakrise geprägten Welt. Alexa Höhn brachte als Beispiel für ein Produkt, dessen Anbau immer schwieriger wird, Sheanüsse mit. Die Früchte des in der Sahelzone wachsenden Karitébaums (oder Sheanussbaums) werden seit Jahrhunderten für Nahrungsmittel- und Kosmetikproduktion genutzt. Die Verbreitung der Bäume erfolgte bislang natürlich; mit Änderungen der Landnutzung und dem Wandel der Klimabedingungen funktioniert dies nicht mehr. Die Nüsse sind Teil der Archäobotanischen Vergleichssammlung. In der Archäobotanik wird erforscht, welche Bedeutung Pflanzen für den Menschen in der Vergangenheit spielten. Wie im Namen „Vergleichssammlung“ bereits deutlich wird, benötigt man dazu auch aktuelle Pflanzen und Pflanzenteile. In der Archäobotanik wird auch der Ansatz verfolgt, archäobotanisches Wissen „nutzbar“ zu machen, indem man von traditioneller Landnutzung lernt, um Landschaft, Biodiversität und Einkommen lokaler Bevölkerungsgruppen auch zukünftig zu bewahren.

Nachdem alle Sammlungen und Objekte vorgestellt wurden, war es an den Besuchenden, die Objekte zu entdecken. Bücher wurden durchgeblättert, die antike Münze und der winzige Einkristall mit Lupen bestaunt. Die faserige Oberfläche der Asbeststücke wurde durch eine Haube aus sicherer Entfernung begutachtet. Es entstanden zahlreiche Gespräche zwischen Besuchenden und Sammlungsbetreuenden über die Objekte, die Forschung an der Universität an den Objekten oder aber persönliche Erfahrungen von den Besuchenden mit solchen oder ähnlichen Gegenständen/Themen.

Anna-Maria Hünnes, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Koordination der universitären Sammlungen

Insgesamt war der Abend im Museum Giersch nur ein kleiner Einblick in die vielfältigen Sammlungen der Universität. An der Goethe-Universität gibt es rund 40 Sammlungen, die dezentral an den einzelnen Instituten und Fachbereichen sowie an zentralen Einrichtungen wie der Bibliothek liegen. In vielen Fächern sind sie eine zentrale Ressource für die Forschung und/oder die Lehre. Wer mehr über die Sammlungen erfahren möchte, kann auf dem Instagram-Kanal Frankfurter Dinge und der Sammlungsplattform vorbeischauen. Wer an regelmäßigen Neuigkeiten rund um die Sammlungen interessiert ist, kann sie mit dem Newsletter Leporello viermal im Jahr zugeschickt bekommen. Die Ausstellung „Fixing Futures. Planetare Zukünfte zwischen Spekulation und Kontrolle“ ist noch bis zum 31. August 2025 im Museum Giersch der Goethe-Universität zu sehen.