Porträt
Im System Putin hat Ex-Präsident Medwedew seine ganz besondere Rolle. Er teilt grob gegen vermeintliche Gegner Russlands aus und schafft es damit, US-Präsident Trump zu provozieren. Dabei galt Medwedew mal als Liberaler.
Der verbale Schlagabtausch mit dem US-Präsidenten katapultierte ihn gerade in die Schlagzeilen. Dmitri Medwedew nannte Donald Trump „Djedulja“ – zu deutsch Opilein, worauf dieser zwei Atom-U-Boote in Richtung Russland schickte, auch als Antwort auf Medwedews Behauptung, Trumps jüngstes Waffenruhe-Ultimatum sei ein „Schritt in Richtung Krieg“.
Medwedew ist bekennender Hardrocker, hat schon als Schüler Deep Purple gehört. Ein jüngerer Titel der Band heißt „Sharp Shooter“. Der passt gewissermaßen auch zu Medwedew: Er hat sich in den vergangenen Jahren zum verbalen Scharfschützen entwickelt.
Beleidigungen, Klischees und Unwahrheiten
Als er in diesem Frühjahr einen Vortrag hält zum Thema „Unsere gefährliche Welt: Wer ist schuld und was tun?“, sehen die jungen Zuhörer hinter ihm auf einer Leinwand seine Posts über „atlantische Impotente“, „Kakerlaken“, „Gesindel“ und ein „unschön alterndes Europa“. Dann blicken sie auf Fotos deutscher Politiker und Schwarz-Weiß-Bilder ihrer angeblichen Verwandten.
„Es ist kein Zufall, dass die Agenda der deutschen Politik von aggressiven russophoben Fanatikern, von Anhängern des Militarismus besetzt wurde. Baerbock, Pistorius oder die halbwahnsinnige Ärztin von der Leyen, die die Europäische Union leitet – sie alle hatten Verwandte in den Reihen der deutschen Wehrmacht, einige sogar in den Reihen der SS.“
Die Faktenchecker von Correctiv decken auf, die Hälfte der angeblichen Verwandten sei falsch. Selbst Putin erklärte auf dem Kreml-Telegram-Kanal, er glaube nicht, dass die heutige Generation von Deutschen die volle politische Verantwortung tragen sollte für das, was Nazideutschland angerichtet habe.
Medwedews Feldzug passt jedoch bestens in Putins Narrativ, man kämpfe in der Ukraine gegen Nazis.
Wer am Ende das Sagen hat
Im vergangenen Jahr, nachdem der ukrainische Präsident Selenskyj präventive Angriffe mit westlichen Waffen gegen russische Einheiten auf russischem Staatsgebiet ins Spiel gebracht hatte, zitiert die amtliche Nachrichtenagentur TASS Medwedew mit einer Drohung: „Sollte Russland taktische Atomwaffen gegen Staaten einsetzen, die sich solche Aussagen erlauben, bleibt von ihnen nur ein feuchter Fleck.“
In seinem Elternhaus dürfte Medwedew diesen Stil nicht gelernt haben. Der Vater war Professor für Maschinenbau, die Mutter Lektorin für europäische Sprachen.
Ob der Kreml ihn nicht zur Mäßigung aufrufe, wird Präsidentensprecher Dmitri Peskow unlängst bei einem Online-Briefing gefragt. Peskows nüchterne Antwort: „In jedem Land haben die Mitglieder der Staatsführung verschiedene Meinungen über aktuelle Ereignisse. Am wichtigsten ist aber die Position von Präsident Putin. Denn in unserem Land formuliert der Staatschef die Außenpolitik, also Präsident Putin.“
„Vielleicht manchmal nicht ganz diplomatisch“
Wie Putin wächst Medwedew in Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg, als Einzelkind auf, sie studieren dort Jura, jeweils unterrichtet vom späteren Reform-Bürgermeister Anatoli Sobtschak, der beide in den 1990er-Jahren ins Rathaus holt. Was Recht ist, weiß Medwedew also. Er promoviert und schreibt das erste postkommunistische Lehrbuch für Zivilrecht.
Warum dann solch scharfe Posts, fragt ihn einmal der TV-Sender Al Jazeera: „Die Dinge werden da vielleicht manchmal nicht ganz diplomatisch ausgedrückt, aber ich meine, dass unsere Bürger und die anderer Länder Informationen von Politikern in einer verständlichen, einfachen Sprache erhalten sollten, ohne Doppeldeutigkeit und diplomatische Tricks.“
Rotation im Kreml: 2012 tritt Medwedew wieder zurück ins Glied. Vorgänger Putin wird, wie geplant, Nachfolger und sorgt in den Jahren danach mit einer Verfassungsänderung dafür, dass solche Manöver nicht mehr erforderlich sind.
Einst ein Hoffnungsträger
Als Putin Ende der 1990er-Jahre nach Moskau geht und dort schnell aufsteigt, holt er seinen Freund Medwedew nach, zum beiderseitigen Vorteil. 2008 löst Medwedew Putin aus Verfassungsgründen als Präsident ab.
Damals ist der smarte, adrette Medwedew noch ganz Diplomat und Hoffnungsträger auf ein modernes, freies Russland. Er wagt einen Neustart mit dem Westen, bremst ein umstrittenes Mediengesetz aus. Doch auch unter ihm gibt es kurz nach der Amtsübernahme Krieg und die vom Westen scharf kritisierte Anerkennung zweier von Georgien abtrünniger Gebiete.
2012 rotiert Medwedew wieder zurück ins Glied, wird für ein paar Jahre Ministerpräsident unter Putin. Heute führt Medwedew die Regierungspartei „Einiges Russland“, ist Vize-Chef des Nationalen Sicherheitsrates, der über Außen- und Verteidigungspolitik mitentscheidet. Sein Vorgesetzter auch dort: Putin.
Es scheint, je länger Medwedew nicht mehr Nr. 1 ist, je länger der Ukraine-Krieg dauert, desto schärfer seine Kommentare: Selenskyj sei ein freches Schwein. Merz lüge wie Goebbels. Im deutschen Exil wertet Politologin Jekaterina Schulmann dies auf YouTube so:
„Es gibt einfach Personen, deren Aufgabe es ist, auf dem Tisch Kasatschok zu tanzen und das Publikum im Lande und außerhalb abzulenken, während wichtige Leute wichtige Dinge tun. Das sind Figuren wie Medwedew.“
Als Bad Boy politisch überleben
Im Jahr des Kriegsbeginns gegen die Ukraine plädiert Medwedew gar für die Wiedereinführung der ausgesetzten Todesstrafe, wenn es in Russland nicht ruhig bleibe. Generell kommt er an: Sein X-Account auf Russisch hat mehr als vier Millionen Follower.
Alexander Kynew, unabhängiger Politologe in Russland, sagt auf dem liberalen YouTube-Kanal Zhivoj Gvozd: „Er spielt schon lange den Bad Boy, der solch grenzwertige, oft schockierende Posts schreibt. Aber ohne Einfluss. Sie sind ein Mittel, auf der politischen Agenda zu bleiben. Das ist seine Art, politisch zu überleben.“
Jüngstes Beispiel: Europas Politiker, die versuchen, die Ukraine an den Tisch des Trump-Putin-Gipfels in Alaska zu bekommen, sind bei Medwedew auf Telegram „Euro-Schwachsinnige“, die Amerikas Bemühungen behindern, den Ukraine-Konflikt zu lösen. So tritt er immer wieder kurz aus Putins Schatten.