Die Initiativen der Europäischen Union, ihre Mitglieder finanziell bei der Aufrüstung zu unterstützen, scheinen Italien vor ein komfortables Problem zu stellen: wohin mit dem Geld? Jedenfalls lud die italienische Ministerpräsidentin Berichten zufolge letzte Woche die Geschäftsführer der im staatlichen Mehrheitsbesitz befindlichen heimischen Rüstungsunternehmen Leonardo und Fincantieri ein, um diese Frage in einer Runde mit dem Verteidigungs-, Außen- und Finanzminister zu diskutieren.
Zuvor hatte die Regierung beschlossen, sich im Rahmen des EU-Programms Security Action for Europe (SAFE) um einen Niedrigzins-Kredit in Höhe von bis zu fünf Milliarden Euro über fünf Jahre zu bewerben. SAFE stellt für solche Kredite insgesamt 150 Milliarden Euro für bestimmte Felder wie Flug- und Raketenabwehr, Artillerie, Lenkwaffen, Drohnen und Cyber-Kriegführung bereit. Zugleich will die EU ihren Mitgliedern für Verteidigungsausgaben Ausnahmen von der Drei-Prozent-Grenze bei der Staatsverschuldung erlauben.
Italien erhält Spielraum für neue NATO-Vorgaben
Zwar überschreitet Italien diese Grenze momentan bereits mit seinem normalen Haushalt. Dieser soll jedoch nächstes Jahr wieder darunter sinken, so dass Spielraum bestünde, um die neue NATO-Vorgabe von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigungsausgaben plus 1,5 Prozent für relevante Nebengebiete zu erreichen. Nach Angaben aus Industriekreisen könnte die Gesamtsumme der Kredite schließlich insgesamt 18 bis 20 Milliarden Euro betragen.
Das würde Italien erlauben, seine Verteidigungsausgaben von gegenwärtig zwei Prozent des BIP in den kommenden fünf Jahren um jeweils vier Milliarden Euro zu erhöhen. Allein für Leonardo würde dies laut einer Präsentation für Analysten vom 30. Juli Mehreinnahmen von zwei bis zweieinhalb Milliarden Euro bedeuten – wenn das Unternehmen entsprechende Angebote machen kann. Ministerpräsident Meloni hat jedenfalls eine Strategie verlangt, um die vorrangigen Investitionsmöglichkeiten zu identifizieren.
Dual-use-Nutzung angestrebt
Diese sollten zudem im maximalen Umfang „dual use“ sein, um sowohl inner- als auch außerhalb der Verteidigungsindustrie von Nutzen zu sein. Für den Schiffbauer Fincantieri, der neben dem Marine- auch im zivilen Bereich tätig ist, dürfte das kein Problem sein. Auch Leonardo, ein Zusammenschluss aus diversen Vorläuferunternehmen wie AgustaWestland, Alenia Aermacchi, Finmeccanica und OTO Melara, hat Standbeine in der zivilen Luft- und Raumfahrt sowie der IT-Sicherheit.
In Deutschland machte der Konzern zuletzt Schlagzeilen durch Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens mit Rheinmetall, um den Kampfpanzer Panther und den Schützenpanzer Lynx für das italienische Heer zu produzieren. Daneben will Italien auch den Spähwagen Puma ersetzen und den Verteidigungsumfang der Streitkräfte bis 2033 um 40.000 Mann erhöhen. Die NATO-Vorgaben für zusätzliche Ausgaben im Infrastrukturbereich will man unter anderem mit dem bislang unverwirklichten Prestigeprojekt einer Brücke vom Festland nach Sizilien erfüllen.
Stefan Axel Boes