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Alter und neuer Meister: Blick in die Ausstellung von Sven Drühl in Wiesbaden. © Museum Wiesbaden / Christoph Boeckheler
Das Museum Wiesbaden gibt Gelegenheit, durch die kühlen, ruhigen Landschaften des Künstlers und Sammlers Sven Drühl zu spazieren.
Die logische Weiterentwicklung der weiten Gegend unterm sanft verfärbten Abendhimmel und zum reißenden Bach zwischen schroffem Gestein, die die Landschaftsmalerei des 19. Jahrhundert als Muster von Kunst über die Sofas und in die Köpfe brachten, muss keine expressionistische Farbfläche und keine Apokalypse sein. Sven Drühl, 1968 in Nassau an der Lahn geboren, experimentiert seit vielen Jahren mit ganz anderen Möglichkeiten. Im Zentrum geht es offenbar darum, malerische Eindrücke mit unmalerischen, gar antimalerischen Methoden zu erzielen.
Lack (im Sinne von Autolack) und Silikon kommen dabei ins Spiel, geschnitten, gerissen, gepresst. Das Ergebnis ist vermutlich nicht aus jener irgendwie tiefgreifenden Empfindung geboren, die eine erhabene oder einfach schöne Landschaft hervorrufen mag und einst als Impuls für den schöpferischen Vorgang galt. Experiment und Kalkül dürften eher eine Rolle spielen, was aber Spekulation ist. Diese entsteht, während man in einem kleinen, instruktiven Film dem Künstler im Atelier zuschauen kann.
Der Raum selbst: eine attraktive Schlucht
Zu sehen sind dann aber überaus sinnliche Bilder, zudem im Museum Wiesbaden sinnlich gehängt. Die Fläche im Untergeschoss mit seinen hohen Wänden, durch eingezogene Zusatzwände noch steiler wirkend, lässt die Betrachterin und auch den Betrachter wie in einer Schlucht und an diversen Aussichtspunkten auf die großzügig, aber nicht kärglich verteilten Arbeiten blicken. Die meisten Bilder tragen als Titel absurd lange Abkürzungen: mystifizierend und wie aus Versuchsreihen, aber zu welchen Versuchen?
Selbst wenn Drühls Arbeiten also etwas Abstraktes haben, steht man doch eindeutig vor Landschaften. Und, ja, dahinter kann auch ein Himmel erglühen. Oder sehr blau sein, oder sehr – grün. Hochgebirge, schwappendes Meer, Wüstenei. Zum Lack gesellt sich manchmal Ölmalerei. Das Matte, das das Glänzende umschließt, darf man sich etwa als Pfütze im Herbstlaub vorstellen, in der sich ein weißgrauer Himmel mit kahlem Geäst spiegelt. Oder wie der Blick aus einer Höhle ins gleißende Licht schneeiger Bergzipfel. Gelegentlich wird man sich an japanische Comic-Landschaften erinnert fühlen, ohnehin an eine Künstlichkeit, nämlich die einer unwahrscheinlichen Überklarheit.
Diese Arbeiten aber suchen den interessierten und friedfertigen Anschluss an Vorbilder eben des vorvergangenen Jahrhunderts. Sie stellen sich ihnen nicht verächtlich entgegen, wie es den akademischen oder salonhaften, kurzum nämlich auch routinierten und schließlich überholten Tendenzen seinerzeit geschah. Und zu Recht geschah. Bloß ist das alles nun auch schon wieder eine Weile her. Drühls Arbeiten sind stattdessen eine unaggressive Fortsetzung mit neuen Mitteln, handgemachten, nicht am Computer generierten.
Man könnte sich vorstellen, dass daraus Drühls Respekt und sein Interesse an hergebrachten handwerklichen Fertigkeiten rühren. Er ist außerdem ein erfahrener Maler, der nicht zurücktaucht in die alte Zeit, aber seine Felsbrocken und -bröckchen doch auch „klassisch“ mit Öl auf die Leinwand bringt. Dass ihre Umrisse mit feinen Silikonlinien nachgezogen sind, wirkt dann wie ein kühles, ruhiges Bekenntnis dazu, nicht das Vergangene zurückzuwünschen. Drühl ist wohl ein Antinostalgiker mit Langzeitgedächtnis.
Denn die Alten sind immer mit dabei. Die ansehnliche Ausstellung, die bereits in Luzern im Hans Erni Museum gezeigt wurde, gehört im Museum Wiesbaden zu den Feiern zum 200. Geburtstag des Hauses. Der Titel „Faszination 19. Jahrhundert“ passt zur Stadt wie zur Sammlung perfekt.
Ausstellungsansicht. © Museum Wiesbaden / Christoph Boeckheler
Drühl ist nicht nur als Künstler tätig, er ist auch Sammler, Buchautor, Dozent, der nach seiner kunstwissenschaftlichen Promotion in Frankfurt unter anderem eine Gastprofessur in China hatte (das Asiatische interessiert ihn, wie man auch hier sieht, aber woanders noch mehr). Für die Schau hat er Bilder seiner Sammlung mitgebracht – das Museum hängte auch noch etwas eigenes dazu –, meist kleinformatiger als die eigenen Arbeiten. Aber man kann gut erkennen, was ihn daran interessiert: wie man Stillstand und Bewegung in der Natur auf die Kunst übertragen kann, kleine und große Formationen, bewegteres und weniger bewegtes Wasser.
Keine Menschen nirgends. Vielleicht ist auch darum der Besuch in der Ausstellung selbst an einem sehr belebten Samstag wie ein Ausflug ins weitläufige und doch wuchtige Freie. An einen jener Orte, an denen man sich gelegentlich die Frage stellt, ob der Mensch noch nicht erschienen oder seine Zeit bereits abgelaufen ist.
Die Vergänglichkeit ist auch für Drühl ein Thema. In Wiesbaden kann man es sich an bildhauerischen Arbeiten ansehen, den gerade noch handlichen Bronzemodellen von Bergen. Das ist eigentlich ganz unverfänglich. Erst die Titel machen klar, dass es sich um die Darstellung von Erosionen handelt. Das Matterhorn verändert sich. Das ist einerseits normal, aber ein Forschungsteam der ETH Zürich beobachtet seit Jahren, wie schnell das auf einmal geht. Bei Drühl ist die berühmte Silhouette kaum noch wiederzuerkennen.
Museum Wiesbaden: bis 28. September. Katalog (Hatje Cantz) im Museum für 29,90 Euro.
www.museum-wiesbaden.de