Die Minuten, in denen sie mit dem Pfleger im August 2023 allein im Zimmer gewesen sei, seien die schlimmsten ihres Lebens gewesen. Immer wieder bricht die Frau, die diesen Satz sagt, während ihrer Zeugenaussage im Frankfurter Landgericht in Tränen aus. Die Einundzwanzigjährige beschreibt, wie der Angeklagte, der zu diesem Zeitpunkt in der Frankfurter Uniklinik als Pfleger arbeitete, ihr nach ihrer Operation am Herzen die Kanüle ausgespült habe. Sie habe ein starkes Brennen gespürt, danach sei sie stundenlang benommen gewesen. Sie habe sich „schmutzig gefühlt“ und sich vor ihrem Körper geekelt. „Ich habe immer wieder gesagt, dass irgendetwas nicht stimmt“, sagt sie am Dienstag vor Gericht.

Trifft es zu, was die Anklage dem Pfleger in dem Prozess nun vorwirft, bestätigte sich dieses Gefühl zwei Tage später: Die Staatsanwaltschaft nimmt an, dass der Angeklagte der Frau ein Beruhigungsmittel verabreichte, um sie dann sexuell zu belästigen. Ermittler hätten bei Durchsuchungen eine Spritze im Spind des Mannes gefunden, die das Benzodiazepin Midazolam enthalten habe.

An jenem Morgen sei der Mann abermals morgens in ihr Zimmer gekommen, um die Kanüle auszuspülen, sagt die Frau. Er habe wie beim ersten Mal eine unverpackte Spritze aus seiner Jackentasche gezogen, und wieder habe sie ein Brennen und einen starken Schwindel gespürt. Dann soll der Mann sie an der Brust berührt und sie gefragt haben, ob er ihren Bauch anfassen dürfe. „Ich habe mit letzter Kraft Nein gesagt, an den Rest erinnere ich mich nicht.“

Angeklagter bestreitet alles

Das ist nicht der einzige Vorfall, für den sich der 37 Jahre alte Mann verantworten muss. Laut Staatsanwaltschaft hat er im April 2023 ebenfalls zwei Patientinnen ein sedierendes Mittel verabreicht. Ob dabei ein sexueller Übergriff stattgefunden habe, habe nicht mehr ermittelt werden können, sagt die Staatsanwältin. Angeklagt ist der Mann nun unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung und sexuellen Missbrauchs.

Der Angeklagte hingegen bestreitet die Vorwürfe. Ihm zufolge hatte er die Kanüle so ausgespült, wie es vorgeschrieben sei. Er vermute, dass dabei Medikamente, die sich noch in dem venösen Zugang befanden, in den Körper gelangten, und die Frauen deshalb bewusstlos geworden seien. Er sei der Zeugin „nicht sexuell nahegetreten“, sagt seine Verteidigerin.

Er habe bei ihr außerdem das EKG-Gerät gewechselt. Vielleicht sei ihre Brust beim Anbringen des EKGs durch ein Kabel berührt worden, so der Angeklagte. Warum es den drei Patientinnen nach dem Spülen der Kanüle so schlecht gegangen sei, könne er sich nicht erklären. Dies habe er noch nie erlebt. Auch nach der etwa zweistündigen Befragung des Mannes durch das Gericht blieben viele Fragen offen.

Nervenzusammenbruch während der Zeugenaussage

Die Frankfurter Uniklinik hat dem Mann inzwischen fristlos gekündigt. Laut der Pflegedienstleiterin, die als Zeugin vom Gericht geladen ist, konnte er wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung nicht weiter beschäftigt werden. Der Mann arbeitete nach eigenen Angaben seit 2019 in Deutschland als Pfleger, sechs Monate davon war er im Frankfurter Markus-Krankenhaus angestellt. Seine Ausbildung hatte er in seinem Heimatland Indien absolviert.

Wie sehr die Zeugin unter dem Geschehen im August 2023 leidet, wird an dem Tag des Prozesses für alle deutlich. Weil die Frau während ihrer Aussage einen Nervenzusammenbruch bekommt, muss die Verhandlung zeitweise unterbrochen werden. Die Frau wird anschließend von Sanitätern abtransportiert.

Zuvor sagt sie, der Angeklagte habe ihr Leben zerstört. Trotz zweijähriger Therapie könne sie nicht arbeiten und kaum essen, „während er wahrscheinlich sein Leben weitergelebt hat, als ob nichts passiert wäre“.

Sie erhebt daneben schwere Vorwürfe gegen das Uniklinikum und sagt, dass das Personal nach dem zweiten Vorfall nicht die Polizei gerufen habe, obwohl sie mehrfach darum gebeten habe.

Die Frau soll von Mitte August an weiter aussagen, voraussichtlich wird sie dem Vorsitzenden Richter zufolge dann per Videoübertragung vernommen, damit sie nicht in einem Raum mit dem Angeklagten sitzen muss.