Manizha Bakhtari war die offizielle Botschafterin Afghanistans in Wien, als die Taliban in ihrer Heimat die Macht übernahmen. Das geschah fast auf den Tag genau vor vier Jahren, am 15. August 2021. Frau Bakhtari wird von der Taliban-Regierung entlassen, erkennt aber deren Autorität nicht an. Sie gibt ihren Dienst nicht auf und setzt sich unermüdlich für die Rechte von Mädchen und Frauen in Afghanistan ein – auch wenn sie dafür online Todesdrohungen erhält.

In der packenden Doku „Die letzte Botschafterin“ (ab Freitag im Kino) begleitet die Linzer Filmemacherin Natalie Halla die Diplomatin bei ihren Bemühungen, den Botschaftsbetrieb in Wien aufrechtzuerhalten und den unterdrückten Frauen in Afghanistan ihre Stimme zu verleihen – getreu ihrem Motto: „Frieden ist nicht die Abwesenheit von Krieg, sondern die Anwesenheit von Gerechtigkeit.“

KURIER: Frau Botschafterin, Sie wollten ursprünglich nicht an einem Filmprojekt über Ihre Person teilnehmen. Was hat Sie bewogen, Ihre Meinung zu ändern?

Manizha Bakhtari: Als mich die Regisseurin Natalie Halla 2021 erstmals gefragt hat, befand ich mich im Schockzustand. Die Taliban hatten gerade die Regierung übernommen, und ich wusste nicht, wie es mit der Botschaft und meinen Mitarbeitern weitergehen sollte. Es war eine sehr schwere Zeit. Zudem bin ich eine sehr schüchterne und zurückhaltende Person und es erschien mir unvorstellbar, als Hauptfigur in einem Film aufzutreten. Doch Natalie bestand darauf, mich persönlich zu treffen. Sie war mir von Anfang an höchst sympathisch und hat mich überzeugt, an ihrem Filmprojekt teilzunehmen. Schließlich dachte ich mir: Okay, wir machen das für die Frauen und Mädchen in Afghanistan.

Tatsächlich ist Afghanistan aus den Schlagzeilen mehr oder weniger verschwunden.

 Ja, Afghanistan ist derzeit so gut wie vergessen, weil viele andere Krisen die Weltöffentlichkeit beschäftigen. Es herrscht die Meinung vor, dass sich Afghanistan selbst um die Veränderung der Gesellschaft kümmern muss. Das stimmt. Aber das ist sehr schwierig mit einer Gruppe wie den Taliban, die nicht an Verhandlungen glaubt – und schon gar nicht an Menschenrechte. Für die Taliban sind Frauen keine Menschen.

Im Film gibt es eine Szene, in der die Vertreter der Taliban behaupten, dass Frauen im Rahmen der Scharia ihre Rechte zugesprochen bekommen. Doch tatsächlich dürfen sie nicht einmal mehr in die Schule gehen.

Die Scharia ist ein islamisches Recht, das in vielen muslimischen Ländern – etwa Indonesien oder Malaysien – gilt, wo aber die Frauen nicht so behandelt werden wie in Afghanistan. Die Taliban haben ihre eigene Auslegung der Scharia. Anfänglich haben sie ja beteuert, dass Frauen weiterhin in die Schule gehen und arbeiten dürfen. Sie haben sich als eine neue, moderne Generation der Taliban ausgegeben, um die Weltöffentlichkeit zu manipulieren. Aber heute sehen wir, dass das nicht stimmt. Auch die Universität wurde für Frauen geschlossen.

Es gibt schockierende Bilder im Film, wo man Kleiderpuppen in Geschäften mit Frauenkleidern sieht, deren Gesichter aber mit einem Sack verhüllt sind.

Die Taliban versuchen, alle weiblichen Symbole – wie etwa Plakate von Bildern mit Frauen – aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Sie wollen Frauen als Instrumente, als Sex-Objekte benutzen. Und wenn Frauen weder Bildung noch rechtliche Unterstützung erhalten und schon im ganz jungen Alter an Taliban-Führer verheiratet werden, haben sie keine Chance. Sie werden als Mitglieder im öffentlichen Leben unsichtbar gemacht und ausgelöscht.

Sie waren von Beruf Journalistin. Warum haben Sie sich für den diplomatischen Dienst entschieden?

 Ich habe Journalismus und persische Literatur studiert. 2007 erhielt ich die Einladung des Außenministeriums, für sie zu arbeiten. Damals war ich eine junge Frau und in Afghanistan recht populär, weil ich Bücher geschrieben und Interviews veröffentlicht hatte. Außerdem ist mein Vater (der Dichter Wasef Bakhtari, Anm.) in Afghanistan eine sehr bekannte Persönlichkeit. Ich habe damals an der Universität in Kabul gearbeitet und meinen Job geliebt. Aber trotzdem bin ich dann Botschafterin geworden. Und gerade die Gleichberechtigung von Frauen und Fragen der Gender-Gerechtigkeit haben mich immer schon interessiert.

Was ist Ihr beruflicher Status? Sie akzeptieren die Autorität der Taliban-Regierung, die Sie abberufen hat, nicht, doch nun hat Russland sie anerkannt.

Das macht mir natürlich Sorgen. Andererseits bedeutet das auch, dass viele andere Länder genau deswegen die Regierung nicht anerkennen werden. Aber die geopolitische Lage kann sich natürlich immer verändern. Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Ich werde meinen Kampf weiter fortführen. Die Bevölkerung in Afghanistan ist am wichtigsten. Wenn sie die Taliban-Regierung nicht als legitim akzeptiert, ist es egal, ob die Welt sie anerkennt oder nicht.

Im Film sieht man auch ein Hochzeitsvideo von Ihnen und Ihrem Mann. Ihre Ehe wurde von den Eltern arrangiert. Ihre Töchter würden das aber heute nicht mehr akzeptieren, oder?

Nein, das würden sie nicht. Aber arrangierte Hochzeiten sind Teil unserer Kultur – und manchmal funktionieren sie und manchmal nicht. Bei Liebeshochzeiten ist es genauso: Manche gehen gut aus, manche nicht. Was meinen Mann und mich betrifft, so sind wir uns bei der Hochzeit als vollkommen Fremde gegenübergetreten. Eines Tages haben unsere Mütter entschieden, dass wir beide einen guten Match ergeben würden. Ich war zwar verblüfft, aber nicht dagegen, weil ich in niemand anderen verliebt war. Hätte es jemand anderen gegeben, wäre meine Familie sicher offen dafür gewesen. Mein Mann und ich sind sehr verschieden, und die ersten vier, fünf Jahre haben wir uns viel gestritten. Aber über die Jahre haben wir eine starke Freundschaft aufgebaut und zu einem schönen Zusammenleben miteinander gefunden. Ich glaube, dass Freundschaft in einer Ehe sehr wichtig ist, vielleicht sogar wichtiger als Liebe.

Was wünschen Sie sich für den Film?

Der Film ist eine Einladung an alle, die ihn sehen, über Afghanistan nachzudenken. Er soll uns daran erinnern, nicht auf die Millionen von Mädchen und Frauen zu vergessen, die unter dem Taliban-Regime leiden. Es wäre ein Erfolg, wenn Leute darüber nachdenken, was sie für die Frauen tun können – und sei es nur ein Beitrag in den sozialen Medien.