Schiffermützen sind ein Stück norddeutsche Kultur. In Hamburg, wo es einst zahlreiche Spezialwerkstätten dafür gab, hält allein Lars Küntzel von der Firma Walther Eisenberg die Tradition aufrecht.

Gleich links neben dem Eingang zum Laden des Hamburger Mützenmachers Lars Küntzel grüßt Boxlegende Max Schmeling – von einem Foto, auf dem der Sportler eine zünftige Seglermütze trägt. Auch viele andere Promis haben den urigen, prall gefüllten und dabei nur rund 60 Quadratmeter kleinen Ladenraum mit Werkstatt der Firma „Walther Eisenberg – der Mützenmacher“ bereits betreten. Darunter der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt, der dort regelmäßig ein neues Maß-Exemplar seines Lieblingsmodells – und Markenzeichens – „Elblotse“ erstand.

Seit 1892 gibt es das Fachgeschäft für Herrenhüte, Kappen und Mützen bereits. Mittlerweile ist Küntzel der letzte Schiffermützenmacher der Hansestadt. Zur Kundschaft gehören natürlich nicht nur Promis, wie Inhaber Küntzel der Deutschen Presse-Agentur dpa sagt. Er verkaufe seine selbst gefertigten Schiffermützen an Männer aller Schichten und Altersklassen. „Gerade heute Morgen waren – in Begleitung von Aufpassern – drei zehnjährige Jungs da. Die wollten als Gruppe die Schlei umwandern und haben sich dafür sogenannte Reepschlägermützen zugelegt“, erzählt der 58-Jährige mit bedächtigem Hamburgischem Zungenschlag schmunzelnd der dpa. 

Designer Karl Lagerfeld sorgt für Boom

Und als der Stardesigner Karl Lagerfeld 2017 in der Elbphilharmonie eine maritime Chanel-Modenschau zeigte, hätten sogar junge Frauen sein Geschäft in Scharen gestürmt. Um Kopfbedeckungen zu ordern, wie sie einst Seefahrer, Lotsen und Hafenarbeiter zierten und schützten.

Mützenmacher Lars Künzel in seiner Werkstatt. picture alliance/dpa/Christian Charisius

Lars KünzelMützenmacher Lars Künzel in seiner Werkstatt.

Rund 80 Euro kostet eine Mütze, je nach Aufwand. Küntzel hält in seinen verglasten Holzregalen, die bis an die Decke reichen und noch aus der Vorkriegszeit stammen, hunderte von ihnen vor. Und zwar in 18 Ausführungen – mal höher, mal flacher, kleiner oder größer –, die etwa Elbsegler, Fleetenkieker, Elblotse, Prinz Heinrich, Kiel, Altona, Breslau oder auch Eckernförde heißen. „Das sind alles Traditionsmodelle, alte Formen, wie sie in Norddeutschland getragen wurden. Andere Länder haben andere Formen – es gibt auch typisch griechische und französische Schiffermützen“, erklärt Küntzel. 

1992 hat er das Geschäft vom Gründer-Enkel Claus Eisenberg – heute rund 90 Jahre alt – übernommen. Als gerade ausgelernter Maschinenbauer. „Doch zu dem Beruf hatte ich keine Meinung“, sagt der Mützenmacher. „Und als mein Vater, der hier Kunde war, und Herr Eisenberg, der einen Nachfolger suchte, meinten, ich solle mich mal umgucken, habe ich das getan. Und mich von Letzterem ein Jahr lang einarbeiten lassen. Als Ausbildungsberuf war das schon damals irgendwie out.“ 

Seit 1997 keine Ausbildung im Handwerk mehr

„Seit 1997 werden keine Mützenmacher mehr ausgebildet“, sagt auf dpa-Anfrage Christiane Engelhardt, Sprecherin der Handwerkskammer Hamburg. Sie ergänzt: „Das Handwerk der Modisten jedoch, also die Hutmacherei, wird weiterhin gelehrt – und ausgebildete Modisten könnten auch Schiffermützen herstellen.“ Ob, welche und wie viele Unternehmen dies aber tatsächlich tun, sei nicht bekannt, da die Handwerkskammer die Produktpaletten ihrer Betriebe nicht erfasse.

Was hat Küntzel gereizt? „Es ist die Mischung – Handwerk, Einkauf, Menschen, düt un dat“, sagt der 58-Jährige. Außerdem habe er es oft mit Wassersportlern zu tun. Das sei schön, da er selbst segle, auf der Ostsee und im Mittelmeer.  Eine Mütze, zumeist auf individuellem Kundenwunsch, nach den alten Original-Schnittmustern anzufertigen, dauere etwa zwei Stunden.

Von Elbsegler bis Fleetenkieker: Bei „Mützen Eisenberg“ gibt es zahlreiche Modelle. picture alliance/dpa/Christian Charisius

Mützen EisenbergVon Elbsegler bis Fleetenkieker: Bei „Mützen Eisenberg“ gibt es zahlreiche Modelle.

Dazu braucht es wenige Grundmaterialien: Für den sogenannten Deckel dunkelblaues, auch mal schwarzes Marine-Strichtuch – eine gewalkte und gekämmte Schurwolle, die wie Loden Wind und Wasser abhält.  Dazu Vlies sowie Futterstoff aus Viskose – und Leder für das Schweißband im Inneren. Dann einen mit Litze verkleideten Kunststoffrand und den kleinen Schirm, der das Gesicht schützt. An die fertige Kopfbedeckung näht Küntzel von Hand hinten noch eine kleine Schleife – und innen auf den Futterstoff sein traditionsreiches Firmenlabel.

Mehr als 100 Jahre alte Nähmaschinen

Die Materialien stammen fast alle von (süd-)deutschen Herstellern. Der Hamburger fügt sie an seinen insgesamt fünf Pfaff-Nähmaschinen zusammen, von denen drei mehr als 100 Jahre alt sind. „Ursprünglich hatten die einen Pedalantrieb, doch ich habe sie auf Elektrik umgerüstet“, sagt er.  Bei seinem gemütlich aussehenden Tun in der extrem engen Werkstatt hört Küntzel gern Musik – und wirft bisweilen einen Blick auf seine beiden, in Osteuropa geretteten Bulldoggen Hannes und Alma, die tiefenentspannt im Hundekorb liegen. Und im Gespräch mit der dpa plaudert der bekennende Lokalpatriot aus alteingesessener Familie noch etwas mehr aus dem Nähkästchen.

„Manche Kunden sparen auf eine Mütze, es gibt aber auch reiche Hanseaten, die unbedingt eine haben müssen – und für Jäger fertige ich neuerdings in Grün. So ein gutes Stück hält in der Regel viele Jahre. „Ich nehme auch Reparaturaufträge entgegen“, erzählt Küntzel, der mindestens so lange weitermachen will, bis seine Frau in zehn Jahren in Rente geht. Wenn sich dann ein Nachfolger fände, würde er sich freuen, erklärt der kinderlose Chef. Doch allzu viele Gedanken mache er sich über das Thema nicht. Seit der Corona-Zeit, die er recht gut überstanden habe, sei das Geschäft ohnehin ruhiger geworden.

Vertreter müssen mit Kopfbedeckung ankommen

Obwohl er gelegentlich auch an Filmproduktionen sowie via Internet sogar nach Asien und Amerika verkaufe. Früher habe er auch viel an Messen wie der damaligen „Hanseboot“ in seiner Stadt teilgenommen – inzwischen reist Küntzel nur noch zur „Boot Tulln“ in Österreich.

Dabei seien seine schlichten Schiffermützen doch ein Kulturgut, ein Stück Hamburg. „Und eine Kopfbedeckung macht das Bild vom Menschen erst vollkommen“, meint der Experte augenzwinkernd. Um zum Schluss noch eine berufsspezifische Marotte zu verraten, die er vom Vorgänger Eisenberg übernommen habe – der sei dabei allerdings noch rigoroser gewesen. 

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„Wenn zu mir in den Laden Vertreter oder andere Händler kommen, die keine Kopfbedeckung tragen, dann habe ich ein Problem. Denen kaufe ich fast nie etwas ab“, erklärt Küntzel, der sein Haus nicht ohne Mütze – einen weichen, anschmiegsamen Fleetenkieker – verlässt. Auch da ist er eben norddeutsch-konsequent, Hamburgs letzter real existierender Schiffermützenmacher.