Kiel. Dr. Britta Raitschew ist neue Chefärztin der Klinik für Akut- und Notfallmedizin am Städtischen Krankenhaus Kiel (SKK). Im Interview nennt die Mutter (43) von drei Kindern Herausforderungen wie diese: Immer mehr Patienten kommen in die Notaufnahme – auch mit Fällen, die dort eigentlich nicht hingehören.
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Frau Dr. Raitschew, als neue Chefärztin haben Sie eines der kleinsten Büros der Notaufnahme bezogen, in der Nähe von Patienten mit Brustschmerzen. Wollen Sie möglichst schnell selbst eingreifen können?
Raitschew: Das hat einen pragmatischen Hintergrund. Wir strukturieren räumlich einiges um, denn wir brauchen in der Notaufnahme mehr Platz für immer mehr Patienten, aber auch entsprechend mehr Personal. Darum machen wir aus dem früheren Büro der Leitung nun ein Arbeitszimmer für Ärzte.
Städtisches Kiel: Immer mehr Patienten in der Notaufnahme
Wie haben sich die Patientenzahlen in der Notaufnahme entwickelt?
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Im Jahr 2024 hatten wir insgesamt 33.209 Notfälle. 2023 waren es noch 30.196. Bei den vorliegenden Daten sieht man einen deutlichen Anstieg von zehn Prozent innerhalb eines Jahres.
Wie erklären Sie sich diesen Zulauf an Patienten?
Wir beobachten, dass immer mehr Patienten in die Notaufnahme in Kiel kommen, die hier eigentlich nicht hingehören. Das dürfte eine zweistellige Zahl sein. Zu uns kommen Patienten, weil sie zu lange auf Facharzttermine warten müssten.
Bestimmte Untersuchungen können wir ambulant nicht abrechnen, insbesondere wenn es keine akuten Notfälle sind. Wenn nicht, müssen wir die Patienten wegschicken. Besonders stark sind wir auch mittwochnachmittags, freitags ab der Mittagszeit und an Brückentagen gefordert, wenn niedergelassene Arztpraxen geschlossen sind.
Kiel: Frau kam mit Periode in Notaufnahme
Immer wieder berichten Notaufnahmen auch von Fällen, in denen Patienten wegen geringfügiger Beschwerden in die Notaufnahme kommen. Was haben Sie seit Ihrem Einstieg im Juni am SKK erlebt?
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Patienten kommen auch mit Zeckenstich in die Notaufnahme. Ich kann mich an einen jungen Mann erinnern, Anfang 20, mit Magen-Darm-Infekt, in Begleitung der Eltern. Wir haben viel für ihn getan, doch er hatte extreme Angst, dass es zu Hause nicht geht und wollte partout bleiben. Neulich stellte sich eine 42-jährige Frau mit vaginalen Blutungen vor. Wir konnten ihr schnell helfen: Sie hatte ihre Periode.
Ich mache den Menschen keinen Vorwurf. Jeder, der hier ist, fühlt sich als Notfall.
Dr. Britta Raitschew
ärztliche Leiterin der Notaufnahme am SKK
Wie bewerten Sie solche Fälle?
Zum Teil fehlt es in der Bevölkerung an gesundheitlichem Basiswissen. Früher hat Oma einen Tee gekocht. Doch wer verunsichert ist, kommt im Zweifel auch mit leichten Beschwerden zu uns. Ich mache den Menschen aber keinen Vorwurf. Jeder, der hier ist, fühlt sich als Notfall.
Die Menschen werden immer älter, haben immer komplexere gesundheitliche Probleme. Wie spüren Sie das in der Notaufnahme?
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Wir haben ein Versorgungsproblem für ältere Menschen, die alleinstehend zu Hause krank werden. Viele sind in einem schlechten Ernährungszustand und nicht gut gepflegt, doch sie zögern zu lange. Und dann geht es nicht mehr zu Hause. Dabei sind sie nur bedingt ein Fall für uns. Zum Glück haben wir am SKK in Kiel eine Geriatrie, die das auffangen kann.
Dr. Britta Raitschew will Wartezeiten so kurz wie möglich halten
Was kann dabei helfen, die stationäre Versorgung in Notaufnahmen zu entlasten?
Die Vermittlung über die Nummer des Patientenservice 116117 sollte noch bekannter werden. Auch das von der Bundesregierung geplante Primärarztsystem mit dem Hausarzt als erste Anlaufstelle für Patienten halte ich für eine gute Idee.
Ich würde mir zudem wünschen, dass mehr Patienten in der Ambulanz Verständnis für Wartezeiten zeigen – und mehr Willen zur eigenen Gesundheitsfürsorge. Gleichzeitig ist es eines meiner Ziele, die Wartezeiten und Verweildauer so kurz wie möglich zu halten. Wir wollen die Zeit nach dem ersten Arztkontakt verkürzen. Aber es hängt auch vom Weiterbildungsstand im Team ab, wie schnell die richtige Untersuchung angesetzt wird – und wie lange diese dauert.
Welche Herausforderungen sehen Sie für das Team?
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Ich führe das Konzept der interdisziplinären Notaufnahme weiter fort: Früher gab es eine getrennte chirurgische und internistische Notaufnahme. Unser Ziel ist, dass wir mit einem Team die Patienten als Notfälle ansehen und keine strenge Trennung mehr vornehmen. Das bedeutet, dass Kolleginnen und Kollegen zu Notfallexperten ausgebildet werden müssen.
Und was reizt Sie an der Aufgabe?
Ich bin seit 2020 leitende Notärztin bei der Berufsfeuerwehr Kiel, seit über zehn Jahren Notärztin. Mich reizt, dass wir im Kleinen viel bewirken können, dass man sich in der Notfallmedizin immer weiterentwickeln kann. Wenn wir es im Team schaffen, Patienten das Leben zu retten, wenn ich das, was ich gelernt habe, anwenden kann, und wenn alle Rädchen ineinandergreifen, dann ist das sehr sinnstiftend.
Ich habe viel am UKSH gelernt und war dort gern als Oberärztin tätig. Nun freue ich mich sehr, dass ich am SKK die Möglichkeit habe, die Notaufnahme ärztlich zu leiten und damit die Verbesserung der Prozesse selbst mitgestalten zu können.
KN