Berlin. US-Außenminister Marco Rubio wirft Deutschland eine Einschränkung der Meinungsfreiheit vor – und sieht die Menschenrechte in Gefahr.

Die Trump-Regierung hat in ihrem aktuellen Jahresbericht zur weltweiten Menschenrechtslage ungewöhnlich deutliche Worte für Deutschland gefunden. Laut dem US-Außenministerium habe sich die Menschenrechtslage in der Bundesrepublik im Laufe des Jahres 2024 „verschlechtert“. Wörtlich heißt es, „Einschränkungen der Meinungsfreiheit“ und antisemitische Gewalt stellten „erhebliche Menschenrechtsprobleme“ dar.

Die Country Reports on Human Rights Practices erscheinen jährlich und gelten als eine Art weltweite Bestandsaufnahme. Doch in diesem Jahr unterscheidet sich der Ton deutlich von den Vorjahren – nicht nur in der Schärfe, sondern auch in der Auswahl der Kritikpunkte.

Löschpflicht für Hassrede: USA spricht von „Zensur“

Ein Schwerpunkt der US-Kritik ist die in Deutschland geltende EU-Regelung, die Betreiber von sozialen Netzwerken wie Facebook oder X verpflichtet, Hassbotschaften zu löschen. Die Autoren des Berichts bewerten diese gesetzliche Vorgabe als „Zensur“.

Damit vollzieht die Trump-Regierung einen bemerkenswerten Kurswechsel. In den Berichten von 2022 und 2023 hatten die USA Löschungen von Holocaustleugnung noch als Ausnahme einer grundsätzlich freien Onlinekommunikation beschrieben. Die aktuelle Bewertung deutet darauf hin, dass Washington inzwischen die gesamte Struktur der deutschen Hassrede-Regulierung als problematisch ansieht.

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Antisemitismus-Debatte: Kritik am Fokus auf Rechtsextreme

Ein weiterer zentraler Vorwurf betrifft die Bewertung antisemitischer Straftaten. Im Bericht heißt es, mutmaßlich antisemitische Verbrechen hätten sich in Deutschland in den ersten neun Monaten 2024 „mehr als verdoppelt“.

Gleichzeitig kritisieren sie den deutschen Ansatz zur Ursachenbekämpfung. Bundesbehörden legten „einen zu großen Schwerpunkt auf Rechtsextreme“ und verharmlosten angeblich „die Rolle eingewanderter Muslime“.

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Holocaustleugnung: Strafbarkeit sorgt für Kritik

Zur deutschen Gesetzgebung heißt es im Bericht, das Grundgesetz garantiere zwar die Presse- und Meinungsfreiheit. „Gleichwohl hat die Regierung in Übereinstimmung mit dem nationalen Recht Einschränkungen für die Meinungsfreiheit von Gruppen verhängt, die sie als extremistisch betrachtete.“

So seien im vergangenen Jahr mehrere Personen wegen „Aufstachelung zum Rassenhass“ und „Befürwortung oder Leugnung des Holocaust“ verhaftet oder verurteilt worden. Grundlage dafür ist §130 Absatz 3 des Strafgesetzbuches. Dieser Ansatz, der in Deutschland Teil der Erinnerungskultur und Strafrechtsordnung ist, kollidiert mit der in den USA verfassungsrechtlich nahezu uneingeschränkt garantierten Meinungsfreiheit.

Der Vergleich mit den Berichten von 2022 und 2023 zeigt, wie stark sich die Perspektive verändert hat. Damals wurden Migranten im Kontext von Antisemitismus nicht als mögliche Täter, sondern ausschließlich als Opfer von Übergriffen genannt. Die Löschung von Holocaustleugnung galt noch als gezielte Ausnahme und nicht als strukturelle Einschränkung.

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Transatlantische Spannungen: US-Politiker attackieren deutsche Politik

Die Kritik des Menschenrechtsberichts reiht sich in eine Serie öffentlicher Auseinandersetzungen zwischen Washington und Berlin ein. Bereits im Februar hatte US-Vizepräsident JD Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz den Europäern „Defizite bei der Meinungsfreiheit“ vorgeworfen und den „deutschen Umgang mit der AfD“ kritisiert. Er beanstandete insbesondere den Ausschluss von AfD und BSW von der Konferenz.

Noch schärfer äußerte sich US-Außenminister Marco Rubio, der von „verkappter Tyrannei“ in Deutschland sprach. Anlass war die Entscheidung des Verfassungsschutzes, die AfD im Mai 2024 vorläufig als „gesichert rechtsextrem“ einzustufen. Bundeskanzler Friedrich Merz wies diese Äußerungen entschieden zurück und „verbaten sich Einmischung in die Innenpolitik“.

Doppelstandards im Blick: Lob für El Salvador, Kritik an Rivalen

Auffällig ist, dass Länder, die politisch eng mit der Trump-Regierung kooperieren, im Bericht deutlich glimpflicher davonkommen. Über El Salvador, das Trumps Abschiebepolitik unterstützt, heißt es, es gebe dort „keine glaubwürdigen Berichte schwerwiegender Menschenrechtsverstöße“.

Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Reporter ohne Grenzen widersprechen dieser Einschätzung deutlich. Sie werfen Präsident Nayib Bukele vor, seit 2019 „systematisch die Demokratie auszuhöhlen, Medien zu drangsalieren und Dissidenten zu inhaftieren“.

Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion

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Gleichzeitig erhalten politische Rivalen Trumps eine wesentlich kritischere Bewertung. Brasilien und Südafrika werden im Bericht als Länder mit „schlechter Menschenrechtslage“ bezeichnet. Südafrika wirft Trump sogar einen „Genozid“ an weißen Farmern vor.

mit dpa und AFP