Nach Amokläufen oder Attentaten dringen manche Medien in Schutzräume für Trauerende ein. Wie Fälle, wie Solingen, die Notfallseelsorge belasten.
Mikrofone an Kirchenbänken, Kameras auf weinende Menschen: In Krisenfällen wie Amokläufen oder Attentaten stellen Medien die Notfallseelsorge vor besondere Herausforderungen. Nach der Messerattacke von Solingen im vergangenen Jahr sei der Schutz der Betroffenen besonders schwierig gewesen, sagte die Theologin und Traumatherapeutin Simone Henn-Pausch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Damals seien in der Stadtkirche Angehörige von Opfern, Leichtverletzte und Zeugen betreut worden. Es sei schwer gewesen, Kameras und Reporter fernzuhalten. Henn-Pausch koordiniert die Notfallseelsorge im evangelischen Kirchenkreis Solingen. Bei einem mutmaßlichen Terroranschlag tötete ein Mann während des 650-Jahr-Jubiläums der Stadt am 23. August 2024 drei Menschen und verletzte acht weitere.
Vielzahl der Anfragen große Belastung
Henn-Pausch bekundete einerseits Verständnis dafür, dass Medien wissen wollen, wie es der Bevölkerung vor Ort geht. Manche Pressevertreter gingen aber sehr unsensibel vor. Weinende Menschen oder Personen, die Blumen abgelegt haben, seien ungefragt abgelichtet worden. Journalisten hätten Betroffene oder Anwohner abgefangen und ihre Aussagen ohne Absprache online gestellt. „Ich finde es nicht richtig, eine solche emotionale Situation auszunutzen“, so die Koordinatorin. Unter den Journalisten hätten sich offenbar auch einige Medienleute ohne Ausbildung gefunden, die insbesondere in sozialen Medien Sachverhalte falsch oder mit flapsigen Worten beschrieben hätten.
Laut Henn-Pausch hat die Vielzahl der Anfragen von Medien, teils auch aus dem Ausland, die Notfallseelsorge vor eine besondere Belastung gestellt. Neben der Organisation des Einsatzes habe sie in den Tagen nach dem Attentat mit der Superintendentin fast nur Journalistenfragen beantwortet. „Eine große Sorge war, dass die Presse uns die Kirche stürmt.“ Interviews seien zugesagt worden – aber nur unter der Bedingung, dass sie draußen stattfinden. Dennoch seien einige Kameras in die Tür gehalten worden, um Menschen innen beim Gebet oder beim Seelsorgegespräch aufzunehmen. Versucht worden sei auch, Gespräche zwischen Notfallseelsorgenden zu belauschen.
Seelsorgerin erhält auch beleidigende Mails
Im Gespräch mit den Journalisten haben sie gebetsmühlenartig auf ihre Schweigepflicht hingewiesen, so Henn-Pausch. Konkrete Auskünfte zu einer Person dürfe sie nicht geben, sondern nur allgemein über die Lage vor Ort sprechen. Andererseits habe es auch viele umsichtige Medienvertreter gegeben, die sehr behutsam vorgegangen sind.
Wichtig ist aus Sicht der Koordinatorin, dass nach Ereignissen wie in Solingen nur hauptamtliche Kräfte der Notfallseelsorge Medienauskünfte erteilen. Auf ihre Pressestatements hin habe sie viele beleidigende E-Mail-Reaktionen erhalten, etwa mit abwertenden Bemerkungen über ihr Äußeres. „Das möchte ich Ehrenamtlichen nicht zumuten.“ Auch komme es darauf an, „mit einer Stimme zu sprechen“. Im Kirchenkreis Solingen arbeiten rund 50 Notfallseelsorgende, die Hälfte von ihnen ehrenamtlich.