Wie wird man ohne Alkohol betrunken? Der gehypte Drink Sentia verspricht angenehme Rauschgefühle mit null Promille. Stuttgarter Kreative wagen den Selbsttest und sind überrascht.
Die Idee klingt wie Zukunftsmusik in einer Welt, die genug von Brummschädeln und Filmrissen hat: ein Drink, der berauscht, ohne betrunken zu machen. Entwickelt hat ihn der britische Psychiater David Nutt. Seine pflanzliche Spirituose Sentia soll alles bieten, was Alkohol attraktiv macht – Entspannung, Lockerheit, gute Laune – nur eben ohne Promille und Kater. Der Name spielt auf das lateinische sentire an: fühlen.
Was fühlt die Testrunde? Die Aperolgläser bleiben am frühen Abend im Comodo unangerührt, dafür klimpern Eiswürfel in orangefarbenen oder dunkelbraunen Drinks. Am Tisch: Clubbetreiber, Barkeeper, Szenegänger, Kreative, ein Journalist, ein Filmemacher. „Mal sehen, ob der Hype hält, was er in England verspricht“, meint Tim Berkemer, Chef des Clubs Hi Life und der Spitzbubenbar auf dem Cannstatter Wasen. Falls ja, könnte Sentia auf seiner Karte landen.
Sentia Gaba Spirits sind in diesem Drink mit Orangen- und Zitronensaft gemischt – serviert wird auf Eis. Foto: Uwe Bogen
Adrian Haarer, einer der beiden Comodo-Chefs, serviert die neue Marke zunächst als puren Shot, dann etwa als perfekt gemixter Drink in der Espresso-Martini-Variante, mit Ginger Beer sowie mit Orangen- und Zitronensaft. Alles mit viel Eis. Wenige Minuten nach der ersten Runde die erste Rückmeldung: „Bei mir ist schon bisschen was im Kopf angekommen“, sagt der Gastronom und frühere Cavos-Betreiber Hiki Ohlenmacher erfreut.
„Fühlt sich eher an wie Kiffen als wie Alkohol“
Die Runde nickt. Alle spüren was, wenn auch nur milde. „Fühlt sich eher an wie Kiffen als wie Alkohol“, findet Berkemer – und betont, er habe aber keine Ahnung vom Kiffen, denn Wein sei sein bevorzugter Stoff. „Hat jemand Happy Pills reingeschüttet“, fragt ein anderer, „man fühlt sich voll easy“.
Pur schmeckt Sentia würzig, bitter oder zitronig – je nach Sorte, es gibt drei verschiedene. Gemischt: täuschend ähnlich wie ein klassischer Cocktail. „Ist deutlich besser als alkoholfreier Wein“, sagt jemand. Die Stimmung wird immer lockerer, es wird viel gelacht.
Nach fünf Runden zeigt der Alkomat bei Filmemacher und Autor Benjamin Eicher 0,0 Promille an. Foto: Uwe Bogen
Initiiert hat den Selbsttest Filmemacher Benjamin Eicher („Der weiße Massai-Krieger“). Er hatte den Drink in den Medien entdeckt und drei 0,5-Liter Flaschen aus England bestellt – für stolze 111 Euro inklusive Porto. Ist kein Schnäppchen, aber die Neugier war größer. Nun gibt er als Devise aus: „Saufen, bis kein Arzt kommt.“
„Eine coole Alternative“
Auch Philipp Hagebölling, Agenturchef und Vorstandsmitglied beim Startup Verein Stuttgart, probiert mit. Seit einem halben Jahr lebt er völlig abstinent. Vorsichtig nippt er und sagt wenig später: „Eine coole Alternative.“
Auf dem Tisch steht ein professioneller und polizeigenauer Alkomat. Jeder und jede pustet – das Ergebnis bleibt auch nach der fünften Runde bei allen konstant: 0,0 Promille.
Das Geheimnis in der Flasche
Im Kleingedruckten auf dem Etikett stehen Zutaten wie Passionsblume, Baldrian, Zitronenmelisse, Rosmarin, Magnolienrinde – alles vegan. Einige dieser Pflanzenstoffe beeinflussen das GABA-System im Gehirn, das für Beruhigung und Stressabbau sorgt. Anders als Alkohol wirken die Sentia-Substanzen schwächer und gezielter – können aber trotzdem für spürbare Entspannung sorgen.
Gastronom Tim Berkemer soll nach fünf Santia-Runden auf einer Linie laufen – ist nicht so einfach. Foto: Uwe Bogen
Zwei Clubbetreiber beschließen am Ende, Sentia auf ihre Karten im Zubrovka und Hi Life zu nehmen. „Vielleicht für zehn Euro“, überlegen sie, „als Espresso Martini, das war am Besten.“ Benjamin Eicher spielt dann noch den Polizisten und fordert Wirt Berkemer dazu auf, auf einer Linie gerade zu laufen, zum Teil nur auf einem Bein. Es fällt ihm nicht ganz leicht. Liegt es nur an dem britischen Drink?
Keiner der Teilnehmer muss ein Taxi bestellen
„Das ist der Rausch der Zukunft“, bilanziert der frühere Cavos-Chef Hiki Ohlenmacher. Alle stimmen ihm zu. „Der Rausch der Gegenwart ist aber auch nicht schlecht“, wirft einer ein und ringt mit sich, ob er nicht doch noch eine Schorle bestellen soll. Ob aus Sentia gar ein Partytrend wird? Trends kommen und gehen oft sehr schnell. An diesem Abend in Stuttgart jedenfalls gilt: Die Gläser sind leer, die Köpfe leicht, die Stimmung ist bestens – und niemand muss ein Taxi rufen.