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Stand: 13.08.2025 18:45 Uhr

Der ehemalige Publizist produziert gern Schlagzeilen – und er hat als eine der ersten Amtshandlungen in seiner eigenen Behörde das Gendern verboten. Wie liefen seine ersten 100 Tage?

Eine Analyse von Tomas Fitzel, rbb

Schon optisch passt Wolfram Weimer hervorragend zu Friedrich Merz: drahtig und ebenso hochgewachsen, ein Zwei-Meter-Mann, der die meisten um einen Kopf überragt. Ein eloquenter Redner, von keinerlei Selbstzweifel angekränkelt, der zudem bei jeder Gelegenheit seinen Habitus als Bürgerlicher mit konservativem Wertekanon betont: „Treue, Ehrlichkeit, Familiarität, also grundlegende Werte“, antwortete er dem Deutschlandfunk auf die Frage nach dem, was er unter Konservatismus verstehe.

Den er offenbar bedroht sieht: „Wir haben in den letzten Jahren eine Debattenlage gehabt, das alles, was bürgerlich oder konservativ im Sinne des Wertkonservativismus war, in die Defensive gedrängt wurde.“ Erschöpft sich darin das Programm des Kulturstaatsministers? Das war die große Frage, die nach seiner Ernennung allenthalben gestellt wurde.

Zu Amtsbeginn massive Proteste

Die Ernennung des Publizisten und Medienunternehmers Weimer zum neuen „Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien“ war selbst für Insider eine Überraschung. Kaum wurde sein Name bekannt, gab es schon massiven Protest gegen ihn aus der Kulturszene. Eine Petition des „Ensemble-Netzwerks“ darstellender Künstler sammelte innerhalb weniger Tage 70.000 Unterschriften gegen seine Ernennung.

Hintergrund war sein „Konservatives Manifest“ von 2018 in zehn Thesen von „Familie lieben“, „Heimat leben“ und „Nation ehren“ bis „Gott achten“. Das Ganze gewürzt mit einer kräftigen Prise Kulturpessimismus im Stil von Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“. Ihm wurde daher eine Nähe zu rechtem Gedankengut vorgeworfen. Und man befürchtete, dass mit ihm der Kulturkampf Einzug in die Regierungspolitik halten würde.

Freiheits- oder Kulturkämpfer?

Auch wenn die anfänglichen Proteste schnell verpufft waren, scheint Weimer mit seinem Verbot des Genderns in seiner eigenen Behörde aktuell seinen Kritikern Recht geben zu wollen. Dass er sich damit in Widerspruch zu seinem eigenen Credo setzt, stört ihn nicht: Denn kein Wort gebraucht er häufiger als das Wort „Freiheit“.

In seiner Antrittsrede im Bundestag zitierte er als seinen Leitsatz, Schillers berühmten Satz, nach dem die Kunst eine Tochter der Freiheit ist. „Deswegen sollte Politik auch nicht versuchen, Kultur und Medien zu instrumentalisieren, sie für unsere Zwecke, übrigens auch wohlgemeinte, einzuspannen“, so Weimer.

Wie das zusammenpasst mit seiner Empfehlung, auch in allen öffentlich geförderten Institutionen wie Museen, Stiftungen sowie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk das Gendern zu verbieten, weiß er allein.

Kritisiert wird Weimer auch für seine Neuauflage der „Hufeisentheorie“, etwa in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung. Die Theorie setzt Phänomene aus der linken Wokeness-Kultur mit dem Kulturkampf von rechts ohne größere Differenzierung gleich.

Warum er ohne Not solche eigentlich überholten Debatten aufwärmt? Ein Grund liegt darin, dass sich Weimer von seiner Rolle als Publizist, der Schlagzeilen produziert, bisher offenkundig nicht verabschiedet hat.

Provokante Debatten anstoßen

Sein bürgerlich-konservativer Habitus, zu dem theoretisch auch diskrete Zurückhaltung gehören sollte, gerät damit zunächst in eine Art Widerspruch zu seiner Absicht, mit rechten Thesen provokante Debatten anzustoßen. Anderswo ist das allerdings längst Programm: „Radikale Mitte“ wurde diese Art konservativer Provokation kürzlich in der von ihm mitgegründeten Zeitschrift Cicero genannt.

Sein Amt trat er denn auch mit einer harschen Kritik an seiner Vorgängerin Claudia Roth an. Diese war nicht nur wegen ihres ausweichenden Verhaltens beim Documenta-Skandal 2022 von Teilen der jüdischen Community massiv angegriffen worden.

Lob von der AfD

Er möchte gleich an seinem ersten Tag ein Zeichen setzen, dass die in „Schieflage geratene Beziehung vom Kulturstaatsministerium zur jüdischen Community“ wieder hergestellt werde und ein „konfliktreiches Kapitel der deutschen Kulturpolitik ein Ende findet“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Dass er damit seine eigene Behörde kritisierte, die er just in diesem Moment übernahm, war offenbar eingepreist. Dass er den bisherigen Amtsleiter Andreas Görgen entließ, ist bei einem politischen Richtungswechsel üblich.

Aber dass sich Weimer dafür im Bundestag von der AfD loben ließ, ohne energisch zu widersprechen, passt zu diesem Stil radikaler Bürgerlichkeit.

Digitalabgabe für Tech-Konzerne

Ohne an den vorausgegangenen Koalitionsverhandlungen beteiligt gewesen zu sein, war Weimers Amtsantritt ein Kaltstart und ungleich schwerer, da er sich seine Aufgaben erst noch suchen musste.

Zwei konkrete Ziele hat er für sich definiert. Als erstes großes Vorhaben, eine Digitalabgabe für große Konzerne wie Google, Meta und andere, die in Deutschland große Gewinne erzielen, aber keinerlei Steuern bezahlen. Dies durchzusetzen, ist im Augenblick allerdings mehr als illusorisch, wie er in einem Interview kürzlich einräumte: Der Zollstreit überlagere im Moment alles, weil es da um Fundamentalfragen unserer wirtschaftlichen Existenz gehe. Wenn das überstanden sei, dann komme sein Thema wieder auf die Agenda.

Als zweites Vorhaben möchte er die großen Streaminganbieter verpflichten, mehr in die deutsche Filmwirtschaft zu investieren, die nicht erst seit der Corona-Zeit schwächelt. Hier denkt Weimer an eine Quote von 10 bis 15 Prozent der Gewinne, die in die deutsche Filmwirtschaft als Investition zurückfließen sollen. Allerdings setzt er als bekennender Liberaler hier auf freiwillige Vereinbarungen: „Ich bin kein Freund von staatlicher Regelung und Bevormundung, und manchmal kann man das Gesetz dann auch so ausgestalten, dass man die Freiwilligkeit ermuntert.“ Ein konkreter Entwurf steht noch aus.

Einsatz gegen Antisemitismus

Als regelrechte Herzenssache bezeichnet Weimer den Einsatz gegen Antisemitismus in der Kultur. „Meine Ansage ist ganz klar, niemand kriegt eine Förderung, der Antisemitismus fördert oder zulässt“, sagte er im Deutschlandfunk und behauptete: „Die Grenze kennt auch jeder ziemlich genau. Jeder weiß, was Kunstfreiheit ist und was alles möglich ist. Aber die Grenzen zum Antisemitismus, zum versteckten wie zum offenen, die spürt jeder ganz genau. Da gilt einfach zero tolerance.“

Angesichts des veritablen Streits darum, was in Deutschland als Antisemitismus gilt, ist diese Behauptung zumindest mutig. Denn bereits seine Vorgängerin Roth scheiterte daran, hier eine rechtssichere Regelung zu formulieren.

Breite Bündnisse – keine Spaltung

Auf Dauer wird aber Weimer mit starken Schlagzeilen und bloßen Ankündigungen keine Ergebnisse erzielen. Erfolgreiche Kulturpolitik braucht breite Bündnisse und keine Spaltung. Dies haben bisher all seine Vorgängerinnen beherzigt.

Um die Kritik, hier sei ein „rechter Kulturkämpfer“ mit lediglich schnellen Thesen am Werk, zu entkräften, müsste ein erstes konkretes Konzept vorliegen – in irgendeinem Bereich. Zum Beispiel, wie er das Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag, entschlossen gegen Informationsmanipulation oder Hass und Hetze im Netz vorzugehen, praktisch umsetzen will.

Tomas Fritzel, RBB, tagesschau, 13.08.2025 18:17 Uhr