Vor seinem Treffen mit Wladimir Putin versuchten die Europäer dem US-Präsidenten nochmals ins Gewissen zu reden. Danach stellte Trump neue Sanktionen gegen Russland in Aussicht.
Wladimir Putin und Donald Trump beim G-20-Gipfel in Osaka im Juni 2019.
Kevin Lamarque / Reuters
Die Europäer haben in den vergangenen Monaten fast alles versucht, um Donald Trump für sich zu gewinnen. Im Juni versprachen die Nato-Partner dem amerikanischen Präsidenten, ihre Verteidigungsausgaben auf 5 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung zu steigern. Im Juli akzeptierte die EU ein einseitiges Handelsabkommen mit den USA, das viele Produkte der eigenen Exportindustrie mit einem Zoll von 15 Prozent belastet. Die Bemühungen schienen zu fruchten: Trump kritisierte den russischen Präsidenten Wladimir Putin immer heftiger und drohte mit verschärften Wirtschaftssanktionen, sollte der Kremlchef nicht in einen Waffenstillstand mit der Ukraine einwilligen.
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Praktisch im letzten Moment vollzog Trump vor wenigen Tagen jedoch eine Kehrtwende. Statt harte Sanktionen gegen Russland zu verhängen, vereinbarte er mit Putin für diesen Freitag einen Zweiergipfel auf einem Luftwaffenstützpunkt bei Anchorage in Alaska. Damit schürte Trump in Europa erneut Bedenken, dass er zu seiner ursprünglichen Absicht zurückkehren könnte: eine bilaterale Einigung mit dem russischen Diktator über die Köpfe der Europäer und Ukrainer hinweg. Um dies zu verhindern, versuchten die wichtigsten Regierungschefs des alten Kontinents am Mittwoch dem amerikanischen Präsidenten in einer Videokonferenz nochmals ins Gewissen zu reden.
Europäer geben Trump fünf Punkte mit auf den Weg
Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz empfing zu dem Anlass in Berlin den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski. Mit dabei in der Konferenzschaltung waren auch die Regierungschefs von Italien, Frankreich, Grossbritannien, Polen und Finnland sowie die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, und Nato-Generalsekretär Mark Rutte. Kurz nach dem Anruf stellte Merz in einer Pressekonferenz klar: «In Alaska müssen grundlegende europäische und ukrainische Sicherheitsinteressen gewahrt bleiben. Das war die Botschaft, die wir heute dem amerikanischen Präsidenten mit auf den Weg gegeben haben.»
Neben dem Anruf mit Trump leitete der britische Premierminister Keir Starmer am Mittwoch eine weitere Beratung der Europäer im Format der «Koalition der Willigen».
Jack Taylor / Reuters
Die gemeinsame Position der Europäer bestehe aus fünf Punkten, erklärte der deutsche Bundeskanzler. Erstens müsse die Ukraine mit am Tisch sitzen, sollte es ein Folgetreffen geben. Zweitens müsse es zuerst einen Waffenstillstand geben, bevor über weitere Elemente einer Friedenslösung verhandelt werde. Drittens müssten Gespräche über territoriale Ansprüche vom gegenwärtigen Verlauf der Frontlinie ausgehen. «Der Grundsatz, dass Grenzen nicht gewaltsam verrückt werden dürfen, muss fortgelten.» Viertens müssten «robuste Sicherheitsgarantien für Kiew» ein Teil der Verhandlungen sein. Und fünftens sollten die Gespräche mit Russland auf der Grundlage «einer gemeinsamen transatlantischen Strategie» erfolgen.
Wenn sich die russische Seite in Alaska nicht bewege, müssten die USA und Europa den Druck auf Moskau erhöhen, forderte Merz. «Präsident Trump kennt diese Positionen. Er teilt sie sehr weitgehend.» Der Bundeskanzler gab sich zuversichtlich. Das Gespräch sei «gut und konstruktiv» verlaufen. «Es gibt Hoffnung auf einen Frieden in der Ukraine.»
Angst vor russischer Manipulation
Nach dem Anruf mit Trump berieten sich die Europäer weiter im Format der «Koalition der Willigen». Ob Trump den Europäern gut zugehört hat und sich an ihre Positionen halten wird, dürfte sich allerdings erst am Freitag in Alaska zeigen. Zumindest sprach er aber am Mittwoch ebenfalls von einem guten Gespräch mit den Europäern: «Ich würde ihm die Note 10 geben.» Sein Ziel am Freitag sei es, die Voraussetzung für einen umgehenden Dreiergipfel zu schaffen. Wenn alles gutgehe, werde es «ein schnelles Treffen zwischen Präsident Putin und Präsident Selenski und mir geben, falls sie mich dabeihaben wollen». Sollte der Kremlchef am Freitag nicht in ein Ende des Kriegs einwilligen, werde dies «sehr schwere Konsequenzen haben», meinte Trump. Im Detail wollte er aber nicht erklären, welche Strafmassnahmen er genau ergreifen würde.
Trumps ehemaliger Sicherheitsberater und heutiger Kritiker John Bolton fürchtet hingegen, dass Putin – ein ehemaliger Geheimdienstoffizier –den amerikanischen Präsidenten im bilateralen Gespräch um seinen Finger wickeln könnte. Unabhängig vom Resultat des Gipfels habe der Kremlchef aber bereits gewonnen: «Er ist der Anführer eines Schurkenstaats und wird Bilder mit dem amerikanischen Präsidenten auf amerikanischem Boden kriegen.»
Auch der ehemalige General Philip Breedlove sprach gegenüber CNN von einem Propagandaerfolg für den russischen Staatschef. Denn in Wahrheit verliere Putin momentan diesen Krieg, meinte Breedlove. Nur mit der Hilfe nordkoreanischer Soldaten sei Russland in der Lage gewesen, eigene Territorien in der Region Kursk zurückzugewinnen. Auch der demokratische Senator Richard Blumenthal teilt die Sorge, dass Putin den amerikanischen Präsidenten manipulieren könnte. «Meine grösste Sorge ist ein schlechtes Abkommen, das Selenski ablehnt, womit er zum Bösewicht wird. Dann ginge Trump erneut mit seiner klassischen Mixtur aus Rache und Eitelkeit auf die Ukraine los.»
Die russisch-amerikanische Journalistin Masha Gessen denkt in einem Kommentar für die «New York Times» aber noch einen Schritt weiter. Selbst wenn Trump schärfere Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängen würde, könnte dies Putin nicht zu einem Umdenken bringen. Dem Kremlchef sei die eigene Macht wichtiger als der Wohlstand seines Landes, schreibt Gessen. «Ewige Macht in seinem eigenen Land, indem er Russlands Grenzen ausweitet.» Deshalb gebe es nur eine Lösung: «Die Vereinigten Staaten und die Nato verfügten stets über die Fähigkeit, diesen Krieg auf die einzig mögliche Weise zu beenden: indem sie Putin besiegen.»