Seit über zehn Jahren hat Max Goldt kein richtiges Buch mehr veröffentlicht. Dabei lechzen seine Fans danach wie Durstende in der Wüste. Max Goldt ist einer, der Ordnung in die Sprache und die Diskurse brachte. Und vielleicht ist die Schreibblockade, die er in raren Selbstaussagen auf seinen Perfektionismus schiebt, auch der Tatsache geschuldet, dass einige Diskussionen in unserer Gesellschaft immer unversöhnlicher und durchgedrehter werden.
Trotzdem hat Goldt genau jetzt, auf einem Hoch der Durchgedrehtheit, ein neues Buch veröffentlicht: In „Aber?“ geht es zum Beispiel um Frauenfußball, Blasenbildung, das Gendern, die Islamisierung des Abendlands oder die Frage, ob die öffentlich-rechtlichen Medien lügen. Schweißtreibende Drahtseil-Themen also, an denen sich der Meister der kurzen Form wie immer höchst amüsant abarbeitet.
In der Sprachkritik ist Max Goldt noch ganz bei sich, hat es leicht: In „Diese wolkenverhangenen Dunkelziffern“, einer von mindestens zwei Texten im neuen Konvolut, die schon früher und anderswo erschienen sind, fegt er aus in den sprachlichen Unreinheiten des Tagesjournalismus: „In jeder News-Redaktion sollte einer wach genug sein, Sätze wie ‚Je länger die Suche dauert, desto geringer ist die Chance, in den Trümmern noch Überlebende zu finden‘ beherzt und ersatzlos zu streichen.
Aus gleichem Holz geschnitzt ist die Top-Banalität des deutschen Nachrichtenwesens, die immer zum Einsatz kommt, wenn von unerfreulichen Zahlen die Rede ist, etwa von Drogentoten oder Sexualstraftaten. Wie viele hundert Male hörte ich nicht schon, daß hinzugefügt wurde: ‚Die Dunkelziffer dürfte jedoch wesentlich höher liegen.‘“
Max Goldt präsentiert sich als weltoffener Strukturkonservativer
Der 66-jährige Autor formuliert solche Kritik wie immer prägnant, aber über amüsanteste Umwege in andere Ecken der absurden Welt. Er formuliert sie in alter Rechtschreibung und ohne zu Gendern, präsentiert sich als weltoffener Strukturkonservativer, aber lässt sich selten allzu tief in die Karten blicken. Immer bleibt ein Rest Unklarheit in der Frage: Wie meint er das denn jetzt eigentlich?
In zwei Texten wird er allerdings untypisch deutlich – wenn es um konkrete Kritik an Berichterstattung des öffentlichen Rundfunks und des Magazins Der Spiegel geht: Im Text „Morrissey vs. Der Spiegel“ behandelt er ein Interview mit dem ehemaligen Sänger von The Smith, das 2017 einige Wellen geschlagen hat, weil der sich darin angeblich für den Brexit ausgesprochen und Harvey Weinstein in Schutz genommen habe.
Max Goldt macht sich die Mühe, beispielhaft eine Frage der „bedenklich jungen Dame aus Deutschland“ zu transkribieren, der man den sich heroisch eigensinnig gebenden Mann aus Großbritannien aussetzte: „Yeah, like cos in Germany there were two things like, like watching the news we saw it wouldn’t happen like one was like Trump and the other was Brexit but like you said you like be pro-Brexit, is that true?“ Das Problem sieht Goldt also weniger in den Antworten als in den Fragen: „Zu dem erwähnten Aufregerthema sagte Morrissey nichts, was nicht auch in meinem oder jedem anderen Bekanntenkreis hätte geäußert werden dürfen – solide, abwägende, nicht auffällig extremistische Dinge.“
Hier wagt sich Goldt auf dünnes Eis, denn natürlich gibt es mittlerweile Bekanntenkreise, in denen die Wellen, die #MeToo geschlagen hat, nicht als zu hoch gebrandmarkt werden dürfen, wie Morrissey es implizit tut: „Jeder, der mal zu jemand anderem gesagt hat ‚Ich mag dich‘, wird auf einmal wegen sexueller Belästigung beschuldigt.“
Nachher läuft Max Goldt noch Gefahr, gecancelt zu werden!
Im Text über die öffentlich-rechtlichen Medien scheint der Autor sich gezwungen zu sehen, zweierlei festzuhalten: „Ich bin überzeugt, daß die öffentlich-rechtlichen Medien nicht lügen.“ Und: „Um hingegen den in den letzten Jahren immer wieder erhobenen Vorwurf der Gleichschaltung gerechtfertigt scheinen zu lassen, müßte irgendjemand mit klaren oder gar allzu klaren Vorstellungen an einem Schalthebel sitzen, eine Art Goebbels: Aber dort ist niemand, der klare Vorstellungen hat.“ Immerhin scheinen Goldt diese meist aus eher politisch rechts stehenden Kreisen erhobenen Vorwürfe umzutreiben. Ihn selbst stören aber vor allem Ungenauigkeiten. In „Petra Gerster vs. David Bowie“ nervt ihn, dass die ZDF-Moderatorin den verstorbenen David Bowie als „Maler, Schauspieler, Sänger“ beschrieb – in dieser unsinnigen Reihenfolge.
Immer wieder gibt es beim Lesen des neuen Goldt Momente, wo man schlucken und genau hingucken muss: Oje, jetzt begibt er sich aber auf ganz dünnes Eis! Gleich im Einstiegstext geht es um Frauenfußball und die „Homo-Ehe“. Die ersten Schweißperlen auf der Stirn beginnt man zu lesen: Er wird sich doch jetzt wohl nicht dagegen aussprechen? Nachher läuft er noch Gefahr, gecancelt zu werden! Dann kann ich ihn nicht mehr beim öffentlichen Lesen im soziokulturellen Zentrum meines Vertrauens erleben!
Aber Goldt umschifft elegant allzu turbulente Fahrwasser: „Ich bin also gegen die Homo-Ehe, weil ich bereits die Originalversion, die Hetero-Ehe, für falsch und unterwürfig halte. Aus dem gleichen Grund bin ich gegen Frauenfußball.“ Und dass, obwohl er junge Leute, „die gutgelaunt herumwetzen“ eigentlich mag.
Viele der kurzen und wie immer äußerst kurzweiligen Texte im gut 150 Seiten langen Buch sind Dramolette, von denen einige wohl auf Katz-und-Goldt-Comics oder Hörbuch-Stücken basieren. Ganz genau ist die Provenienz allerdings auch beim Verlag nicht zu erfragen. In einem Dramolett unternimmt ein junger Vater mit „Fjutscherinchen“ eine Reise in die deutsche Zukunft und sieht lauter Moscheen: „Hatten die Knallköppe der Gegenwart also doch recht.“ Die Zukunftsfee beruhigt ihn: „Doch sie werden nicht mehr als Gebetshäuser genutzt. Eines Tages sind nämlich alle Moslems plötzlich friedlich eingeschlafen. Eine Art Gendefekt.“ Wieder so ein schweißtreibender Lesemoment! Bis es ein paar Zeilen weiter heißt: „Wenig später allerdings sind die Angehörigen sämtlicher anderen Religionsgemeinschaften ebenso friedlich verstorben.“
Max Goldt scheint ihn zu lieben, den Schockmoment für die nervösen Menschen von heute
Max Goldt scheint ihn zu lieben, den Schockmoment für die nervösen Menschen von heute, die beständig darüber nachdenken, was sie eigentlich wie sagen und am besten vorher noch denken sollen. Bei einer Fernsehzeremonie für das „Unwort des Jahres“ lässt er den Jörg-Pilawa-artigen Moderator das Wort „Frau“ verkünden. Das Publikum ist baff, ein älterer Journalist verstirbt spontan an einem Herzkasper. Bei einer Diskussionsveranstaltung in den „neuen Bundesländern“ geht es um geschlechtergerechte Sprache, und plötzlich melden sich im Publikum mehrere „Strichjungentöchter“, um dagegen einzustehen, dass immer nur von „Hurensöhnen“ die Rede ist.
Alles ist immer genial und um Haaresbreite an einem Skandal vorbeigeschrieben, hat den Witz desjenigen, der genau hinschauen und doch im Ungefähren bleiben will.
Der Buchtitel bezieht sich übrigens auf das Gespräch eines „Bourgeois“ mit einem „Kerlchen“ aus der Arbeiterklasse. Der Bourgeois sagt: „An sich bin ich schon ein Mensch, dem es ein ungeheures Anliegen ist, allen Menschen, die auf diesem – unserem gemeinsamen – Erdball herumspazieren, erst einmal mit Offenheit und Riesenrespekt zu begegnen, […] also jedem, der mir seine Hand reicht, ganz klar und unumwunden ins Gesicht zu sagen: Du bist eine wunderbar spannende, richtig wertvolle Mit-, ja, wie soll ich das ausdrücken, Mit-Gestalt, Mit-Erscheinung, aber …“ Und „Das Kerlchen“ fragt: „Aber?“