Zwei Tage vor dem geplanten Treffen von US-Präsident Trump und dem russischen Präsidenten Putin in Alaska versuchen Europa und die USA die Wellen zu glätten.
Nach einer Videoschalte, an der Trump, Vizepräsident Vance, mehrere europäische Regierungschefs sowie die Spitzen von EU und Nato teilnahmen, sprach der deutsche Bundeskanzler Merz von einem „konstruktiven und guten Gespräch“. Der ukrainische Präsident Selenskyj, der für die Teilnahme eigens nach Berlin gereist war, sagte, Trump habe ihm zugesichert, ihn sofort nach seinem Gespräch mit Putin zu informieren.
Bundeskanzler Merz begrüßt den ukrainischen Präsidenten Selenskyj zur Videoschalte mit Trump im Kanzleramt [Photo by Bundesregierung/Guido Bergmann ]
Als der US-Sondergesandte Steve Witkoff vor einer Woche Moskau besuchte und Präsident Trump anschließend ein persönliches Treffen mit Putin ankündigte und einen „Gebietstausch“ zwischen Russland und der Ukraine vorschlug, schrillten in den europäischen Hauptstädten die Alarmglocken.
Medienkommentare warfen Trump vor, die Ukraine zu „verraten“, und zogen Parallelen zur Münchner Konferenz von 1938, auf der Großbritannien und Frankreich einen Teil der Tschechoslowakei an Hitler abtraten, ohne dass die tschechische Regierung zu dem Treffen eingeladen war.
Ein Leitartikel des Spiegels erklärte, bisher hätten die Europäer Trump „vor allem umschmeichelt“. Dieser peinliche Ansatz müsse nun ergänzt werden „durch Standhaftigkeit, wenn nötig auch durch Konfrontation“. Um Selenskyj in die Lage zu versetzen, einen schlechten Deal abzulehnen, brauche es „Waffen und Munition in noch größeren Mengen, bessere Drohnentechnologie, Ersatz für amerikanische Zielerfassung“.
Die europäischen Regierungen setzten alle Hebel in Bewegung, um ein Treffen von Trump und Putin ohne europäische und ukrainische Beteiligung zu verhindern.
Am 9. August veröffentlichten die Regierungschefs Frankreichs, Italiens, Deutschlands Polens, Großbritanniens und Finnlands sowie EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen eine gemeinsame Erklärung. Sie beharrten darauf, „dass eine diplomatische Lösung die lebenswichtigen Sicherheitsinteressen der Ukraine und Europas schützen muss“ und dass „der Weg zum Frieden in der Ukraine nicht ohne die Ukraine entschieden werden kann“.
Die Europäer begrüßen zwar eingangs „die Bemühungen von Präsident Trump, das Töten in der Ukraine zu beenden, den Angriffskrieg der Russischen Föderation zu beenden und einen gerechten und dauerhaften Frieden und Sicherheit für die Ukraine zu erreichen“. Doch das ist Schmeichelei, um Trump zu besänftigen. Dann stellt die Erklärung eine Reihe von Bedingungen, die für Russland nicht annehmbar sind und auf eine Fortsetzung des Kriegs hinauslaufen.
Am 12. August schloss sich auch der Europäische Rat dieser Erklärung an. Von den 27 Staats- und Regierungschefs der EU stimmte nur einer, der Ungar Viktor Orbán, nicht dafür.
Nach der gestrigen Videokonferenz mit Trump wiederholte Bundeskanzler Merz die europäischen Bedingungen und behauptete, ohne präzise zu werden, Trump teile sie „sehr weitgehend“.
„Wir Europäer tun alles in unserer Kraft Stehende, um die Weichen für dieses Treffen in die richtige Richtung zu stellen,“ sagte Merz. „Wir wollen, dass Präsident Donald Trump am Freitag in Anchorage Erfolg hat.“ Dann nannte er die europäischen Bedingungen.
An erster Stelle steht die Wahrung „grundlegender europäischer und ukrainischer Sicherheitsinteressen“. Allein Deutschland habe seit 2022 rund 40 Mrd. Euro an Militärhilfen mobilisiert und die EU habe 18 EU-Sanktionspakete beschlossen, so Merz. Davon will Deutschland nun profitieren. Wenn Trump auf einen Frieden hinarbeite, „der europäische und ukrainische Interessen wahrt“, könne „er sich auf unsere volle Unterstützung verlassen“, versicherte Merz.
Die Ukraine sei zu Verhandlungen über territoriale Fragen bereit, fuhr Merz in Abweichung von der früheren EU-Linie fort. Aber erst nach einem Waffenstillstand, für den die gegenwärtige Frontlinie Ausgangspunkt sein müsse. Die rechtliche Anerkennung von Gebietsabtretungen schloss er dagegen aus. Weiter müsse es robuste Sicherheitsgarantien für die Ukraine geben und der Druck auf Russland müsse erhöht werden.
David North
30 Jahre Krieg: Amerikas Griff nach der Weltherrschaft 1990–2020
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die Ereignisse der vergangenen Woche haben gezeigt, wie konfliktgeladen das Verhältnis zwischen den USA und den europäischen Mächten ist. Die Nato ist zwar mit 55 Prozent der weltweiten Militärausgaben noch immer das mächtigste Militärbündnis der Welt, doch die Risse, die sie auseinandersprengen, werden von Monat zu Monat tiefer.
Das bleibt auch so, wenn sich die Spannungen momentan wieder etwas abkühlen und Trump am Freitag mit Putin keinen Deal zu Lasten der Europäer schließen sollte. Die wachsenden Spannungen ergeben sich aus dem Charakter des Ukrainekriegs selbst.
Die Nato verteidigt in der Ukraine nicht „Freiheit“ und „Demokratie“ gegen einen „russischen Angriffskrieg“. Sie führt einen Krieg um die materiellen Ressourcen der Ukraine und Russlands als Teil eines imperialistischen Kampfs um die Neuaufteilung der Welt. Seit die Auflösung der Sowjetunion vor drei Jahrzehnten die letzten Hemmungen beseitigte, haben die USA einen brutalen imperialistischen Krieg nach dem andere geführt, um ihre Weltherrschaft zu verteidigen – gegen Irak, gegen Serbien, gegen Afghanistan, erneut gegen Irak, gegen Libyen und Syrien, um nur die wichtigsten zu nennen. Die europäischen Nato-Partner haben sie dabei unterstützt, um an der Beute beteiligt zu werden.
Der russische Angriff auf die Ukraine war eine reaktionäre Antwort auf die unerbittliche Expansion der Nato, die 2014 in dem vom Westen unterstützten Putsch in Kiew gipfelte. Die russische Regierung akzeptierte nicht, dass die Nato an die 2.300 Kilometer lange gemeinsame Grenze mit der Ukraine in Schussweite von Moskau vorrückt.
Trotzdem war der Einmarsch reaktionär und die WSWS hat ihn scharf verurteilt, weil er die Arbeiterklasse spaltet und dadurch den Imperialismus stärkt. „Putin, ein erbitterter Feind des Sozialismus und des Erbes der Oktoberrevolution, ist nicht in der Lage, einen wirklich demokratischen und fortschrittlichen Appell an die ukrainische Arbeiterklasse zu richten. Stattdessen beruft er sich auf das reaktionäre Erbe des zaristischen und stalinistischen großrussischen Chauvinismus,“ sagte WSWS-Chefredakteur David North in einer Rede zum 1. Mai 2022.
Deutschland ist nach den USA der größte Unterstützer des Ukrainekriegs. Der deutsche Imperialismus hat sich nie damit abgefunden, dass er nach zwei verlorenen Weltkriegen ins zweite Glied zurücktreten musste. Nun dringt er wieder militärisch in Regionen vor – das Baltikum, die Ukraine, Russland – die er in zwei Weltkriegen vergeblich zu erobern versucht hatte, und nutzt den Ukrainekrieg als Vorwand, um aufzurüsten wie seit Hitler nicht mehr.
Wenn Trump über die Köpfe der Europäer hinweg mit Putin verhandelt und Strafzölle gegen Freund und Feind – einschließlich der europäischen „Partner“ – verhängt, ist dies keine persönliche Marotten eines Immobilienhändlers, sondern das Ergebnis des imperialistischen Kampfs um die Neuaufteilung der Welt, in der die „Partner“ von gestern zu den Rivalen und Gegnern von heute werden. Der Kapitalismus steuert auf den Abgrund eines dritten Weltkriegs zu, wenn ihm die Arbeiterklasse nicht rechtzeitig Einhalt gebietet.